Eva Niedermair

Redakteurin
Thema Vorarlberg

Die Kleidermacherinnen von Vorarlberg

Juni 2025

Zwischen Handwerk, Haltung und hartem Markt

Lokale Modeproduktion gilt als Gegenentwurf zur Fast Fashion – und ist ein täglicher wirtschaftlicher Kraftakt. Der Beruf des Kleidermachers blickt auf eine jahrhundertealte Tradition zurück. Schon im Mittelalter organisierten sich Schneider in Zünften, waren für die lokale Versorgung mit Kleidung zuständig und trugen wesentlich zum sozialen und kulturellen Gefüge ihrer Regionen bei. In Österreich wurde der Beruf im Zuge der Gewerbeordnung von 1859 als Handwerk formell anerkannt und wird seither als Lehrberuf weitergeführt. Heute vereint er jahrhundertealtes Wissen mit zeitgemäßem Design und einem zunehmenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit.

Die Vielseitigkeit des Berufs
Kleidermacherinnen und Kleidermacher spezialisieren sich in verschiedensten Bereichen: von der Maßanfertigung für Damen und Herren über Theater- und Kostümschneiderei bis hin zur Herstellung traditioneller Kleidung wie Trachten. Auch Änderungsschneider und designorientierte Modeateliers gehören zum Berufsbild. Trotz dieser Vielfalt kämpfen alle mit denselben Rahmenbedingungen: hohen Kosten, geringer Unterstützung und einem Markt, der Massenware bevorzugt.

Mode mit Haltung
In Vorarlberg entstehen Kleidungsstücke, die nicht in globalen Textilfabriken gefertigt werden, sondern in kleinen Ateliers mit Fachwissen, Leidenschaft und einem klaren ethischen Anspruch. „Das Bewusstsein für nachhaltige Kleidung ist gewachsen“, sagt Petra Blank, Kleidermacherin in Vorarlberg. „Aber zwischen dem, was Menschen wissen, und dem, wie sie konsumieren, liegt eine große Lücke.“

Wert, der sichtbar gemacht werden muss
Für die Kleidermacher ist Kleidung kein Wegwerfprodukt. Sie arbeiten mit hochwertigen, oft zertifizierten Materialien, produzieren nur auf Bestellung oder in kleinen Serien und setzen auf Langlebigkeit. „Ein Kleid von uns kostet etwa 280 Euro – das steht dann neben einem Kleid aus Asien um 39 Euro“, erklärt Damenschneiderin Anita Nigg. „Viele verstehen erst auf den zweiten Blick, was alles in einem fair produzierten Kleidungsstück steckt – Material, Zeit, Fachwissen, Abgaben. Und dass wir davon leben müssen.“

Tradition bewahren – Tracht gestalten
Eine besonders identitätsstiftende Facette des Berufs ist das Trachtenschneidern. In Regionen wie dem Montafon, Bregenzerwald oder Walsertal ist die Tracht ein lebendiges Symbol kultureller Zugehörigkeit – mit festgelegten Farben, Materialien und Schnitten. Anders als das Dirndl, das modischen Zyklen unterworfen ist, steht die Tracht für Beständigkeit, Gemeinschaft und Regionalität.
Die Herstellung einer traditionellen Tracht ist aufwendig und verlangt besonderes handwerkliches Können: Für Stickereien oder aufwendige Juppen braucht es spezielle Techniken, die nur noch wenige beherrschen. Gearbeitet wird mit edlen Naturmaterialien wie Leinen, Wolle, Seide oder Baumwolle – manchmal ergänzt durch moderne Fasern, um Komfort und Pflege zu erleichtern. „Jemand, der eine Tracht will, ist bereit, Brauchtum zu leben“, sagt Petra Blank. Die Kleidermacher tragen hier nicht nur Verantwortung für das Kleidungsstück selbst, sondern auch für das kulturelle Erbe, das sie mit jedem fertigen Stück weitergeben.
Dieses Engagement wurde nun auch auf internationaler Ebene sichtbar: Im Mai 2025 wurde die Montafoner Frauentracht offiziell in das immaterielle Kulturerbe der UNESCO aufgenommen – ein bedeutender Meilenstein für das regionale Handwerk und ein starkes Zeichen für die Bedeutung gelebter Tradition. Die Montafoner feierten diese Anerkennung mit Stolz – und natürlich in Tracht. 

Zwischen Marktlogik und Idealismus
Während große Modemarken omnipräsent sind, kämpfen lokale Labels um Sichtbarkeit. Online-Shops bieten theoretisch Reichweite, verschlingen aber Zeit und Ressourcen. Viele Kleidermacher setzen deshalb auf Direktvertrieb, Kooperationen oder Workshops. Gleichzeitig fehlt es an politischer und struktureller Unterstützung. Förderungen? Kaum vorhanden.
„Mode wird noch immer als weiblich und damit als ‚Liebhaberei‘ abgetan“, sagt Blank. „Dabei ist das ein ernstzunehmender Handwerks- und Wirtschaftszweig.“ Gerade Frauen, die sich mit viel Mut selbstständig machen, würden selten als Arbeitgeberinnen oder Unternehmerinnen wahrgenommen. Das müsse sich ändern.

Ein Kleidungsstück als Botschaft
Trotz aller Hürden geben die Kleidermacher in Vorarlberg nicht auf. Ihre Arbeit ist Ausdruck einer Haltung, die weit über Ästhetik hinausgeht: für faire Produktionsbedingungen, für regionale Kreisläufe, für die Würde von Handwerk. Viele bieten Kurse an, vermitteln Wissen über textile Materialien oder gestalten Gemeinschaftsprojekte.

Ein Appell an Konsument und Politik
Damit diese Form der Modeproduktion Zukunft hat, braucht es mehr als Idealismus. Es braucht Förderung, faire Rahmenbedingungen – und Konsumenten, die Qualität und regionale Verantwortung erkennen und unterstützen. „Wir brauchen Menschen, die sich fragen: Wer hat meine Kleidung gemacht?“, betont Petra Blank. „Und was ist sie mir wert?“, ergänzt Anita Nigg. Jedes Stück aus lokaler Handarbeit ist ein stilles Statement für mehr Nähe, Achtsamkeit und Identität.

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