Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

Cowboys die with their boots on

Februar 2019

Im Buch „Maximen und Reflexionen zu verschiedenen Themen der Moral und Politik“ des französischen Adeligen Pierre Marc Gaston Duc de Lévis fällt der Satz: „Noblesse oblige“ („Adel verpflichtet“). Von welchen Tugenden des Adels könnte die Gesellschaft heute noch profitieren?

Den Adel als Stand gibt es schon längst nicht mehr. Das ist alles Vergangenheit. Was man von den alten Familien hätte lernen können, ist ein bescheideneres Auftreten und Selbstdisziplin. Ich erzähle gerne eine Geschichte aus der Familie: Als Fürst Adolf Josef zu Schwarzenberg 1913 starb, war er einer der reichsten Männer der Monarchie und Europas. Seine Schwiegertochter besuchte ihn eines Tages im Palais Schwarzenberg. Zum Abendessen gab es eine Knackwurst und eine Flasche Bier. Auf ihr Staunen sagte er zu ihr: „Es ist sehr einfach, ich setze mir einen gewissen Betrag im Monat, den ich verbrauchen darf, wenn ich das überdrehe, muss Schmalhans Küchenmeister sein.“

Inwieweit haben Sie den Adel nicht nur als ein Privileg, sondern auch als Nachteil erfahren? Es gibt von Josef Taus den Satz: „Mit dem Namen nie.“ Ich glaube, er fiel im Zusammenhang mit politischen Ambitionen in den 1960er-Jahren, als Sie den damaligen ÖVP-Reformpolitiker Klaus unterstützten. 

Ach Gott, es sind verschiedene Zeiten! Sagen wir, nach dem Krieg war es etwas mühsamer, heute spielt es keine Rolle mehr.
 
Ihre politische Karriere begann aber erst in Tschechien? 

Karriere – das ist richtig, aber mit Politik beschäftige ich mich seit meiner Kindheit aus dem einfachen Grund: Die Politik beschäftigte sich mit mir.

Ihre Muttersprachen sind eigentlich Deutsch und Tschechisch. Ich habe gelesen, Sie hätten zu Hause einmal eine Woche lang Deutsch gesprochen und eine Woche lang Tschechisch gesprochen?

Um präziser zu sein, Tschechisch ist meine Vatersprache und Deutsch ist meine Muttersprache, da meine Mutter eine Österreicherin war. Es hat einen großen Vorteil, wenn man zwei Sprachen zu Hause spricht. Man genießt die jeweilige Sprache mehr, man entdeckt die Verschiedenheiten und deren Charme. 

Sie sind tschechischer Staatsbürger und Schweizer Staatsbürger, wollten Sie jemals auch Österreicher werden?

Ich hatte einige Zeit darüber nachgedacht, aber ich bin so ungeeignet für Papiersachen wie fürs Vereinsleben. Beides ist langweilig, und dass ich Formulare ausgefüllt hätte …

Sie leben an verschiedenen Orten, haben unterschiedliche Wohnsitze. Das Schloss Obermurau, Scheinfeld im Mittenfranken, das Palais Schwarzenberg am Schwarzenbergplatz, dann in Tschechien das Schloss Grund und Sie haben auch in Prag einen Wohnsitz. Manche Leute sagen, sie wären nie länger als 24 Stunden an einem Ort. Stimmt das?

Das ist übertrieben. Aber eine ganze Woche schaffe ich selten. 

Wenn Sie man fragen würde, wo sind Sie daheim?

Ich habe mehrere Zuhause, auch im Tirolerhof in Wien und in diversen anderen Kaffeehäusern – dort fühle ich mich überall daheim.
Wenn Sie Österreich und Tschechien vergleichen, Sie kennen beide Länder sehr gut, wo sind die Ähnlichkeiten?
Ich behaupte immer, wir sind ein Volk in zwei Sprachen. Auch wenn Sie sich die Namen anschauen, die Anzahl der deutschen Namen in Prag und die tschechischen in Wien. Wir haben dieselben Schwächen, dieselben guten Eigenschaften.

Welche Schwächen wären das?

Erstens, die beiden Länder neigen zu großen Alkoholikern. Zweitens, die beiden Länder sind der Versuchung von Diktaturen bereitwillig unterlegen. Und wir sind beide musikalisch. 

Das wäre die Stärke!

In Prag kriegt man einen Apfelstrudel. In Wien die Buchteln von Böhmen. Die Küche ist fast völlig identisch. Nicht ganz, aber doch. Den Tafelspitz, den gibt’s drüben nicht.

Sie sind seit dem Tode Ihres Onkels, Prinz Joseph, 1979 das Oberhaupt der Familie Schwarzenberg, sozusagen der Chef der Familie. Wie darf man sich das vorstellen? Müssen die Mitglieder der Familie um Genehmigung bei Ihnen nachfragen?

Nein, leider nicht mehr. Bei manchem würde ich sagen „Geh nach Hause, dusche dich zehnmal kalt und überleg mal, ob du dich noch immer heiraten willst.“

Sie wurden 1937 in Prag geboren, verbrachten ihre Kindheit dort, die geprägt war vom Krieg und späterer Flucht. Ihr Vater hat nie für Deutschland votiert, sondern war ein treuer Tscheche. Die Nazis stellten das Vermögen Ihrer Familie unter Zwangsverwaltung. Ihr Besitz wurde völlig konfisziert. Ihr Onkel Adolf musste fliehen. Und Ihr Onkel Heinrich war im Konzentrationslager. 

Ja, Heinrich war in Buchenwald. Mein Vater war ein Offizier und hat dem Land die Treue geschworen. Meine Eltern haben sehr frühzeitig erfasst, wer der Hitler war. Und da gab es keine Kompromisse.

Nach dem Krieg haben Sie im Zuge der Machtübernahme der Kommunisten Ihr gesamtes Vermögen in Böhmen verloren und mussten 1948 mit Ihren Eltern Tschechien verlassen. War das eine Reise in die Armut? 

Armut ist übertrieben. Wir sind bei unserer Großmutter gelandet, im Haus in Strobl am Wolfgangsee. Aber natürlich hat in der Nachkriegszeit jeder nichts gehabt. Es war anders als heute, aber im Prinzip hat uns nichts gefehlt. 

Sie haben immerhin die abgetragenen Kleider des belgischen Königs getragen, waren trotzdem elegant.

Des späteren Königs. König Leopold besuchte uns. Er kannte die Situation und ein paar Tage später kam ein Auto und brachte drei oder vier Anzüge mit. Und damit war ich für die nächsten Jahre ausgerüstet. 

Es war Ihnen offenkundig auch wichtig, immer elegant zu sein, Stil zu haben. Sie wurden sogar einmal von der „Vogue“ unter die bestgekleideten Männer der Welt gereiht.

Alles längst vorbei.

Ihr Markenzeichen ist Ihr Mascherl. Warum haben Sie sich für die Fliege entschieden und gegen die Krawatte?

Zuerst: Ich bin ständig im Flugzeug gesessen. Und um die Wahrheit zu sagen, habe ich mich immer auf der Krawatte angepatzt. Das ist mir auf die Nerven gegangen. Die Masche kann man schwer bekleckern. 

Zu den Nachkriegsjahren in Österreich: Nach dem Studium in München galten sie als Bohemien, unterwegs in der Kunst- und Damenwelt Wiens.

Das ist übertrieben.

Aber Sie waren Teil der Wiener Kunstszene? Der Galerist John Sailer hat mir erzählt, Sie hätten ihm sogar anfangs geholfen, seine Galerie zu finanzieren.

Ich verdanke dem John Sailer wirklich sehr viel, weil er mir Verständnis für die Kunst beigebracht hat. Ich war damals in der Galerie nächst St. Stephan, die Monsignore Otto Mauer leitete, John hat mich mit Prachensky, Rainer, Hollein, tutti quanti bekannt gemacht. 

1968, was hat dieses Jahr für Sie bedeutet?

Die Invasion des Warschauer Paktes. Kurz zuvor bin ich das erste Mal seit unserer Flucht 1948 mit meiner Frau nach Prag gefahren. Es war eine erstaunliche Fahrt. Der Zöllner schaute mich an und sagte: „Wissen Sie, dass Sie in Böhmen einen berühmten Namen haben?“ Ich habe gesagt: „Ja.“ „Sind Sie vielleicht verwandt?“ Ich habe auf Tschechisch geantwortet: „Selbstverständlich, was haben Sie geglaubt?“ Und dachte, sie würden uns zurückschicken. Aber nein, wir durften passieren. Nur eine überzeugte Kommunistin hat uns böse betrachtet. Es war eine wirklich komische Szene.

Haben Sie mit dem Ende des Kommunismus gerechnet, mit dem Ende der bipolaren Welt?

Ich habe damit gerechnet, dass es nicht ewig dauern würde. Mit der raschen Implosion der Sowjetunion, damit habe ich nicht gerechnet. So intelligent war ich nicht, aber auch keine westliche Staatskanzlei hat damit gerechnet.

Sie haben nach der Niederschlagung des Prager Frühlings sowohl ideell als auch materiell Dissidenten und die tschechische Zivilgesellschaft unterstützt. Es gibt da den Begriff „samizdat“. Was hat das bedeutet? 

Das Wort kommt aus dem Russischem, das ist verbotene Literatur, geheim, selbst publiziert. Da war das Dokumentationszentrum in Steinfeld hilfreich.

Václav Havel hat eine wichtige Rolle in Ihrem Leben gespielt. Sie haben als Kanzler für ihn gearbeitet und sein Büro geleitet. Was hat Sie an ihm fasziniert?

Der Mensch. Er war wirklich eine faszinierende, brillante Persönlichkeit, zurückhaltend, mit einem großen Sinn für Humor und sehr bescheiden.

Einer der Devisen Havels lautete „in Wahrheit leben“, also eine Politik sozusagen der praktizierten Sittlichkeit zu vertreten. War das überhaupt möglich diesen Idealismus umzusetzen?

Er hat das getan.

Was ist von ihm geblieben in der aktuellen tschechischen Politik?

Wenig. Verdammt wenig.

Sie haben in Tschechien selbst eine Partei gegründet?

Es ist doch angenehmer.

Man hat Sie einen ewigen Dissidenten genannt. Stimmt das?

Ja. 

Eine klare Antwort … Ich springe jetzt über Ihre Zeit im Senat und Ihre Zeit als Außenminister hinweg, ins Jahr 2013, zur Wahl des tschechischen Präsidenten.

Die habe ich verloren.

Aber Sie sind in die Stichwahl gekommen und viele haben voller Respekt gesagt „überraschend“. Die Stichwahl haben Sie nur relativ knapp verloren. 

Aber verloren ist verloren. 

Es gab auch eine Art Mistkübel-Schmutz-­Kampagne gegen Sie.

Das ist normal.

Als Mitteleuropäer und auch als ein überzeugter Transatlantiker: Machen Sie sich angesichts der Entwicklungen in den USA und Europa, der Migrationskrise, der Schuldenkrise und des grassierenden Populismus, Nationalismus und Protektionismus Sorgen um Europa? 

Ja! Trotzdem: Europa ist das größte und erfolgreichste Projekt, dass wir in den letzten Generationen erlebt haben. Aber es ist wie vieles andere reformbedürftig. Und niemand findet den Mut, das zu sagen. Es gab das alte Österreich. Es war ein sehr ordentlich verwalteter Staat, korrekt und mit eigentlich relativ viel Freiheit, es ist aber trotzdem an seiner Reformunfähigkeit zugrunde gegangen. Das alte Österreich war ab den 1890er-Jahren unreformierbar. Ich sehe nicht ein, warum Streitigkeiten wie um Käse zum Beispiel in Brüssel entschieden werden? Umgekehrt verstehe ich nicht, warum Fragen der Verteidigungspolitik, Sicherheitspolitik oder Außenpolitik national entschieden werden. Wir haben die unwesentliche Dinge Brüssel überlassen und die wesentlichen bei den Nationen belassen. 

Fehlt Ihnen heute die Politik?

Ich gebe zu, was mir fehlt, ist, dass ich nicht mehr aktiv exekutiv sein kann. Diskutieren ist schön, aber wenn man handelt, dann ist das doch etwas anderes.

Geht ein Fürst überhaupt in Pension?

Ich weiß es nicht, ich halte es anders. Ein amerikanisches Sprichwort sagt: „Cowboys die with their boots on.“

Sie haben Besitz und Wohnorte in Österreich, Deutschland und Tschechien. Wo halten Sie sich zurzeit am liebsten auf? 

Wo meinen Enkel sind. Die sind eine große Freude!

Herzlichen Dank für das Gespräch.

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