Herbert Motter

Das verlorene Mienenspiel

Februar 2021

Es herrscht Maskenpflicht. Für manche schwer erträglich, nimmt sie uns doch die frische Luft zum Atmen und einen Teil unserer Art abseits der Sprache zu kommunizieren. Warum Augen, Gestik und Artikulation in der Kommunikation aktuell wichtiger sind denn je.

Normalerweise sind wir es gewohnt, dass wir Menschen dank ihres Gesichtsausdruckes schnell verstehen und – zumindest ein bisschen – einschätzen können. Verdeckt eine Maske – wie in Corona-Zeiten – das Gesicht, fällt eins unserer wichtigsten Kommunikationsmittel weg. Hinter der Maske verschwindet die Hälfte des Gesichts, die Hälfte unseres Mienenspiels. 
„Unser Gesicht ist deutlich beredter als der Rest des Körpers“, erklärt Mimikforscher Stefan Lautenbacher von der Universität Bamberg in der deutschen Apotheker Umschau. Mimik bestehe grob gesagt aus zwei Bereichen: das Feld um den Mund herum, das viel signalisiert, und das Feld um die Augen herum, das bis in die Stirn hinein geht. „Wir können die Augenbrauen hochziehen, die Stirn runzeln, die Augen eng stellen oder öffnen.“
Maskenpflicht schützt den Träger und sein Gegenüber, bringt aber auch Verwirrung in den Alltag. Aus einer aktuellen Studie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg lässt sich ableiten, dass Gesichtsmasken es quasi unmöglich machen, Emotionen des Gegenübers richtig zu deuten. Testpersonen der Studie bewerteten glückliche, traurige oder wütende Gesichtsausdrücke oft als „neutral“, wenn die Mundpartie durch eine Maske abgedeckt war. Sie hatten also kein verlässliches Gespür mehr für den emotionalen Zustand ihres Gegenübers.
Das ist nicht zu unterschätzen, denn Menschen haben seit jeher das Bedürfnis, ihre Gefühle zu transportieren, schließlich haben sie auch Emojis erfunden, um ihre Kurznachrichten anzureichern. Wir schicken sie mit, damit der andere versteht, wie getippte Worte emotional gemeint sind.
Kommunikation ist weit mehr als nur das gesprochene Wort, sondern ein Zusammenspiel von Worten, Mimik, Gestik und Körpersprache. Diese Merkmale entscheiden darüber, wie wir etwas wahrnehmen. Ein Mensch lächelt, aber an den Augen tut sich nichts? Jemand übt Kritik, hat dabei aber ein breites Lächeln im Gesicht? Je nachdem, wie Mimik, Gestik und Körpersprache ausfallen, kann das Gesagte in die eine oder eine ganz andere Richtung gedeutet werden. Durch das Tragen von Mund-Nasen-Masken geht die Mimik allerdings nahezu komplett verloren. Die Folge: Unsicherheit in der Kommunikation und Missverständnisse. Es sind häufig kleine Gesten, feine Mimik, die uns helfen, einander zu verstehen. Sie helfen einzuordnen, ob wir der anderen Person trauen, sie mögen. Diese feinen Signale verändern sich durch den Mund-Nasen-Schutz und machen das Leben für einige Menschen anonymer.
Mit der besagten Studie wird deutlich: „Emotionen hinter der Maske sind nicht mehr lesbar“, sagt der Wahrnehmungspsychologe Claus-Christian Carbon, Professor für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre an der Universität Bamberg, im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Jetzt, wo man das wisse, müsse man sich etwas Neues überlegen. Dem österreichischen Philosophen und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick zufolge kann der Mensch nicht nicht kommunizieren. Selbst wer im besetzten Fahrstuhl wortlos auf den Boden starrt, sendet eine Botschaft: „Ich will keinen Kontakt. Lasst mich in Ruhe!“
 „Sie erkennen einen Menschen nicht einfach an den Augen oder dem Mund, sondern an der Konfiguration, also den Abständen, der räumlichen Zuordnung der einzelnen Teile eines Gesichtes“, erläutert Lautenbachers Kollege Carbon ein weiteres Problem. „Wir nehmen ein Gesicht grundsätzlich holistisch auf, also ganzheitlich.“ Allerdings erst ab einem Alter von etwa zehn, zwölf Jahren – so lange dauere der Lernprozess. „Wenn uns jetzt aber ein Teil durch die Maske einfach weggeschnitten wird, funktioniert diese holistische Verarbeitung nicht richtig, weil uns entscheidende Informationen fehlen“, erläutert Carbon.
Der Schweizer Kommunikationstrainer Stefan Häseli betont: „Eine alte Weisheit heißt: ‚Sie können einen Menschen schlagen – mit Blicken können Sie ihn treffen‘. Wertschätzung und Aufmunterung passiert genau wie Abneigung über den Blick. Die Bandbreite der Ausdrucksmöglichkeiten unserer Augen ist enorm. In den aktuellen Maskenträger-Zeiten ist dieses Wissen entscheidend – für beide Seiten. Wer Maske trägt, muss sich bewusst sein, dass die Augen das verbliebene Transportmittel von Aussagen und Botschaften sind. Was jemand fühlt, wird weder vom Mund noch von sonstigen Gesichtsmuskeln vertuscht oder verstärkt. Wer in ein Maskengesicht schaut, konzentriert sich auf den Blick, um zu verstehen, was da in der Beziehung im buchstäblichen Augenblick abgeht.“ Solange uns die Maske in der Alltagskommunikation begleitet, brauche es volle Präsenz.
„In asiatischen Ländern, in denen das Tragen der Maske längst gang und gäbe ist, unterstützen die Menschen das, was sie sagen, noch mit einer Geste. Vorerst wirkt das affektiert, denn wir sind es nicht gewohnt und haben es noch nicht geübt“, sagt Häseli.
„Mit der Maske müssen wir wohl Emotion deutlicher zeigen, damit andere mitkriegen, was wir meinen“, betont Claus Lamm, Professor für Biologische Psychologie an der Universität Wien. Auch er ist überzeugt, dass man andere Wege finden müsse, wie man seine inneren Zustände vermittelt. „Man kann relativ viel über Augen, Körperhaltung und Sprachtönung kommunizieren.“
Es werden wieder andere Zeiten kommen, um unserer Emotion Ausdruck zu verleihen. Dann ohne dem Verstecken hinter einer Maske!

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