Manfred Tschaikner

Er (geb. 1957 in Bludenz) ist Archivar und Historiker am Vorarlberger Landesarchiv in Bregenz.

Die Hexenverfolgung in Vorarlberg

September 2018

In den 150 Jahren zwischen 1528 und 1677 standen auf dem Gebiet des heutigen Vorarlberg mehr als 200 Personen im Zuge von Hexenverfolgungen vor Gericht. 122 davon wurden nachweislich hingerichtet, sieben weitere starben im Kerker, 51 wurden freigesprochen und eine des Landes verwiesen. Bei etlichen Angeklagten ist der Ausgang des Gerichtsverfahrens unbekannt. Auch aufgrund möglicher Quellenverluste ist anzunehmen, dass sich die tatsächliche Zahl der Todesopfer auf mindestens 140 belief. Etwa ein Drittel der Gerichtsverfahren endete übrigens mit Freisprüchen oder Freilassungen.

Das Opfer der ersten dokumentierten Hexenverfolgung in Vorarlberg um 1498/99 war die Mutter des späteren kaiserlichen Hofhistoriographen Dr. Jakob Mennel aus Bregenz. Für das Jahr 1528 ist in Bludenz ein erster regulärer Hexenprozess bezeugt. Er wurde gegen eine Frau aus Latz bei Nenzing namens Elsa Gottschälkin geführt. Während sich alle Gerichtsverfahren davor gegen Einzelpersonen gerichtet hatten, kam es um die Mitte des 16. Jahrhunderts in den Herrschaften Bregenz und Feldkirch nunmehr zu Hexenprozess- Serien. Diese fanden im überregionalen Vergleich früh statt und betrafen besonders stark den Bregenzerwald. Dort wurden später keine Hexenprozesse mehr geführt. 

In den Siebzigerjahren des 16. Jahrhunderts setzten die gerichtlichen Hexenverfolgungen neuerlich ein und fanden kurz vor 1600 ihren zweiten Höhepunkt. Dabei kam es vor allem in Dornbirn zu schweren gesellschaftlichen Konflikten, sodass sogar Kaiser Rudolf II. in Prag mit einem Mandat mäßigend eingriff. Während die Gerichtsverfahren im südlichen Vorarlberg 1604 endeten, fand fünf Jahre später in Bregenz die größte Hexenprozess-Serie der Vorarlberger Geschichte statt. In deren Gefolge wurden 16 Personen verbrannt. 1615 forderten die Bregenzer Hexenprozesse weitere zehn Todesopfer. Zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) hingegen führte man nur wenige solche Gerichtsverfahren. Insgesamt erfolgten damals vier Hinrichtungen. 

Ein dritter Höhepunkt der Hexenverfolgungen fand zwischen 1640 und 1657 statt. Die letzten Todesurteile in den österreichischen Herrschaften vor dem Arlberg fällte dabei ein Gericht unter Vorsitz des Feldkircher Hubmeisters im Jahr 1651. Betroffen waren acht Frauen aus dem Gericht Rankweil-Sulz, darunter auch eine Adelige, deren Hinrichtung dem Hubmeister in der Folge große Probleme verursachte. Sie bildeten einen der Beweggründe für die Errichtung der Gnadenkapelle auf dem Rankweiler Liebfrauenberg. Bei den letzten Hexenprozessen in den österreichischen Herrschaften wurden 1656/57 in Bregenz alle drei Angeklagten aus dem Gericht Hofsteig freigesprochen. 

In der reichsunmittelbaren – also nicht zu Österreich gehörenden – Grafschaft Hohenems fanden 1630/31, 1649/50 und 1653 zwölf Menschen im Gefolge von Hexenprozessen den Tod. Hier und im Reichshof Lustenau wurden 1677 die letzten Gerichtsverfahren dieser Art auf dem Boden des heutigen Vorarlberg geführt. Sie kosteten in Hohenems weiteren fünf Frauen und in Lustenau einer Person das Leben. 

Das letzte Vorarlberger Opfer der Hexen- und Zaubereiprozesse war Gerold Hartmann. Er stammte vom Frastanzerberg und wurde als Kaplan in Schaan des Teufelspakts verdächtigt. Nachdem er drei Jahre lang in Chur und Mailand als Zauberpriester inhaftiert gewesen war, konnte er trotz eines päpstlichen Freispruchs 1682 seine Stelle nicht wieder antreten, da die Entscheidung zu seinen Gunsten an seiner früheren Wirkungsstätte nicht respektiert wurde. 

Bei den Angeklagten der Vorarlberger Hexenprozesse handelte es sich zu fast 90 Prozent um Frauen. Im europäischen Durchschnitt belief sich der weibliche Anteil auf etwa 75 Prozent. Der hohe Wert in Vorarlberg erklärt sich wesentlich damit, dass die gerichtlichen Verfolgungen hierorts früher als in anderen Ländern stattfanden. Später stieg nämlich der Anteil des männlichen Geschlechts allgemein stark an. Dass Frauen, deren Tätigkeit die heiklen Lebensbereiche der Geburt, Ernährung und Krankenpflege umfasste, auch in der Bevölkerung weitaus öfter mit Schadenzauber in Verbindung gebracht wurden als Männer, zeigte sich schon bei alltäglichen Konflikten. Das Gegenstück zur Bezichtigung von Frauen als Hexen bildete bei Männern die Anschuldigung von Ketzerei im Sinn von Sodomie, also sexueller Devianz. 

Die Opfer der Hexenverfolgungen in Vorarlberg stammten fast ausschließlich aus den Unter- und Mittelschichten der dörflichen, vereinzelt auch der städtischen Bevölkerung. Nach der Drohung, Vertreterinnen der Oberschicht in Prozesse zu verstricken, endeten manche Hexenverfolgungen. Bezüglich deren Intensität bestanden große regionale Unterschiede. Am stärksten betroffen waren die Gerichte Hofsteig und Dornbirn. Das einzige umfangreichere Territorium auf dem Gebiet des heutigen Vorarlberg, wo keine Hexenprozesse dokumentiert sind, bildete die reichsfreie Herrschaft Blumenegg, und zwar schon bevor sie 1613/14 vom Reichsstift Weingarten erworben wurde. Als treibende Kraft hinter den regionalen Hexenverfolgungen wirkten weder die geistlichen noch die weltlichen Obrigkeiten, sondern Teile der Bevölkerung. Theologen und Rechtsgelehrte hatten allerdings die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich Menschen in besonderen Krisenzeiten, als die gewöhnlich angewandten magischen Abwehrmittel nicht mehr für ausreichend erachtet wurden, mit den schärferen Waffen des Hexenprozesses gegen ihre vermeintlichen Schädiger zur Wehr setzen konnten. Dabei gehörte es zum Wesen der Hexenvorstellung, dass sich fast jedes asoziale Verhalten als Indiz dafür auslegen ließ. Es war somit nicht vonnöten, Hexereiverdächtigungen gegen besseres Wissen nur etwa aus Hass oder Habgier zu verbreiten. In Vorarlberg finden sich jedenfalls keine Belege für eine solche Vorgangsweise. 

Hexenprozesse führten hier nur die regulären weltlichen Gerichte, und zwar in Form gewöhnlicher Strafverfahren, die allerdings aufgrund des schwer nachweisbaren Tatbestandes oft erhöhte Anforderungen und Kosten bedingten. Die dabei angewandte „Inquisition“ bildete eine allgemein gebräuchliche Verfahrensweise zur Erhebung von Beweisen, bei der man eben „inquirierte“, also nachforschte. Sie darf nicht mit der gleichnamigen kirchlichen Behörde verwechselt werden, deren Aufgabe es war, Ketzer ausfindig zu machen und zu bestrafen. 

Obwohl auch hierzulande der Wunsch weiter Bevölkerungskreise nach Vernichtung magisch wirkender Schädiger noch lange bestehen blieb, fanden die gerichtlichen Hexenverfolgungen in den österreichischen Gebieten Vorarlbergs im Vergleich zu den meisten Nachbarländern schon früh – nämlich kurz nach der Mitte des 17. Jahrhunderts – ein Ende. Den Hauptgrund dafür bildeten nicht etwa aufgeklärte Einsichten der landesfürstlichen Beamten. Als maßgeblich erwiesen sich vielmehr deren eingeschränkte Kompetenzen, wodurch die Gerichtsverfahren wegen Hexereiverdachts einen hohen Aufwand erforderten und dadurch besonders umständlich sowie teuer wurden. Die letzten „erfolgreichen“ Hexenprozesse auf Vorarlberger Boden fanden deshalb bezeichnenderweise in Territorien statt, wo die landesfürstlichen Behörden in Innsbruck entweder nur über geringe oder gar keine gerichtlichen Kompetenzen verfügten. Das waren einerseits die Herrschaft und die Stadt Feldkirch, andererseits die reichsfreie Grafschaft Hohenems und der Reichshof Lustenau. 

Während die Verfolgungsintensität in Vorarlberg im Vergleich zum übrigen Österreich weit über dem Durchschnitt lag, erscheint sie gegenüber dem benachbarten Prättigau und gegenüber Liechtenstein als durchaus maßvoll. Dort blieben die damaligen Ereignisse denn auch noch lange in der volkstümlichen Erinnerung verankert. In Liechtenstein wurden die ehemaligen Hexenverfolger und ihre Nachkommen sogar bis in 20. Jahrhundert als sogenannte „Tobelhocker“ gesellschaftlich ausgegrenzt. In Vorarlberg hingegen sind keine unmittelbaren Nachwirkungen der Hexenverfolgungen bis in die Gegenwart bekannt. Auch die überlieferten Sagen beziehen sich nicht unmittelbar auf die historischen Ereignisse. 

Die einzige Erinnerung daran findet sich im Brauchtum. So werden in Vorarlberg jährlich zu Beginn der Fastenzeit auf den sogenannten Funken unter großer Anteilnahme der Bevölkerung Hexenpuppen verbrannt, was wie eine Rechtfertigung der früheren Ereignisse erscheint. Das Gegenteil dieser Pietätlosigkeit bilden Rehabilitierungsbestrebungen, die vornehmlich der ahistorischen Bestätigung eigener Wertvorstellungen und damit der moralisch-politischen Selbstinszenierung dienen. Besser wäre es, manche für uns als unumstößlich geltende Gewissheiten – wie früher eben die Existenz von Hexen – dahingehend zu überprüfen, ob es sich nicht um verderbliche Schimären handelt.

Schicksale am Beispiel der Familie Dünser

Über das Leben der Frauen und Männer, die als Hexen oder Hexer verfolgt wurden, ist zumeist nur wenig bekannt, da sie zum größten Teil aus den unteren Schichten der Bevölkerung stammten und vielfach erst aktenkundig wurden, als man sie für straffällig hielt. Ein wesentliches Kriterium für die Verdächtigung, in das schwer nachweisbare Verbrechen der Hexerei verstrickt zu sein, bildete dabei neben längere Zeit hindurch festgestellter gesellschaftlicher Devianz die Abstammung von oder Verwandtschaft mit entsprechenden Personen, das heißt die Vorstellung einer sozialen Vererbbarkeit und biologischen Vererblichkeit von schlechten Eigenschaften. Dass auch Letztere möglich sei, bestätigten den Menschen ihre Erfahrungen bei der Tierzucht. 

Opfer dieser Überzeugung wurden bei den Bludenzer Hexenprozessen von 1597 etliche Mitglieder der Familie Dünser aus Brand. Nachdem Barbara, die mit Hieronymus Barbisch im Montafon verheiratet war, von einer inhaftierten Frau aus dieser Talschaft unter der Folter als Teufelsgespielin bezichtigt worden war, gab sie zu Protokoll, auf Geheiß ihrer Mutter eine Hexe geworden zu sein. Damit lag es nahe, dass auch Barbaras Schwester Elsa in die Mühlen des Hexenprozesses geriet, der für beide Frauen mit der Verbrennung endete. Bald darauf stellte man Elsas Ehemann wegen Verdachts der Hexerei vor Gericht. Er bezichtigte dabei eine dritte Schwester aus der Familie Dünser dieses Verbrechens, nämlich Anna, die aber schon vor einiger Zeit im Prättigau verstorben sein sollte. Eine weitere Frau namens Anna Dünserin, deren Verwandtschaftsverhältnis zu den Hingerichteten in den Akten nicht angeführt ist, überstand die Folterungen und kam schließlich frei. 

Über einen längeren Zeitraum hindurch ist ein solches Familienschicksal auch in Hohenems dokumentiert. Es prägte das Leben der am 15. Oktober 1616 als Tochter Hans Kuens und der Katharina Türtscherin in Hohenems geborene und später mit Hans Grabher verheirateten Barbara Kuenin. 1631 wurden ihre Großmutter Frena Fenkartin und die Schwester ihrer Mutter, Walpurga Türtscherin, als Hexen verbrannt. Der Großvater Jörg Türtscher kam damals nach einem langen Gerichtsverfahren unter strengen Auflagen frei. 1650 ließ das Gericht Barbaras Mutter Katharina Türtscherin als Hexe hinrichten. Barbara selbst war schon einmal bei der Verhaftung ihrer Großeltern kurz gefangen genommen worden und stand in den Augen vieler Mitmenschen wohl zeitlebens im Verdacht, von derselben Art wie ihre verbrannten Verwandten zu sein. Nachdem sie eine Angeklagte bei den Gerichtsverfahren im Sommer 1677 als Gespielin denunziert hatte, wurde sie schließlich im Herbst dieses Jahres – zusammen mit der aus der Schweiz stammenden Katharina Brunnerin – ein Opfer der letzten Hexenprozesse in Vorarlberg. Die Vorstellung von sogenannten „reinen Familien“ und „Hexensippen“ bestand noch lange Zeit weiter.

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