Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Die reichen Nachbarn der Landesbibliothek

März 2024

In Bregenz wird eine Luxusimmobilie angeboten, aber es findet sich kein Käufer, der den hohen Preis bezahlen will. So geschehen 1899, als die Villa Raczynski oberhalb von Bregenz mit ihrem prachtvollen Schloss, den zahlreichen Nebengebäuden sowie rund sechs Hektar Grund, trotz mehrerer Versuche, keinen zahlungskräftigen Interessenten fand. Sogar ein ausführliches Exposé wurde gedruckt, um die zahlreichen Vorzüge des Anwesens anzupreisen.
Auf 60 Seiten, in französischer Sprache und reich bebildert, wurden die Gebäude und die Infrastruktur beschrieben. Es beginnt mit der Verkehrslage Vorarlbergs, die sowohl mit dem Schiff als auch mit dem Zug hervorragend sei, und setzt mit der Charakterisierung der ansässigen Bevölkerung fort, die arbeitsam, konservativ und resistent gegen sozialistische Ideen sei. (rebelle aux ideés subversives et aux doctrines socialistes). Die Beschreibung des Anwesens beginnt mit Zahlen und Fakten: 60.674 Quadratmeter Grund, davon 19.000 Quadratmeter Gartenfläche, 29.000 Quadratmeter Rasen und 6000 Quadratmeter Wald. Es folgt die Aufzählung der imposanten Gebäude: die eigentliche Villa mit 34 Metern Länge und 20 Metern Breite, das Haus für die Angestellten von ähnlicher Größe, ein Gewächshaus, Stallungen, ein Pförtnerhaus, ein Eiskeller sowie zwei Kegelbahnen, eine überdachte und eine Freiluftbahn. Das Haupthaus sei im Stile von Louis XV. erbaut und erlaube es neben der Wohnfunktion auch in verschiedenen Salons Empfänge und Feste für zahlreiche Gäste auszurichten. Abschreckend für potenzielle Käufer waren neben dem hohen Kaufpreis sicher auch die erwartbaren Folgekosten, sorgten doch vor dem Verkauf 60 Bedienstete dafür, dass Haus und Hof in Schuss blieben und die Besitzer ein luxuriöses Leben führen konnten. 
Die Herrschaften, die die wunderschöne Villa, wahrscheinlich Schloss Linderhof von Ludwig II. nachempfunden, und den wunderschönen Garten erbauen und gestalten ließen, waren Carl Eduard Graf Nalecz Raczynski und seine Frau Karolina, geboren als Prinzessin von Oettingen-Wallerstein, aus der Nähe von Nördlingen stammend. Anlässlich einer Reise hatte das kinderlose Paar in Lindau übernachtet, wobei die Gräfin vom gegenüberliegenden Ufer des Bodensees so entzückt war, dass sie sich nichts mehr wünschte, als dort sesshaft zu werden. 
Der Graf erfüllte seiner Frau zwei Jahre vor der silbernen Hochzeit diesen Wunsch, kaufte am Fuß des Gebhardsbergs landwirtschaftlichen Grund und innerhalb von zwei Jahren wurde eine prachtvolle Villa und eine ganze Reihe weiterer Gebäude errichtet, die er ihr 1876 zum 47. Geburtstag schenkte.
Der Graf stammte aus altem polnischem Adel, verfügte über große Besitzungen in Galizien und galt als steinreich. Die Villa Raczynski entwickelte sich bald zu einem Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens in Bregenz, da dort immer wieder große Feste ausgerichtet wurden, bei der sich die hohe Beamtenschaft und der Adel der Umgebung trafen. So wurde etwa im September 1879 ein großartiges Feuerwerk zum Geburtstag der Gräfin abgebrannt, das in ganz Bregenz bestaunt werden konnte. Graf und Gräfin nahmen auch aktiv am kulturellen Geschehen in der Stadt teil, so besuchten sie oft das Theater, wo die erste Zuschauerreihe für sie reserviert war. Leider ist nicht bekannt, ob sie auch Beziehungen zur Familie Poellnitz pflegten, die damals das benachbarte Schlösschen Babenwohl, heute Verwaltungsgebäude der Landesbibliothek bewohnte. Vielleicht war doch die konfessionelle Schranke zu hoch, waren die Raczynskis doch sehr katholisch geprägt, während Ernest von Poellnitz den protestantischen Glauben nach Vorarlberg gebracht hatte und sogar für den Bau der benachbarten Heilig-Kreuz-Kirche gesorgt hatte.
Als die Gräfin 1898 nach längerer Krankheit einem Schlaganfall erlag, kehrte auch der Graf Bregenz den Rücken, kehrte in seine polnische Heimat zurück und verstarb schon bald nach ihr 1899.
Er vermachte der Stadt Bregenz die enorme Summe von 20.000 Gulden für Verschönerungszwecke, was ihm die Ehre einbrachte, dass ein Aussichtsplatz nahe der heutigen Landesbibliothek nach ihm benannt wurde: Raczynski-Ruhe (auf dem offiziellen Wegweiser steht dort leider komplett falsch geschrieben Racinsky statt Raczynski und ich werde den Artikel zum Anlass nehmen, den Fehler korrigieren zu lassen). Es war nun die Aufgabe eines Neffen, gleichzeitig Erben des Grafen, das Anwesen zu verkaufen, was dann allerdings ganze fünf Jahre dauerte, und das bei einem kontinuierlich sinkenden Preis. 
Schließlich entschloss sich der Dominikanerinnenorden aus Lauterach an der Versteigerung im Sommer 1904 teilzunehmen, und da der Aufruf der Priorin, etwaige Konkurrenten „wegzubeten“, offensichtlich gefruchtet hatte, wurden die Schwestern stolze Besitzerinnen des Anwesens. Sie hatten bis dahin in Lauterach, im heutigen Redemptoristinnen-kloster, eine Mädchenschule unterhalten, die noch 1904 samt dem Internat in die Villa verlegt wurde. Die Dominikaner-innen nannten ihre neue Heimat „Marienberg“, da schon zu Zeiten der Grafenfamilie eine Statue der Muttergottes mit Kind ihren festen Platz an der Fassade der Villa hatte.
Kontinuität und Wandel prägen seither Marienberg. Beständigkeit garantieren bis heute die Dominikanerinnen, die viele Jahre auch die Leitung der Schule innehatten. Nur zwischen 1938 und 1945 wurde den Schwestern die Schulen entzogen und verstaatlicht, die Gebäude während des Kriegs als Lazarett genutzt und in der Besatzungszeit als Heim für französische Mütter und Kinder verwendet. Die Schwestern waren es auch, die sich durch den Verkauf zweier Häuser in der Schweiz finanziell in die Lage versetzten, die Villa und die Parkanlage nach den Vorgaben des Denkmalschutzes vorbildlich zu restaurieren. Obwohl sie heute im Schulalltag nicht mehr präsent sind, beeinflussen sie bis heute weltanschaulich die Schulen, bekennt sich doch der diözesane Schulträgerverein öffentlich dazu, auf „Grundlage und Zielsetzungen des katholischen Weltbildes im Geiste des Ordens der Dominikaner-innen“ zu agieren.
In den Schulen Marienbergs kam es zu großen Veränderungen: Über viele Jahre hinweg hatten die Hauswirtschaftlichen Schulen Marienbergs einen festen Platz in der Vorarlberger Schullandschaft, in den vergangenen Jahren kamen dann in rascher Folge auch eine private Volks- sowie Mittelschule hinzu, zu der sich in naher Zukunft auch noch eine gymnasiale Oberstufe gesellen soll. Jedenfalls werden immer mehr der ursprünglichen gräflichen Bauten für Schulzwecke verwendet, so tummeln sich schon heute in der prunkvollen Villa Raczynski die Schüler und Schülerinnen der privaten Volksschule.

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