Verena Konrad

Kunsthistorikerin und Architekturtheoretikerin

(Foto: © Darko Todorovic)

Freiräume: mehr als nur Kompensation

September 2017

Freiräume, also Flächen und Gebiete, die nicht bebaut sind, gleichen den sich verdichtenden Siedlungsraum aus. Sie sind Freiräume im eigentlichen Sinn, unter freiem Himmel, im Freien.

Ganz oben auf der Wunschliste steht bei vielen Österreicher/innen das „Wohnen im Grünen“. Das Wort „grün“ muss dabei für Vieles herhalten und vielfältig sind auch die Antworten, die sich baulich aus diesem Wunsch ergeben. „In Vorarlberg wohnt ein nicht unerheblicher, jedoch kleiner werdender Teil der Bevölkerung in Einfamilienhäusern mit Gärten. Allen anderen steht keine eigene private Grünfläche zur Verfügung und sie sind auf öffentliche und halböffentliche Räume angewiesen, wenn sie ins Freie wollen. Allerdings benutzen beide Gruppen diese Frei- und Grünräume innerhalb und außerhalb der Wohngebiete zum Sport, zur Erholung, als Treffpunkt, zum Flanieren, zum Spielen. Der Bedarf an dieser Versorgung steigt nicht nur, weil sich viele einen eigenen Garten nicht mehr leisten können oder wollen, sondern auch, weil die Bebauungsdichte immer weiter ansteigt und dadurch die Wohnungen selbst kleiner werden. Daraus resultiert, dass der Freiraum zunehmend gemeinschaftlich ausgleichende Funktionen übernehmen muss.“, schreibt Lilli Lička. Die Landschaftsarchitektin mit Vorarlberger Wurzeln unterrichtet neben ihrer Berufspraxis seit vielen Jahren an der Universität für Bodenkultur in Wien. Seit 2003 leitet sie das dort angesiedelte Institut für Landschaftsarchitektur. Für die aktuelle Ausstellung im Architekturinstitut hat sie sich mit dem Themenfeld „Soziales Grün“ beschäftigt. „Die Bereitstellung von Freiraum und Landschaft, ihre Qualität und Sicherung sind wichtig für Lebensqualität. Obwohl im ländlich geprägten Gebiet ausreichend Grün vorhanden zu sein scheint, ist die Anzahl an gut erreichbaren, öffentlich zugänglichen und nutzbaren Freiräumen eingeschränkt. Fast die gesamte Kulturlandschaft, die auch unterhalb der Berg- und Alpregion einen grünen Eindruck erzeugt, ist landwirtschaftlich genutzt. Landwirtschaftliche Gebiete sind nur auf Feld- und Wanderwegen betretbar. Das bedeutet, dass auch hier öffentlicher Raum aktiv zur Verfügung gestellt werden muss.“

Soziales Grün: Selbstversorgung, Erholung und Kommunikation

Schon seit über 150 Jahren kursiert die These, dass die Versorgung von Städten und Siedlungen mit einfachen und gut nutzbaren Grünräumen notwendig sei. Realisiert findet sie sich etwa in Gärten von Wohnsiedlungen, Parkanlagen oder Gemeinschaftsgärten. „Die sich derart in einer funktionalen Gestaltung ausdrückende Haltung zur sozialen Versorgung hat in Vorarlberg nicht gegriffen. Öffentliche Stadtparks dienten hier zunächst der Repräsentation und bürgerlichen Erholung, etwa der Park um die Volks- und Bürgerschule, der 1887 in Bludenz eröffnet wurde, oder der Kurpark (Tschavollpark) in Feldkirch von 1875. Sie sind mit prachtvollen Bäumen wie Orientbuchen und Weymuthskiefern, Linden und Rosskastanien sowie mit Schmuckbeeten ausgestattet und sollten in erster Linie der erbaulichen Betrachtung dienen. Zu urbanen Erholungsräumen sind auch die Seeanlagen in Bregenz zu zählen. Wollte die Bregenzer Stadtvertretung die Bahntrasse am See entlang geführt sehen so musste später der Streifen, der übrig geblieben war, für die Öffentlichkeit gerettet werden.“ Öffentlicher Raum ist nur dann öffentlich, wenn er auch im Eigentum der öffentlichen Hand steht. „Parkanlagen zu errichten ist immer mit der Verfügbarkeit oder dem Erwerb von Grundstücken verbunden. Die Stadt Dornbirn hat für die Errichtung des neuen Stadtgartens das Gelände der Firma Rüsch erworben. Andere Vorarlberger Städte haben zur Versorgung mit Parks und Grünflächen auf bestehende, historisch bedeutsame und private, nicht aber feudale Gärten, zurückgegriffen – was einen wesentlichen Unterschied zu den lokalen Bedingungen anderer Städte und Regionen ausmacht. „Die Stadt Bregenz erwarb die Villa Thurn und Taxis bereits im Jahr 1915. Die Stadt Feldkirch ließ in einem Parkpflegewerk für den Margaretenkapf ein gesamthaftes Entwicklungskonzept für einen wichtigen stadtnahen öffentlichen Erholungsraum erstellen, nachdem sie Grundstücke aus dem Nachlass des ursprünglichen Parkbesitzers erworben hatte. In derlei Aufgaben verschränkt sich die Zielsetzung der Gartendenkmalpflege, kulturell wertvolle historische Gärten für die Nachwelt erlebbar zu machen, mit der zeitgenössischen Aufgabe, gut gestalteten und tragfähigen Erholungsraum für die Bevölkerung bereitzustellen.“

Spielräume für den Wohnbau

Sichtbar wurde „Soziales Grün“ in Vorarlberg in den Gärten der Arbeiterwohnsiedlungen, die durch die Textilindustrie entstanden. Themen waren Erholung und Begegnung für die zugezogenen Arbeiter/innen wie auch Selbsterhaltung durch Kleintierhaltung und Gemüseanbau. Wohnanlagen von Genossenschaften orientierten sich lange am Vorbild der Südtiroler-Siedlungen, die ein gut funktionierendes Programm für Außenanlagen und Freiräume kannten. Landschaftsarchitektur spielt aktuell wieder vermehrt eine Rolle in der Gestaltung der Außenanlagen von Wohnbauten. Zum Programm hinzu kommen Spielanlagen, im Idealfall als Begegnungs- und Aufenthaltsbereich konzipiert, die allen Bewohner/innen, egal welchen Alters, Erholung und Anregung bieten. Besonders die Verschränkung von halböffentlichen und privaten Räumen im Sinne einer qualitätsvollen Entwicklung von Quartieren wird auch für Vorarlberg immer wichtiger. Wer gute Freiräume will, muss sich darum kümmern. Hier gäbe es noch ausreichend Spielraum für neue Projekte.

Gestaltung für das Leben

Wenn es um den öffentlichen Grünraum geht, spielen neben Parks und Plätzen vor allem Straßenräume eine Rolle. „Im ursprünglichen Konzept der Fußgängerzone Marktplatz/Marktstraße in Dornbirn von 1986 sind diese Voraussetzungen gegeben. Bewegung ist allen möglich, das Stadtzentrum ist ein wichtiger Begegnungsort geworden.“ Auch andere innerstädtische Straßen in Vorarlberg sind verkehrsfrei gemacht und zu urbanen Aufenthaltsräumen umgestaltet worden, etwa   Leutbühel und Kornmarktplatz in Bregenz oder die Begegnungszone im Jüdischen Viertel in Hohenems. All diese Räume haben eines gemeinsam: Sie verbinden gesellschaftliche Ansprüche mit Maßnahmen, die auch ökologisch Sinn machen. Am Ende entscheidet nicht die Anzahl der Bäume.

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