
Hört auch die Leisen!
Wie geht’s der Demokratie? Eine dieser Fragen, die man gerne stellt, wenn man eigentlich etwas anderes meint. Nämlich: Wie geht es uns mit der Demokratie? Und da wird es schon etwas komplizierter.
Auf dem Papier sieht alles ganz gut aus. 90 Prozent der Menschen in Österreich sind der Ansicht, dass die Demokratie die beste Staatsform sei. Das klingt nach einem stabilen Fundament. Doch bei näherem Hinsehen zeigen sich Risse. Nur ein Drittel fühlt sich im Parlament gut vertreten. Zwei Drittel wünschen sich mehr Informationen über politische Prozesse. Neun von zehn Österreicherinnen und Österreichern fühlen sich in politischen Fragen nicht gehört. Politische Entscheidungen würden über die Köpfe der Menschen und der Betroffenen hinweg gefällt. Besonders jene, die ohnehin wenig haben – Einkommen, Sicherheit, Einfluss – fühlen sich politisch abgehängt. Das ist kein Randphänomen. Es ist ein strukturelles Problem.
Demokratie lebt nicht davon, dass man sie gut findet. Sie lebt davon, dass man sich in ihr wiederfindet. Dass man das Gefühl hat: Ich bin gemeint. Ich werde gehört. Ich kann etwas bewirken. Fehlt dieses Gefühl, wird Demokratie zur Fassade. Man geht noch wählen, aber nicht mehr mit Überzeugung. Man hört noch zu, aber nicht mehr hin. Man lebt im System, aber nicht mehr mit ihm.
Und das ist gefährlich. Nicht, weil morgen alles zusammenbricht – sondern weil schleichende Entfremdung schwerer zu reparieren ist als offener Protest.
Was tun?
Zunächst einmal: zuhören. Nicht nur denen, die laut sind. Viel wichtiger sind jene, die leise geworden sind. Die sich zurückgezogen haben, weil sie das Gefühl haben, dass ihre Stimme ohnehin nichts zählt. Die nicht mehr mitreden, weil sie glauben, nicht gemeint zu sein.
Dann: erklären. Dass Politik komplex ist, ist keine neue Erkenntnis. Aber wenn zwei Drittel der Menschen sagen, sie wüssten zu wenig über parlamentarische Abläufe, dann liegt das nicht an mangelnder Bildung. Es ist ein Kommunikationsproblem. Und zwar eines, das sich nicht mit ein paar Infografiken auf Social Media lösen lässt.
Und schließlich: ernst nehmen. Nicht nur die Kritik, auch die Erwartungen. Menschen wollen nicht weniger Demokratie. Sie wollen eine, die funktioniert. Eine, die sie versteht. Eine, die sie mitgestalten können.
Das ist keine Kleinigkeit. Das ist Arbeit. Und zwar tägliche.
Vielleicht ist genau das der Punkt: Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie ist kein Zustand, den man einmal erreicht und dann verwaltet. Sie ist ein Prozess. Ein ständiges Aushandeln. Ein ständiges Fragen: Wer sind wir? Wer wollen wir sein? Und wer kann mitreden?
Demokratie ist ein Versprechen
Demokratie lebt vom Vertrauen der Menschen in ihre Wirksamkeit. Wenn Bürger nicht mehr das Gefühl haben, gehört zu werden oder Einfluss nehmen zu können, beginnt das Fundament zu bröckeln. Nicht, weil die Idee der Demokratie falsch wäre – vielmehr, weil sie ihre Verbindung zur Lebensrealität verliert.
Dieses Bröckeln geschieht nicht abrupt. Es beginnt schrittweise. Wenn politische Sprache unverständlich wird. Wenn Beteiligung zur Ausnahme wird. Wenn Menschen sich nicht mehr angesprochen fühlen. Wenn Politik nur noch als Bühne wahrgenommen wird – aber nicht mehr als Raum, in dem man selbst Platz nehmen kann.
Dabei ist die Demokratie erstaunlich robust. Das Vertrauen in Justiz, Polizei und Verwaltung bleibt hoch. Die Wahlbeteiligung ist stabil. Das zeigt, dass die Grundstruktur trägt. Doch sie allein genügt nicht. Denn Demokratie ist nicht nur Struktur. Sie ist auch Gefühl. Und dieses Gefühl entsteht nicht durch Gesetze, sondern durch Beziehungen: zwischen Menschen, zwischen Institutionen, zwischen Erwartungen und Wirklichkeit. Es geht um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Demokratie braucht nicht nur Regeln – sie braucht Verbindung. Und das nicht nur auf großer Bühne, sondern auch in kleinen, konkreten Räumen, in denen Menschen sich begegnen, zuhören und gemeinsam gestalten.
Demokratie beginnt nicht erst im Erwachsenenalter. Sie beginnt auch in der Schule – mit der Frage, wie Mitbestimmung im Unterricht konkret gelebt werden kann. Schüler diskutieren, entscheiden mit, gestalten ihre unmittelbare Umgebung aktiv mit. Wer früh erlebt, dass die eigene Stimme zählt, wird später nicht schweigen. In diesen Bereichen leisten zahlreiche Organisationen aus der Zivilgesellschaft, Bildungseinrichtungen oder Hochschulen wertvolle Arbeit unter anderem im Rahmen des Wissenschaftsverbunds Vierländerregion Bodensee.
Vielleicht braucht Demokratie heute weniger neue Instrumente, dafür aber mehr neue Haltungen. Eine Haltung, die Unsicherheit nicht als Bedrohung sieht, sondern als demokratische Normalität. Eine Haltung, die Vielfalt nicht als Problem betrachtet, sondern als Voraussetzung. Eine Haltung, die nicht nur fragt: Was ist erlaubt, sondern auch: Was ist möglich?
Und ja, diese Haltung beginnt nicht im Parlament. Sie beginnt im Alltag. In Gesprächen, in Begegnungen, in der Bereitschaft, sich einzumischen. Demokratie ist kein Produkt, das man konsumiert. Sie ist ein Prozess, den man mitgestaltet. Nicht nur alle fünf Jahre – sondern jeden Tag.
Wie also geht’s der Demokratie? Vielleicht so wie vielen Menschen in diesen Zeiten. Etwas müde. Etwas überfordert. Aber im Kern bereit, sich neu zu erfinden. Wenn wir sie lassen. Und wenn wir bereit sind, uns selbst einzubringen – nicht nur als Publikum, sondern als aktive Mitgestalter.









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