Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

„Ich bin dein Vater. Du kannst mich nicht feuern. Ich bin da und bleibe da.“

September 2019

So formulierte Haim Omer in einem Interview das Prinzip der elterlichen Präsenz.
Was aber bedeuten diese Zeilen und wer verbirgt sich hinter diesem Namen, der in der Welt der Aggressionsforschung und der Neuen Autorität einen so klingenden Namen hat?

Haim Omer ist ein israelischer Psychologe und Autor, der am 20. Juni 1949 in Brasilien geboren wurde. Er promovierte 1986 an der Hebräischen Universität Jerusalem. Von 1988 bis 1998 war er zunächst Senior Lecturer, von 1998 bis 2018 Lehrstuhlinhaber für Klinische Psychologie an der Universität Tel Aviv. Außerdem gilt er, gemeinsam mit Arist von Schlippe, als einer der Väter der Neuen Autorität, einem Konzept elterlicher Autorität durch Beziehung, aber ohne Gewalt. Sie gilt in Fachkreisen als Antwort auf Autoritätsprobleme in der heutigen Erziehung.

Top-Act an den 3. Tagen der Autorität

Diese Methode führte den renommierten Wissenschaftler zu den dritten Tagen der Neuen Autorität am 5. und 6. September im Montforthaus Feldkirch. Nicht zuletzt dank des persönlichen Kontaktes zu Kongressveranstalter Martin Fellacher (PINA) gelang dieser Coup. 
Die beiden kennen sich schon seit 2012, als Fellacher bei einem Vortrag in Berlin Haim Omer frisch von der Leber Weg zu den ersten Tagen der Neuen Autorität in Rankweil im Vinomnasaal einlud, die mit 200 Teilnehmer/innen noch überschaubar waren. Und: Haim Omer hatte die Ehre, der einzige Vortragende zu sein. Seit dieser Zeit stehen die beiden in ständigem Austausch. Als Fellacher ihn 2013 zum Flughafen begleitete, verabschiedete sich der Israeli frei nach Humphrey Bogart in Casablanca mit den Worten: „Ich glaube, das war der Beginn einer großartigen Freundschaft.“

Erziehung? Nicht so einfach

Auf die Frage, ob es Eltern heute schwerer hätten in der Erziehung als früher, meinte der Wissenschaftler lapidar: „Viel schwerer.“ Die Gründe? Das seien die veränderten Rollen, die früher viel klarer definiert waren: Die Eltern gaben Werte und Regeln vor, das Kind fügte sich ein und wurde so zu einem braven und wohlerzogenen Mitglied der Gesellschaft. Ein gehorsames Kind zu haben, gelte heute mitunter schon fast als verfehlte Erziehung, meint Omer schmunzelnd. Seine Methode ziele darauf ab, Eltern zu helfen, präsenter, unterstützender, weniger einsam und handlungsfähiger zu sein.
Elterliche Präsenz
Klingt gut, aber sehr theoretisch. Sei es gar nicht, meint Omer. Denn durch die „elterliche Präsenz“ entstehe eine positive Autorität, die eben nicht auf Distanz beruhe wie die alte Autorität, die kontrollieren und bestimmen wolle. Als Beispiel führt er den französischen Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ an, wo die Kinder mit Züchtigung bestraft werden. Diese Form der Autorität lehnt Haim Omer ab. 
Auch die antiautoritäre Erziehung aus den 60er und 70er Jahren, deren Ziel es war, absolut frei von jedem Zwang zu sein, habe so ihre Tücken. Forschungen hätten gezeigt, dass Kinder, die so aufwuchsen, häufiger mit Problemen zu tun hätten als Kinder, die traditionell erzogen wurden. Diese reichten von Frustrationstoleranz bis zu mangelndem Selbstwertgefühl. Und damit ergebe sich folgendes Dilemma: „Wir haben zwar die traditionelle Autorität hinter uns gelassen, aber es ist keine Alternative, Kinder ganz ohne Autorität großzuziehen.“
Seine Alternative: das Konzept der „elterlichen Präsenz“ mit der Botschaft: „Ich bin dein Vater oder deine Mutter, du kannst mich nicht wegwerfen, du kannst mich nicht feuern, ich bin da und ich bleibe da.“ Damit fühlen Kinder, dass ihre Eltern mehr als nur Dienstleister seien. 

Das Sit-in

Und notfalls sollten sie ihre Präsenz auch mit einem Sit-in zeigen. Wie das geht? Eltern sitzen in Konfliktfällen schweigend im Zimmer ihres Sprösslings, bis dieser einen konkreten Vorschlag zur Verbesserung einer Situation liefert. Was aber mitunter Wunschtraum bleibe. „In so einem Fall vertagen Sie die Entscheidungsfindung. Und in den meisten Fällen kommt das Kind später mit einem tragfähigen Vorschlag“, so Haim Omer. Zwei Dinge können also das Sit-in beenden: ein tragfähiger Vorschlag oder die abgelaufene Zeit. Manchmal erfordere diese Methode eben Geduld.
Dass er seine Erfahrung in der Praxis erproben konnte, dafür sorgten seine fünf Kinder und mittlerweile 13 Enkelkinder: „Mein eigener Nachwuchs hat mich alles über elterliche Hilflosigkeit gelehrt. Ich habe alle erdenklichen Dummheiten begangen. Aber ab und zu hatte ich wohl die richtige Eingebung“, reflektiert er.

„Wir haben zwar die traditionelle Autorität hinter uns gelassen, aber es ist keine Alternative, Kinder ganz ohne Autorität großzuziehen.“ Haim Omer

Neue Autorität bei Konfliktherden

Darüber hinaus gibt es noch zahlreiche andere Anwendungsmöglichkeiten für die Methode der Neuen Autorität: Haim Omer hat sie unter anderem 2004 in der Zusammenarbeit mit der israelischen Armee bei der Räumung illegaler Siedlungen angewendet – siehe da: Sie erfolgte gewaltfrei. Auch in Unternehmen, Gemeinden und Kommunen, also überall dort, wo Konfliktherde entstehen, ist die Neue Autorität einsetzbar.

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