Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

Inklusion und Fußball – SV Lochau macht’s vor

September 2022

Lochau, ein Dorf im Norden Vorarlbergs, das mit seiner Idylle zwischen See und Berg Einheimische und Touristen erfreut. Einwohnerzahl? Etwas über 6400. Im Herzen des Dorfes? Wie es sich gehört ein Ensemble aus Kirche, Gemeindeamt und Friedhof. Wenige Meter entfernt – der örtliche Fußballplatz.

 

Dort ist der Fußballverein SV Lochau angesiedelt. Er existiert schon seit 1946, die frühere Spielstätte befand sich am See und war nicht nur einmal durch Überflutung von Enten und Fröschen besiedelt. Heute spielt die Kampfmannschaft des Vereins in der Vorarlberg-Liga und macht dort eine gute Figur. Daneben wird großen Wert auf die Nachwuchsarbeit gelegt. Und endlich, nach vielen Jahren, erhält der Club einen adäquaten Kunstrasenplatz. Klingt gut, ist es auch, aber was ist das Besondere am SV Lochau?

SV Lochau und die Inklusion
Jetzt sind wir beim Kern der Geschichte. Der Verein hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesteckt: Er will das Thema Inklusion vorantreiben. In den Köpfen der Gesellschaft verankern. Die Menschen sensibilisieren. Inklusion hat – richtig erkannt – mit Menschen mit körperlicher und/oder geistiger Beeinträchtigung zu tun.
„Inklusion heißt nicht, einen Tag mit Menschen mit Beeinträchtigung zu veranstalten und das war es dann“, erklärt Heidi Rauch, Mitinitiatorin und -betreuerin dieses Projektes. Alles gut und nett, wie sie meint. Vielmehr müssten alle Menschen in den Verein integriert werden. Sie müssen ihren Platz haben, dabei sein. Und: „Zu Beginn gibt es naturgemäß eine gewisse Distanz.“ Diese weiche aber oft ziemlich schnell einer wohltuenden Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander.
Wie gestaltet sich dieses Inklusionsprojekt aber ganz konkret? Ralf Renoth, ein weiterer Initiator und Lebensgefährte von Heidi Rauch, erzählt: „Entstanden ist diese Idee 2019. Wir haben dem Vorstand des SV Lochau unsere Vorstellungen von Inklusion präsentiert und bekamen sehr schnell grünes Licht. Leider ist uns nach einem verheißungsvollen Start 2019 Corona in die Quere gekommen, sodass wir 2021 wieder fast neu starten mussten.“

Ralfs eigene Erfahrungen
Ralf Renoth war zu dieser Zeit Nachwuchsleiter im Verein. Darüber hinaus brachte er eigene Erfahrungen in das Projekt mit ein. Sein Sohn Tobias, heute 31 Jahre alt, sollte in Dornbirn Rohrbach in einer Integrationsklasse eingeschult werden. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kam diese Klasse dann auch zustande, doch bereits beim ersten Elternabend tauchten Befürchtungen, die schon überwunden schienen, neuerlich auf: Wie gehen die anderen Kinder damit um? Was heute – noch nicht flächendeckend – selbstverständlich scheint, wurde damals eben mit großer Skepsis gesehen. 
Ralf, selbst begeisterter Fußballer und Trainer, machte sich in der Folge mit seinem Sohn auf die Suche nach einem Verein. Und er wurde mit der Admira aus Dornbirn auch gefunden, wo Ralf sich zu einem Traineramt in der U9 überreden ließ. Sohn Tobias war mittendrin statt nur dabei. Aufgrund dieser mehrjährigen Erfahrungen konnte sich Ralf ein Modell in ähnlicher Form – auf Heidis Impuls – auch in Lochau gut vorstellen. Sein Credo: echte Inklusion.

Fachsozialbetreuerin Heidi Rauch
Auch Heidi Rauch kann hier ihren Background optimal mit einbringen. Sie ist in einem Inklusionskindergarten in Bregenz tätig, wo sie mit Kindern mit Beeinträchtigung arbeitet. In dieser Gruppe haben bis zu vier Kinder eine Beeinträchtigung, insgesamt arbeiten bis zu fünf Betreuende mit allen Kindern. Heidi ist diplomierte Fachsozialbetreuerin. Die Mischung ihres Berufsfeldes mit dem der Elementarpädagogik im Kindergarten ist für sie optimal. 
Was sie aber in ihrer früheren Anstellung im Familienservice der Lebenshilfe erfahren musste: Das Angebot für Kinder im Freizeitbereich ist ein sehr breites, für Kinder – und auch Ältere – mit Beeinträchtigung sieht die Sache schon ganz anders aus.

Donnerstags Training am Hoferfeld
Und so entstand die Idee zu diesem Projekt. Jeden Donnerstag gibt es nun für Menschen mit Beeinträchtigung die Möglichkeit, am Hoferfeld – dem Lochauer Fußballplatz – in einer Mannschaft mitzutrainieren. 
Dabei gehe es nicht darum, Fußballspieler auszubilden, sondern das Spiel gemeinsam zu betreiben. „Ob ein beeinträchtigtes Kind den Ball mit dem Fuß oder mit der Hand spielt, ist völlig egal“, sagt Renoth. Wichtig sei es, gemeinsam Sport zu betreiben. „Und wenn die Kinder bei einem Großspieltag dabei sind, beim Training der Kampfmannschaft den Ball holen, mit einem ihrer Idole reden, vielleicht sogar ein paar Übungen machen oder mit ihnen vor dem Spiel einlaufen, dann ist schon viel gewonnen. Dann sind sie Teil des Vereins.“ Und genau diesen Weg verfolgen Ralf, Heidi und ihr Team vom SV Lochau.
Fußball mit dem Rollstuhl
Aktuell ist eine Person im Rollstuhl mit dabei. Auch das funktioniere, denn dank der Expertise und des Engagements des Teams lassen sich immer neue Übungen finden, mit denen alle klarkommen. Mit ein bisschen Fantasie gehe viel. „Und der neue Platz“, schwärmen beide. Warum gerade der neue Platz? „Jetzt ist es leichter möglich, auch bei feuchtem Wetter mit dem Rollstuhl zu trainieren.“ Wenn das nicht klappt, geht es eben in die Halle in der nahegelegenen Schule. 
Wie denn die Trainer im Verein reagiert haben? Bereits früh hat Ralf in der einen oder anderen Sitzung und in persönlichen Gesprächen mit den Übungsleitern gesprochen. So konnte er bereits im Vorfeld viele Bedenken ausräumen. Außerdem ist Heidi jeden Donnerstag in den Übungseinheiten zwischen 17 und 18 Uhr dabei und wechselt zwischen den einzelnen Teams. „Niemand wird alleine gelassen“, erklären die beiden unisono. 

Spielerpass für alle
Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Spielerpass: „Bei uns bekommen alle, die dabei sind, einen Spielerpass, der sie berechtigt, an der Meisterschaft teilzunehmen. Und wie das Pflicht ist, müssen auch alle ausnahmslos jedes Jahr zum Arzt, um die obligatorische Sportuntersuchung vorzunehmen“, erklärt Ralf. 
Eines der Ziele des Teams um Heidi und Ralf: „Wir wollen zeitnah an einem Turnier teilnehmen, bei dem auch Kinder mit Beeinträchtigung ihren Einsatz bekommen sollen.“ Davon erhoffen sie sich nicht nur einen Motivationsschub für alle im Verein, sondern auch eine Initialzündung für andere, die es ihnen gleichtun wollen. „Nachahmer willkommen“, meint Heidi.
Im Moment gibt es keinen Zeithorizont für das Projekt. „Wir ziehen das jetzt durch und loten alle Richtungen aus, in die es gehen kann“, erklärt Heidi. Ralf ergänzt: „Es macht großen Spaß, der Verein ist mit im Boot. Einige Funktionäre sind direkt in das Projekt eingebunden. So wird es von vielen Schultern getragen.“ Ein Ziel, das noch etwas in der Ferne liegt: „Ein Spiel der Special Olympics gegen eine gemischte Lochauer Mannschaft.“ Bei so viel Engagement kommt das sicher bald.

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