Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

So geht Wahlkampf…

September 2022

Wir schreiben den 12. Mai 1965 und befinden uns eine Woche vor der Bundespräsidentenwahl im Intensivwahlkampf. Die Kontrahenten sind Franz Jonas, der Kandidat der SPÖ und langjähriger Bürgermeister der Stadt Wien, sowie der Vorarlberger (dazu später mehr) Alfons Gorbach, der von der ÖVP ins Rennen geschickt wird. An jenem Mittwoch beginnt Gorbach eine Wahlkampfreise nach Vorarlberg mit der Ankunft in Langen am Arlberg um neun Uhr morgens. Im Laufe des Tages stehen Kurzbesuche von zahlreichen Gemeinden auf dem Programm, die meist aus dem Aufmarsch der Blasmusik, der Begrüßung durch den Bürgermeister und einer kurzen Ansprache des Kandidaten bestehen. In diesem Format besucht er jeweils eine halbe Stunde lang Dalaas, Nenzing, Frastanz, Doren, Krumbach, Hittisau, Lingenau, Alberschwende, Schwarzach, Wolfurt und Kennelbach. Daneben stehen noch Betriebsbesuche in Bludenz (Schokoladenfabrik Suchard), Altach (Wirkwaren- und Stickereifabrik Gebrüder Längle), Hohenems (Textilwerke Josef Otten), Dornbirn (Zweigstelle Fischbach der Textilwerke Hämmerle), Lustenau (Kartonagenfabrik Bayer) und Bregenz (Strumpffabrik Wolff) auf dem Programm. Als Zugabe geht es mit dem Hubschrauber zwischen zwölf und 14 Uhr ins Kleine Walsertal, wo nach einer kurzen Wahlveranstaltung das Mittagessen eingenommen wird. Abendlicher Höhepunkt ist dann die Abschlusskundgebung in der Dornbirner Messehalle mit Reden des Kandidaten und des damaligen Landeshauptmanns Herbert Kessler. In den „Vorarlberger Nachrichten“, die Gorbach klar favorisierten, wurde dessen unglaublicher Einsatz wohlwollend honoriert: „Ein Blick in das Programm läßt erkennen, wie wichtig Dr. Gorbach seinen Besuch in Vorarlberg nimmt und welchen Mühen er sich als Präsidentschaftskandidat unterzieht, Land und Leute kennenzulernen.“ Immer dabei natürlich der Pressefotograf Oskar Spang, dessen Fotos in einer Kooperation des Stadtarchivs Bregenz und der Vorarlberger Landesbibliothek digitalisiert werden.
Der Name Gorbach lässt auf seine Vorarlberger Herkunft schließen, eigentlich war er aber – so heißt es in einer Biographie – „Steirer, Tiroler, Salzburger und Vorarlberger zugleich“. Sein Großvater war Lehrer und Landwirt in Bregenz-Fluh, seine Mutter stammte aus Hüttau in Salzburg. Das erklärt auch, warum Gorbach im Rahmen einer Wahlkampftour in Bregenz- Fluh das Grab seiner Vorfahren besuchte. Sein Vater trat in den Dienst der k.k. Staatsbahnen und übersiedelte von Bregenz nach Imst im Tiroler Oberinntal, wo er Stationsvorstand war und wo Alfons am 2. September 1898 geboren wurde. Als er zwei Jahre alt war, zog die Familie nach Wörschach im steirischen Ennstal. Mit erst 17 Jahren wurde er als Freiwilliger Soldat im 1. Weltkrieg und verlor 1917 in der Isonzoschlacht nach einer schweren Verwundung sein rechtes Bein. Mit der Großen Silbernen Tapferkeitsmedaille dekoriert maturierte er nach dem Krieg in Graz und promovierte schon 1922 zum Doktor der Rechte. 1929 kandidierte Gorbach als junger Hoffnungsträger der Christlichsozialen Partei für den Grazer Gemeinderat, dem er dann nach erfolgreicher Wahl bis 1932 angehörte. Nach einer persönlichen Begegnung mit Bundeskanzler Engelbert Dollfuß wurde er im autoritären Ständestaat zum Landesführer der Vaterländischen Front in der Steiermark ernannt und erreichte 1937 als Landesrat für „körperliche Ertüchtigung sowie den Heimat- und den Naturschutz“ den vorläufigen Höhepunkt seiner politischen Karriere. Als Verfechter eines unabhängigen Österreichs organisierte er in Graz Großkundgebungen gegen die Nationalsozialisten, was nach deren Machtübernahme zu seiner sofortigen Verhaftung führte. Mit dem ersten Österreicher-Transport wurde er ins Konzentrationslager Dachau überführt, wo er mit einer kurzen Unterbrechung von 1938 bis 1945 inhaftiert blieb. Nach dem Krieg verlagerte sich sein Interesse mehr und mehr von der Steiermark hin zur Bundespolitik und so wurde er bald Dritter Nationalratspräsident und 1960 schließlich Bundesparteiobmann der ÖVP. Nach dieser Wahl war es nur eine Frage der Zeit, bis der amtierende Bundeskanzler Julius Raab auch aus dieser Funktion zugunsten Gorbachs ausscheiden würde. Also wurde er folgerichtig 1961 auch Bundeskanzler und führte eine Große Koalition an. Mit dem Ruf behaftet, lediglich die Politik Raabs weiterzuführen, sah er sich bald mit innerparteilichen Widersachern, allen voran Josef Klaus und Generalsekretär Hermann Withalm, konfrontiert. Nachdem 1963 Klaus zum neuen Bundesparteiobmann der ÖVP gewählt wurde, war auch Gorbachs Position als Bundeskanzler in Gefahr. Als er 1964 in einer dramatischen Sitzung die uneingeschränkte Unterstützung seines Regierungsteams einforderte und ihm diese verweigert wurde, trat er als Regierungschef zurück. Die „Welt“ kommentierte seinen Abgang als historischen Vorgang: „Gorbach wurde gestürzt, und mit seinem Sturz ist, verspätet, wie vieles hier im Lande, die Nachkriegszeit zu Ende gegangen.“
Von seiner Kanzlerschaft bleibt in Erinnerung, dass er stets für die Zusammenarbeit der Großparteien und auch für die Eingliederung minderbelasteter, ehemaliger Nationalsozialisten in die Zweite Republik plädierte: „Ich habe immer dagegen gekämpft, dass Menschen ins Gefängnis mussten, lediglich deshalb, weil sie aus Kurzsichtigkeit, Dummheit oder auch unter Druck mit den Nazis mitgegangen sind.“ Nachdem im Winter 1965 der sozialistische Bundespräsident Adolf Schärf nach kurzer, schwerer Krankheit verstarb, entschied sich die Bundesparteileitung der ÖVP für die Nominierung Gorbachs zum Präsidentschaftskandidaten, wohl auch um ihm eine gewisse Wiedergutmachung für die vorangehende Entmachtung zukommen zu lassen.
Im Frühjahr 1965 warfen also die Parteien alle Kraft in den Kampf um die Hofburg und ihre Kandidaten tourten unentwegt durch Österreich. Gorbach machte auf seinen Besuchen in Vorarlberg immer wieder die Schiffstaufe 1964 in Fußach zum Thema. Damals war es zu machtvollen Demonstrationen gekommen, mit denen die Taufe eines Bodenseeschiffes auf den Namen „Karl Renner“ verhindert wurde. Von Bord des betroffenen Schiffs sprach Gorbach in Fußach zu seinen Wählern und warf dabei dem Sozialisten Jonas vor, sich in dieser Frage nicht klar positioniert zu haben. In einer Wahlwerbung wird daher plakativ vorgeschlagen: „Denkt an Fußach und wählt Dr. Gorbach.“ Die Vorarlberger folgten am Wahltag in großer Zahl diesem Rat und votierten mit überwältigender Mehrheit für den Kandidaten der ÖVP. Bei einer Wahlbeteiligung von über 90 Prozent versammelte er circa 95.000 Stimmen auf sich, während Jonas lediglich 40.000 erreichte. Besonders in den ländlichen Gemeinden Vorarlbergs siegte Gorbach haushoch, so erreichte er etwa in Langenegg 408 Stimmen, während dort auf Jonas nur fünf Stimmen entfielen. Da aber Jonas in Wien eine deutliche Mehrheit erreichte, siegte dieser österreichweit, allerdings nur mit dem minimalsten Vorsprung aller bisherigen Bundespräsidentenwahlen: 50,7 gegenüber 49,3 Prozent. In den „Vorarl­berger Nachrichten“ wurde gemutmaßt, es seien die geschätzten 135.000 Kommunisten Ostösterreichs gewesen, die den Ausschlag für Jonas gegeben hätten. 
Die „Kleine Zeitung“ kommentierte damals: „Für Gorbach mag es ein gewisser Trost gewesen sein, dass die Differenz zwischen einem Präsidentschaftskandidaten der ÖVP und der SPÖ noch nie so knapp gewesen war wie diesmal. Dennoch bedeutete dieser Wahlausgang für Gorbach eine Enttäuschung, die er nie verbarg.“ Er gehörte dann noch lange dem Nationalrat an, aus dem er sich 1970 mit einer bewegenden Rede verabschiedete. Alfons Gorbach verstarb 1972. In Graz und Wörschach im Ennstal sind noch heute Plätze nach ihm benannt. 

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