Klaus Feldkircher

(geb. 1967) lehrt an der FH Vorarlberg, ist als freier Journalist tätig und betreibt das Kommunikationsbüro althaus7. Als Autor, Texter und Konzepter hat er bereits zahlreiche Sachbücher veröffentlicht. Weiters ist er in der Erwachsenenbildung tätig und lehrt Deutsch und Latein an der Schule Riedenburg/Bregenz.

Steine, um das Leben zu bauen

März 2019

Abt Vinzenz, der neue erste Mann in der Mehrerau: Er ist einer, der auf die Menschen zugeht. Wir haben uns mit ihm über Gott und die Welt unterhalten.
Im wahrsten Sinne.

Abt Vinzenz, was hat Sie dazu bewogen, als Zisterziensermönch in das Kloster Mehrerau einzutreten?

Ich besuchte als Jugendlicher hier bereits das Gymnasium und lernte im Internat das Klosterleben kennen und schätzen. Ich kann von mir behaupten, dass ich Mehrerauer durch und durch bin. Auf dieser Basis folgte meine ganz bewusste Entscheidung für das Klosterleben hier in der Mehrerau.

Wie sind Sie nach Ihrem Studium in das mönchische Leben hineingewachsen?

Nach der Matura beschloss ich, Theologie zu studieren. Nach der Diakonsweihe war ich in der Mehrerau als Erzieher tätig, und in dieser Zeit reifte mein Entschluss, Priester zu werden. Meine Weihe erhielt ich am 19. September 1998. Hier schließt sich der Kreis, denn meine Wahl zum Abt erfolgte – zufällig oder auch nicht – genau 20 Jahre später am 19. September 2018.

Was hat Sie dazu bewogen, den Namen Vinzenz anzunehmen?

Zu Beginn meines Klosterlebens waren meine Eltern skeptisch, ob ich denn wisse, was ich tue. Daher brauchte es ein positives Zeichen an sie, dass ich mir das wohl überlegt hätte. Mein Onkel und ein Cousin meines Vaters hießen Vinzenz. Beide waren für mich ganz außergewöhnliche Menschen, und deshalb wählte ich diesen Namen. Dazu gesellte sich noch Vinzenz von Saragossa, der Patron der dortigen Weinbauern.

Wie lange dauerte es, bis sich die Skepsis Ihrer Eltern legte?

Das ging sehr rasch, vor allem bei meiner Mutter. Bei meinem Vater dauerte es etwa ein Jahr. Als sie feststellten, dass es mir mit meiner Wahl richtig gut ging, waren auch sie glücklich. Vor allem bemerkten sie schnell, dass trotz meines Eintritts ins Kloster der Kontakt zu ihnen nie abriss. Die Freude meiner Eltern war von da an bei allen Feiern und Festen zu spüren.

Ihr Wappenspruch als Abt lautet: „Höre, erwäge, erfülle in der Tat.“ Was hat es damit auf sich?

Jeder leitende Obere hat einen eigenen Wappenspruch, der kurz und bündig seine Philosophie illustriert. Meinem Spruch ging eine längere Suche voraus, bis ich mich für die Verse des Heiligen Benedikt entschied: „Höre, mein Sohn, auf die Lehren des Meisters. Erwäge im Herzen. Nimm die Worte des Vaters gütig an und erfülle sie in der Tat.“ 
(Anmerkung: „Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat!“ Quelle: http://www.stiftmelk.at/Pages_melk/regula.html)

Warum wurde gerade diese Stelle Ihr Wappenspruch?

Ich empfinde Zuhören zumindest als die Hälfte meines Geschäfts. Das trifft ja auch auf den Lehrenden zu, wenn Schülerinnen und Schüler Sorgen haben: Zuerst gilt es einmal zuzuhören. Als nächstes muss ich entscheiden: Wie gehe ich damit um? Dann sollten wir gemeinsam eine Lösung finden. Das sehe ich im Kloster ähnlich: Gemeinsam zu einer Lösung zu kommen, muss das Ziel sein.

Diese Vorgangsweise impliziert auch die gemeinsame Arbeit im Team. Als Abt sind Sie der Letztverantwortliche. Wie halten Sie es mit Teamwork?

Beim Überlegen ist mir eines ganz besonders wichtig: nachdenken und sich beraten lassen. Denn gemeinsam werden gute und tragfähige Lösungen entwickelt. Dabei sind gute Berater, die auch zuhören und mitdenken, von enormer Bedeutung. Deren Provenienz ist nicht immer entscheidend, denn neben Spezialisten sind auch Fachfremde, die den unvoreingenommenen Blick von außen mitbringen, wichtig. Natürlich bin ich als Abt der Letztverantwortliche, aber ich möchte alle Betroffenen mit im Boot haben.

Wie viele Mönche zählt das Kloster Mehrerau derzeit?

Wir sind 27 Mönche, im Haus sind 22, von denen aber nie alle da sind. Manche sind in Birnau oder anderen Klöstern, drei sind beim Studium in Rom, Brixen und Graz. So sind in der Regel 15 bis 17 Mönche vor Ort.

Wie sieht es bei Ihnen mit dem Priesternachwuchs aus?

Da gebe ich zu, dass es schon etwas mehr sein könnte. Doch andererseits sind die Neueintritte, die wir haben, eine echte Bereicherung für uns. Sie passen sehr gut zur Gemeinschaft, haben Freude und Spaß am Klosterleben und sehr spannende Lebensvisionen. Das erfüllt mich mit großer Hoffnung. Ich bin überzeugt, dass Gott diesen Weg mit uns geht. Manchmal wäre es aber vielleicht doch gut, neue Wege zu beschreiten.

Was verstehen Sie darunter?

Wir als Kirche müssen uns überlegen, welche Wege der Verkündigung zeitgemäß sind. Wir müssen neue Gedanken und Wege zulassen. Auf diesem Gebiet ist unsere Kirche in ihrer 2000-jährigen Geschichte manchmal in der Gefahr, zu starr zu sein. Unsere Aufgabe ist es, für die Zukunft genau hinzuschauen: Wie kann die Berufung für Mönche geregelt werden? Vielleicht entstehen in diesem Zusammenhang neue Strukturen. Dabei wäre es aber falsch, alle Traditionen über Bord zu werfen. Vielmehr ist Innovation gefragt. Jesus war ja ein Wanderprediger. Und so müssen auch wir geistig beweglich sein.

Worin sehen Sie die zentrale Verantwortung Ihres Klosters?

Eine Aufgabe ist ganz sicher unsere ökosoziale Verantwortung. Um die Nah­erholung unserer Bevölkerung zu gewährleisten, und zwar unabhängig von sozialem Status und Einkommen, müssen die Grünzonen – die „grünen Lungen“ Pfänderhang und Mehrerau – erhalten bleiben. Deshalb wird unsere Landwirtschaft unter anderem biologisch bewirtschaftet.
Dieser Ansatz ist aber eigentlich nicht neu und lässt sich ganz einfach begründen: Uns Mönchen muss es um Gott gehen. Gott seinerseits geht es um die Menschen und um das Miteinander. Die Conclusio: Nur wenn wir den Menschen dienen, dienen wir auch Gott. Das klingt zwar einfach, ist aber höchst herausfordernd, nicht nur aus seelsorgerischer, sondern auch aus ökonomischer, ökologischer und sozialer Sicht.

Sie waren früher Erzieher, dann Lehrer, jetzt Abt. Werden Sie in Ihrer neuen Funktion auch weiterhin im pädagogischen Bereich in der Mehrerau im Klassenzimmer zu finden sein?

Das ist mein Ziel, zumindest zu einem geringen Prozentsatz meiner Arbeitszeit. Kinder und Jugendliche sind mir sehr wichtig, denn sie sind die besten Indikatoren, um sich auch selbst immer wieder zu hinterfragen. Gerade hier halte ich es mit meinem Wappenspruch. Kindern und Jugendlichen Antworten zu geben ist essenziell. So entsteht Vertrauen. Und plötzlich kommen sie nicht nur mit Fragen, sondern mit ihren Problemen zu uns. Unsere Aufgabe ist es dann, mit ihnen Antworten zu finden oder sie zumindest auf dem Weg zu einer Antwort zu begleiten. Und in diesem Prozess müssen wir uns auch selbst immer wieder hinterfragen.

Was ist Ihr vorrangiges Ziel in Ihrer pädagogischen Arbeit?

Bei der Wissensvermittlung geht es meines Erachtens nicht in erster Linie darum, alles zu wissen, sondern darum, Antworten fürs Leben zu finden. Auch den Mut zu finden, die Antworten in verschiedenen Lebensphasen immer neu zu geben. Ich möchte den Kindern und Jugendlichen Bausteine geben, um ihr Leben weiterzubauen.

In Zeiten der Globalisierung, der Digitalisierung und der Sozialen Medien bleibt die Spiritualität oftmals auf der Strecke. Wie groß ist diese bei jungen Menschen?

Ich bin überzeugt, dass Kinder und Jugendliche große spirituelle Antennen haben. Sie suchen nach Antworten für ihr Leben, nach einem Sinn für das, was sie machen. Das ist zutiefst spirituell. In diesem Zusammenhang taucht unweigerlich die Frage nach etwas Transzendentem, etwas Größerem auf. Eine Frage, die sich im Lauf des Lebens immer wieder neu stellt. Und am Schluss des Lebens geht es um den Traum, auf ein erfülltes Leben zurückblicken zu können. Das ist meines Erachtens in der heutigen Zeit die große Herausforderung.

Wo zeigt sich Ihrer Erfahrung nach diese Spiritualität?

Ich finde Spiritualität immer wieder in Schulgottesdiensten. Solche Veranstaltungen geben den Kindern und Jugendlichen Zeit und Raum, wieder einmal herunterzufahren, sich einzulassen und etwas zutiefst Christliches zu erfahren: Nämlich, dass jeder von uns Christusträger ist, dass Gott in uns ist, dass in uns Antworten schlummern, die wir entdecken, aufdecken müssen. Jugendliche sind in Gottesdiensten sehr ehrlich. Sie sind bereit, an sich hinabzuschauen, und man sieht, wie das Hirn zu rattern beginnt. Wenn sie an dieser Stelle sind, habe ich mein Ziel erreicht. Deshalb sind Kinder und Jugendliche für mich zutiefst spirituelle Menschen.

Wie sehen Sie angesichts der weltpolitischen und -ökonomischen Lage die Zukunft?

Ich bin Optimist. Ich sehe eine Welt vieler Kulturen und Religionen, nicht nur in Europa. Wir alle müssen lernen, zusammen zu leben. Gleichzeitig muss unsere Kirche lernen, sich angstfrei im Angebot zu bewegen und ihre Qualitäten ans Licht zu bringen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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