Peter Freiberger
„Versuchter Mord“ – ein Zettel an einem karierten Hemd, das eindeutig einen großen Blutfleck aufweist, gibt einen ersten Hinweis.

Stumme Zeugen schauriger Geschichten

April 2016

Manche sprechen von der „Kammer des Schreckens“, andere nüchtern von der Verwahrungsstelle. Im Keller des Landesgerichts in Feldkirch sammeln die Behörden jedenfalls Beweismittel aus Strafverfahren, die nicht nur Zartbesaitete erschaudern lassen.

Richterin Angelika Prechtl-Marte, die Vizepräsidentin des Landesgerichts Feldkirch und Verantwortliche für die Verwahrungsstelle, führt mich ins Untergeschoß des altehrwürdigen Gerichtsgebäudes. Thomas Rudigier, stellvertretender Geschäftsstellenleiter am Landesgericht, begleitet uns. Er hat die Schlüssel dabei, die die Tür zu dem Raum öffnen, in dem die Behörden Diebsgut ebenso aufbewahren wie Einbruchs- und Mordwerkzeuge.

Asservatenkammer, wie man auch sagt, klingt geheimnisvoller als Verwahrungsstelle. Die Bezeichnung macht für mich freilich wenig Unterschied. Sie ändert nichts am mulmigen Gefühl beim Eintritt in den an sich unspektakulären Raum mit den Stellagen und Ablagen, wo unzählige Kartons und große Kuverts mit Aufschriften und Nummern lagern. „Wir platzen aus allen Nähten“, sagt Angelika Prechtl-Marte. In den Allerweltskartons befinden sich Beweisstücke, die alle eine – oft schreckliche – Geschichte haben. Auf einem sogenannten Standblatt lässt sich diese Historie zumindest ein wenig erahnen. Ein handschriftlicher Vermerk gibt stets einen ersten Aufschluss: „Banküberfall“, „Einbruchdiebstahl“, „Vergewaltigung“, „Versuchter Mord“, „Unbekannte Kinderleiche“. Hebt die Stimmung nicht unbedingt.

Schusswaffe samt Munition

Thomas Rudigier öffnet vorsichtig den einen oder anderen Karton. Hier entnimmt er eine Schusswaffe samt Patronen, dort Einbruchswerkzeug. Woanders kommt eine Mütze zum Vorschein, die ein Bankräuber getragen hat. Der Behälter mit den Kleidungsgegenständen eines Vergewaltigungsopfers bleibt selbstverständlich verschlossen. „Nach Ende eines Ermittlungsverfahrens versuchen wir, die Beweisstücke wieder zurückzugeben“, sagt Prechtl-Marte. Allerdings lassen sich die Besitzer nicht immer eruieren. Diebsbeute kommt in solchen Fällen in die Online-Ediktsdatei. Werden die Gegenstände nach einem Jahr nicht abgeholt, versteigert man sie.

Einige Kartons tragen den Vermerk „Dauerverwahrung“. Deren Inhalt liegt zum Teil bereits seit rund 20 Jahren in der Asservatenkammer. Ein Grund kann sein, dass die Verdächtigen in einem Verfahren bisher nicht ausforschbar waren. Oder es handelt sich um Beweisstücke aus Mordprozessen. „Die müssen wir dauerhaft aufbehalten für die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens“, sagt Prechtl-Marte. „Spurenträger. Vorsicht – Kontaminationsgefahr“ lese ich auf einem Karton und nehme ein wenig Abstand. Inzwischen hält Thomas Rudigier einen in der Mitte auseinandergebrochenen Baseballschläger in der Hand. Was zunächst auf eine Gewalttat hindeutet, erweist sich schließlich als Beweismittel aus einem Verhetzungsprozess, das die Polizei im Zuge einer Hausdurchsuchung sicherstellte.

Unbekannte Kinderleiche

Richterin Prechtl-Marte zeigt mir eine Zaunlatte mit Nägeln. Den dazugehörigen Fall kann sie nicht eruieren. Wenig später entdecke ich einen Karton, dessen Aufschrift weiche Knie verursacht. „Spurenmaterial. Unbekannte Kinderleiche im Eurocity. 7.7.1991“. Den Inhalt mit diesem schrecklichen Hintergrund möchte ich weder kennen noch sehen.

An einem karierten Hemd, das eindeutig einen großen Blutfleck aufweist, komme ich allerdings nicht vorbei. „Versuchter Mord“ gibt ein Zettel einen ersten Hinweis. Richterin Prechtl-Marte erinnert sich an den Fall, dessen Verhandlung am 22. März 2013 stattfand – eine Familientragödie. Der Sohn hat dem Vater Messerstiche in Bauch und Rücken versetzt und die Mutter mit Messerstichen in Bauch, Rücken und Unterarm schwer verletzt. Das blutverschmierte Hemd des Vaters zeugt von der unfassbaren Tat. Das Gericht hielt den Sohn für nicht zurechnungsfähig und wies ihn in eine Anstalt ein. Irgendeiner der Kartons in einer der Stellagen beinhaltet einen Teppich, der ein schauriges Geheimnis in sich trägt. „Wenn man daran riecht, bemerkt man gut Brandgeruch“, erzählt Prechtl-Marte. Der Teppich ist stummer Zeuge einer Brandstiftung samt versuchtem erweiterten Suizid.
Im Keller des Landesgerichts gibt es noch eine zweite Lokalität für Asservate – den Suchtgiftraum. Doch nicht nur Suchtmittel werden dort gelagert. Sichergestellte Indooranlagen zur Produktion von Cannabis verwahrt man ebenfalls in dem streng gesicherten Raum. „Einmal jährlich werden Suchtmittel unter behördlicher Aufsicht in einem Hochofen vernichtet“, informiert Prechtl-Marte.

In der eigentlichen Asservatenkammer soll ein Karton ein besonders makabres Verwahrungsstück enthalten. Angelika Prechtl-Marte erzählt jedenfalls kryptisch von einer Kopfschwarte mit Haaren. Darauf will ich nicht unbedingt stoßen.

Es wird Zeit, diesen speziellen Platz zu verlassen. Thomas Rudigier schließt die Tür wieder ab. Hinter mir.

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