Barbara Keiler

Leiterin Bundesdenkmalamt Abteilung für Vorarlberg

Vom stetigen Verlust unseres baukulturellen Erbes

November 2018

In Vorarlberg stehen derzeit 1670 Gebäude unter Schutz und können somit als ein unverzichtbarer Teil des gemeinsamen kulturellen Erbes für die Zukunft bewahrt werden. Die Denkmäler tragen (wie die Landschaft oder Natur) maßgebend zur Identitätsfindung einer Region bei, sie sind einzigartig und unverwechselbar und prägen unsere Lebensräume. Das bedeutet natürlich nicht, dass alles gänzlich unverändert erhalten werden muss, denn heutige Ansprüche in technischer und ästhetischer Art an die Gebäude haben sich gewandelt. Mit dem Denkmalschutz sollen einerseits nachhaltige Nutzungsänderungen ermöglicht werden, gleichzeitig soll sichergestellt sein, dass die Eingriffe das Wesen des Denkmals, nämlich die Substanz und das überlieferte Erscheinungsbild, nicht gravierend beeinträchtigen. 
Vor etwa 20 Jahren erfolgte nun durch das Bundesdenkmalamt eine landesweite Aufnahme von baukulturell interessanten Gebäuden; auch um abschätzen zu können, wo und wie der Schwerpunkt von Unterschutzstellungen in den kommenden Jahren zu setzen sei. Die Objekte, die im internen Sprachgebrauch als Listenobjekte bezeichnet werden, sind jene, die noch nicht unter Schutz stehen, aber augenscheinlich oder laut Literatur zu Denkmälern werden könnten. In Vorarlberg waren 2017 etwa 600 Datensätze unter dieser Rubrik zu finden. Diese bedürfen also noch einer genaueren Untersuchung beziehungsweise eines Lokalaugenscheins innen wie außen. 

Nun galt es zu überprüfen, wie viele der Gebäude auf der Liste überhaupt noch existieren beziehungsweise bereits einer eingehenden (nicht unbedingt denkmalgerechten) Sanierung unterzogen worden waren. Die Überprüfung wurde großteils von den ortskundigen Gebietsreferenten des Denkmalamtes durchgeführt, die die Denkmäler in den betroffenen Gebieten betreuen. Hilfreich erwies sich dabei der Zugriff auf den Vorarlberg Atlas schon vom Schreibtisch aus. Neben den Grundstücksdaten können dort auch zahlreiche, oft weit zurückliegende Luftbilder aufgerufen werden, die die Veränderung im Laufe der Jahrzehnte dokumentieren. In dieser Prüfungsphase gab es vor allem im ländlichen Raum nahe den Ballungsgebieten einige unliebsame Überraschungen, sprich Abbrüche (siehe Abbildung Luftbild Alberschwende 2015 aus dem Vorarlberg Atlas) und zahlreiche Neubauten zu verzeichnen. Im nächsten Schritt folgten die Begehungen vor Ort im Vergleich zum Zustand vor 20 Jahren, die die verbliebene Anzahl wiederum aufgrund der teilweise negativ veränderten Außenerscheinung dezimierte. Vereinzelt kamen auch Objekte (vor allem der Zwischen- und Nachkriegszeit) hinzu und einige, deren Wertigkeit nicht mehr nachvollziehbar war, fielen weg. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Qualität der Neubauten in Vorarlberg grundsätzlich ein hohes Niveau aufweist – wenn allerdings dafür ein historisches Gebäude weichen muss, ist es für uns immer bedauerlich.

Erschreckend war die Zahl der Leerstände, die für die Zukunft nichts Gutes vermuten lässt. Hierzu gibt es für den Bregenzerwald Berichte aus dem Projekt „Alte Bausubstanz“; die Lösungen stehen noch aus. Teilweise wurden die Bürgermeister auf die leerstehenden Objekte vonseiten der Autorin angesprochen; die wenigen Rückmeldungen ließen auf eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber diesem Thema schließen oder man fürchtet die „Einmischung“ in private Eigentumsrechte.
In den Tourismusregionen Montafon und Kleines Walsertal waren tendenziell weniger Leerstände zu beobachten. Vor allem im Rheintal gefährden der Siedlungsdruck und die hohen Grundstückspreise die nicht geschützten Altbauten. Schutzzonen wie in anderen Bundesländern gibt es nicht, außer es handelt sich um Ensembles nach dem Denkmalschutzgesetz. Ein weiteres Problem ist der kaum existierende Ortsbildschutz (kein eigenes Gesetz, nur ein Paragraf im Baugesetz). So lassen sich regional große Unterschiede im Umgang mit historischer Substanz bei den Verantwortlichen der ersten Bauinstanz, sprich bei den Bürgermeistern, erkennen. 

Zusammenfassend ergeben sich folgende Zahlen (siehe Grafik links): Etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) der Gebäude präsentieren sich unverändert zur Ersterfassung. Weitere 15 Prozent sind zwar grundsätzlich unverändert, stehen aber leer, sodass sich der Bauzustand wohl verschlechtern wird. Ein Fünftel des potenziellen baukulturellen Erbes ist durch Abbruch, Neubau oder unsachgemäße Sanierung innerhalb von 20 Jahren bereits verloren gegangen. Bei je 5 Prozent hat sich unsere Einschätzung in Bezug auf die mögliche Denkmalbedeutung verschoben.
Einige Städte und Marktgemeinden (Dornbirn, Hohenems, Lustenau, Bregenz, Hohenems, Feldkirch, Rankweil) sowie die Kategorie der Technischen Denkmäler wurden bereits in den letzten Jahren einer eingehenden Überprüfung unterzogen. Dort bestätigte sich, dass letztendlich nur ein Viertel der Listenobjekte zu eingetragenen Denkmälern wurden. Die Kontaktnahme, Terminkoordinierung und Besichtigung sowie die Sichtung der Archive stellen jedoch einen nicht unbeträchtlichen Arbeitsaufwand dar, der das Vorankommen erschwert und uns im Bewusstsein zurücklässt, dass in den nächsten zehn oder 20 Jahren wieder viele Häuser/Fabriken/Berggüter verloren gehen werden. Diesem Trend entgegenzuwirken kann nicht Aufgabe einer vergleichsweise kleinen Behörde sein – das ist die Aufgabe der Gesellschaft.

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