Wolfgang Greber

* 1970 in Bregenz, Jurist, bei der „Presse“ im Ressort Außenpolitik, Sub-Ressort Weltjournal. Er schreibt auch zu den Themen Technolo­gie, Militärwesen, Raumfahrt und Geschichte.

Was Vorarlbergs Radfahrkultur von jener in Wien unterscheidet

April 2025

Im Ländle fährt man Rad einfach so, es gehört zu Alltag und Tradition. In Wien als Großstadt radelt sich’s natürlich nicht so einfach wie in V, allerdings machen sie vor allem ein ideologisches Theater draus.

Manchmal frag ich mich, wer zuerst da war: ich oder mein Fahrrad? Klar, das ist zugespitzt, aber dennoch: Ich hab Fahrräder, seit ich denken kann. Quietschbunte Fotos zeigen mich als blondgelocktes Bübchen Anfang der 70er mit dem orangen Traktor und dann dem roten Dreirädle als Fahrrad-Vorgänger. Im Kindi oder der ersten Klasse Volksschule kam ein richtiges Rädle. Damit bin ich einmal ausgebüxt und im Stoßverkehr durch Bregenz gefahren, bis mich am Leutbühel Polizisten herausfischten und im weißen Büssle heimbrachten; Vater war stinksauer.
Jedenfalls blieb das so. Abgesehen von längeren Auslandsaufenthalten war da stets ein Rad in Griffweite. Im März holte ich wieder das orange KTM-Trekkingbike aus der Winterpause, und das blaue Verada, das Josef, einst mein Nachbar in Altenstadt und Fahrradmechaniker, mir vor 30 Jahren verkauft hatte.
Radeln ist oft schlicht alltäglich. In Bregenz radelte ich in die Mehrerau zur Schule, nach dem Umzug nach Rankweil bisweilen nach Götzis ins BORG und generell zu Freunden. Innsbruck wurde per Rad erkundet, in Niederösterreich dreh ich oft Runden. Dazu kommen die bsundriga Momente, die dir das Radeln schenkt, speziell in Vorarlberg: Am Bodensee entlang etwa, durch die Gegend an Rohr- und Rheinspitz, bis Lindau, Nonnenhorn, über Feldwege im Vorderland. Den Ambergtunnel konnte man vor der Eröffnung 1985 einmal zu Fuß oder per Rad durchqueren – es war ein Volksfest. Eine herrliche Route führt von Rankweil längs der Frutz zum Rhein und durch Lustenau und das Ried nach Bregenz, mit Pflichtstopp im Gasthaus am Rohr am Alten Rhein.
Zuletzt entdeckte ich das E-Bike, und damit auch den wegen seiner steilen Abschnitte zwischen Wolfurt und Buch sowie Alberschwende und dem Achtal beschwerlichen Radweg an der Bregenzer Ach. Ein Stromrad hat schon Vorteile, halt für Durchschnittsbiker und Genießer unterhalb der Hardcore-Schwelle.
Radeln gehört im Ländle trotz aller Liebe zum Auto seit Langem zu Alltag und Volkskultur. Wer hat dort kein Rad? Statistiken belegen, dass das Ländle der „Vorradler“ in Österreich ist und wir „Voradelberger“ sind. „Vorarlberg ist Österreichs Fahrradland Nr. 1“ titelte der ORF im Juni 2023. Es ging um eine Studie des Verkehrsclubs Österreich VCÖ, wonach 49 Prozent der Vorarlberger ab 16 das Rad sogar täglich oder mehrmals pro Woche nützen. Im Bundesschnitt waren es 31 Prozent, in Wien 22. Der Rad-Anteil am täglichen Verkehr („Modal-Split“) betrug in V 16 Prozent, in Wien zehn Prozent. Ältere Daten weisen fürs Ländle 810 Bikes pro 1000 Personen aus, für Wien 620, und für 85 Prozent der Haushalte in V mindestens ein Rad (Wien: 61 Prozent).
Das heißt nicht, dass Wiener fule Säck sind: In einer dichtbebauten Großstadt ist halt der Anteil der Fußgänger und Öffi-Benützer größer, der Auto-Anteil dort ist kleiner als in V. Um 1900 herum und in den 30ern gab‘s einen Rad-Hype in Wien, aber bald lockte das Auto die Menschen und die SPÖ wollte diese lieber in Öffis bringen statt auf Fahrräder. In den 40er- und 50er-Jahren drängte man den Radverkehr absichtlich zurück. Als er in den 80ern wieder Rückenwind bekam, galten Stadtradler als Exoten und grüßten einander. Noch um 2000 herum stellten sie drei Prozent des Tagesverkehrs (V: 10 bis 15). Dass der Rückenwind nicht nur praktische (etwa Boten) und sportliche Gründe hatte, sondern auch stark politisch motiviert war (Grüne) und Radeln oft primär als öffentliches Bekenntnis diente, hatte ungute Folgen. Dazu später.
Als ich 2000 nach Wien kam, war bald klar, dass hier Radeln weniger üblich und viel unangenehmer ist. Wie nervten all die Kompliziertheiten auf dem Weg von Ottakring durch innerstädtische Bezirke zur „Presse“-Redaktion am Parkring! Endlos Kreuzungen, Ampeln, Stop and Go, Pkw, Lkw, Busse, Straßenbahnen, Fußgänger – und andere Radler und Skater, die die Benutzung der Radwege trübten. Ich ließ das irgendwann sein, und die verspuckten urbanen Straßenschluchten sind auch nicht so einladend wie Feldwege im Rheintal.
Eine Kollegin mit Wurzeln im Ländle, die das Rad ebenso anhimmelt wie Wien, drückte es Jahre später so aus: „Radfahren in Wien ist gefährlich.“ Es herrsche auch Rivalität zwischen Radlern, verschärft durch E-Biker und Rolleranten. Und da in Wien Autofahrer und Radler einander auch nicht so mögen und die Leute zu Grant und Ausfälligkeiten neigen, ist gar von „Krieg“ die Rede. Tja, Wien ist anders.
Das Rad bekam dort indes einen Turbo, als 2010 bis 2020 die Grünen in der Stadtregierung saßen. Sie tanzten ums Goldene Kalb Drahtesel. Ein Journalist schrieb ironisch, auf jedes Problem – ob Verkehr, Kriminalität, Migration, Integration – würden die Grünen mit „Fahrrad“ antworten. Man schuf den Job eines Radfahrbeauftragten; den hat ein netter Kerl inne, dessen Name Blum Wurzeln in V suggeriert, aber er ist Wiener und wuchs in der Steiermark auf. Er ist relativ pragmatisch, Radwege wurden vermehrt und das Biken erleichtert. Wiens Radkultur ist allerdings mit Ideologie, Moral, Heilsbringung und Schicki-Attitüde gefärbt. Es gibt Radkorsos, Festivals, man inszeniert sich als „Stadt der Räder“, prämiert „stylische Fotos aus dem Umfeld des urbanen Radfahrens“ (sic!), spricht g’spritzt von „Urban Radeling“. In der Werbung erscheinen Radler betont divers oder Bobo-haft, und ohne Gendern (z.B. „Radler*innen“; wo bleiben die Radler*außen?) geht es nicht, wobei hier Rad-Aktivisten im Ländle Wien brav nachahmen.
„Rad fahren und die Welt verändern“, tönt die Initiative „Wien radelt“, und das ernsthaft. Das Missionarsgehabe erntet Unmut: Von „Glaubenskrieg der Radfahrer“ war die Rede. „Wie die Ökopartei das Radfahren zur Ideologie erhebt und der Sache schadet“, schrieb der „Kurier“. „Befreit das Rad von Ideologien“, forderte die „Presse“. „Die Grünen nutzen das Rad zur Polarisierung und Emotionalisierung“, sagt Politologe Peter Filzmaier, das habe dem Thema geschadet. Außerdem gelten Radler in Wien oft als aggressiv und „unguided Missiles“ in Bezug auf die StVO. Und die Aktivisten übertreiben die Größe ihrer Klientel: Die hohe innerstädtische Radlerdichte verdeckt, dass Radler in weiten Teilen Wiens immer noch selten sind, etwa in den hügeligen Gegenden im Westen und Süden und den weniger schicken Bezirken.
In Vorarlberg gibt es ebenfalls Rad-Initiativen, auch auf politischer Ebene. Das ist gut. Aber man muss das hier nicht zum neuen Lebensstil ausrufen, denn es ist nix Neues. In V fährt man Rad, einfach so, und weil‘s schön ist. In Wien machen sie ein ideologisches Theater draus.

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