
Vom Glück am einzig wahren See Österreichs
In Bregenz hat das neue Seebad endlich offen. Das gibt Anlass zu einer Hommage an eines der schönsten Gewässer Europas, mit Augenzwinkern und gewissen Sticheleien.
Tief Luft geholt, Sprung, und der Boden unter mir verschwindet. Ich hänge unter einer blauen Himmelshalbkugel kurz in der Luft, dann saust in der Ferne die granitgraue Kette der Schweizer Berge nach oben. Es klatscht mächtig und kühles Wasser schließt mich ein. Sonnenstrahlen bohren darin durchs Blaugrün wie Bündel weißlicher Speere. Nach ein paar Sekunden tauch ich auf, das gelbe Tretboot, von dem ich gesprungen bin, schaukelt auf dem Wasser, am Ufer sind grüne Baumreihen.
Durchatmen, auf den Rücken drehen. Treiben lassen, das Wasser spüren, die Welt vergessen, ahnen, dass der See dich grüßt. Das nämlich ist der Bodensee, mein See, der einzige, ewig.
Der nächste Jump wird dann vom Steg des Bregenzer Seebades aus erfolgen. Denn seit Mai sind das neue Hallenbad und umgestaltete Freibad nach mehrjähriger Planungs- und Bauzeit in Betrieb. Wie man hier im fernen Oschten wohnend leider nur an Bildern erahnen kann, ist’s sehr hübsch geworden: das Hallenbad äußerlich schlicht, bar jeden Protzes und mit einem Hauch Kubismus, innen helle, locker-luftige Vorarlberger Holzbauarchitektur, angenehme Farben von den Böden bis zur Decke und viel Licht.
Da sind sechs Schwimmbecken, darunter zwei große 25-Meter-Becken, und endlich ein Rutschenturm mit einer fast 80 Meter langen Röhre. Sehr lässig ist die Saunawelt mit Dachterrasse und Whirlpools, die nun endlich einen Garten mit Außenbecken und einen Trakt hart am Ufer mit Seezugang umfasst, nur etwa 100 Meter weg von der Seebühne. Das könnte in der Festspielzeit lustig werden.
Die Freibadbecken hat man saniert und eines davon mit einem Strömungskanal versehen. Die große Breitbahnrutsche wurde umgedreht, sodass man darauf endlich in Richtung See schaut.
Die Kosten: 84 Millionen Euro, etwa 15 Prozent binnen fünf Jahren über Plan. Das wirkt überschaubar. In Ostösterreich sind sie größere Explosionen gewöhnt. Insgesamt darf man zufrieden sein: Das alte Seebad, das Ende der 1970er/Anfang der 1980er entstanden war (Freibaderöffnung 1979, Hallenbad 1983) und seit den 30ern einen Vorläufer hatte, wirkte zuletzt etwas abgenutzt – besonders das Hallenbad (Abriss folgt 2026), das baulich, wenngleich in anderer Leitfarbe, irgendwie mit dem Bahnhof korrespondiert, sich aber besser hielt als jener, dem es endlich an den Kragen geht.
Die Saunawelt hatte teils etwas Sanatoriumshaftes, das Freibadrestaurant war recht rudimentär, obwohl: Solang es Pommes gibt, ist alles okay, und an g’höriga Moscht hatten sie auch.
Das Gesamtareal ist mit mehr als 45.000 Quadratmetern eine der größten Badeanlagen am See. Größer ist wohl nur das Strandbad „Hörnle“ im fernen Konstanz, doch dort gibt’s keine großen Becken. Dafür ist der Zutritt gratis. Aber egal, kleiner kann auch feiner sein.
Das neue Seebad erinnert indes auch daran, dass der Bodensee, ganz unbescheiden gesagt, irgendwie der einzig wahre See Österreichs ist. Was auch damit zu tun hat, dass er nicht nur in Österreich liegt. Am 273 Kilometer langen Ufer besteht eine nette Abfolge von Völkchen, Küchen, Dialekten und Kultur, mit Bergen, Hügelland, Obstgärten, Fachwerk, Barock, Wein, Bier, High-Tech und badisch-württembergisch-bayrisch-vorarlbergisch-schweizerischer Kultur und Lebensart samt einem Hauch Frankreich. Multikulturell sind wir hier schon lange.
Zwischen dem welligen deutschen Voralpenland und der dahin ondulierenden Schweiz in Sichtweite der schroffen Schweizer und Vorarlberger Berge wirkt alles so bunt und satt, dass man, wie Henry Miller in Bezug auf Luxemburg schrieb, glaubt, die hiesigen Kühe gäben Buttermilch. Die Probleme der Welt scheinen weit weg. Laut Umfrage leben die glücklichsten Deutschen im Bodenseeraum. Auch im Ländle lebt es sich gut, speziell in Seenähe, dort hat’s einfach gutes Mojo. Gerade in Wien, wo erhebliche Teile der Stadt aus diversen Gründen am Kippen sind und elitäre Schichten das verdrängen, können sie nur neidisch herschauen. Obwohl: Das ist denen dann doch zu weit weg und un-urban.
28 Kilometer des Seeufers zählen zu Österreich. Die Größe unseres Anteils am See indes ist nicht leicht zu beantworten. Im nach Platten- und Genfersee drittgrößten See Mitteleuropas (ca. 536 km2) verläuft nämlich nur im kleineren westlichen Teil – im Untersee und vor Konstanz – eine Staatsgrenze zwischen Deutschland und der Schweiz. Im größeren Obersee nicht. Der gehört im Prinzip allen Anrainern als Gemeinschaftsraum, wobei sie in Ufernähe Hoheitsgewalt ausüben; eine Grenze wird bisweilen auch für die Zonen bis 25 Meter Tiefe behauptet.
Für praktische, primär polizeiliche Zwecke wurde der Obersee in den 1970ern in drei „Vollzugsbereiche“ geteilt, die ungefähr dem Prinzip der Realteilung entsprechen, womit man Grenzen in Seen häufig zieht, nämlich längs der Mitte zwischen den Ufern. So gesehen gehören etwa zehn Prozent des gesamten Bodensees zu Österreich. Unser Eck davon ist zwar kleiner als der Anteil am Neusiedlersee (circa 230 von 320 km2), dem See mit der größten Fläche auf österreichischem Gebiet. Aber der Bodenseeanteil ist größer als der Attersee (46 km2), das ist der größte See, der exklusiv in Ö liegt. Der Bodensee ist übrigens auch wegen seiner im Vergleich zu den anderen Seen größeren Tiefe von bis zu rund 250 Meter quasi ein Meer: Sein Volumen beträgt etwa 48 Kubikkilometer, dagegen ist der Attersee mit rund vier km3 ein größerer Pool und der kaum zwei Meter tiefe Steppensee im Burgenland mit rund 0,3 km3 eine Kuhtränke.
Die im Osten, deren West-Horizont meist bei Salzburg endet, halten auch viel auf ihre Seelein. Nett sind die ja, ich liebe den Hallstätter See inmitten der Bergkulisse. Aber für g’hörige Gsiberger und andere Bodenseekenner ist der Neusiedler See eine Drecklacke, sind die Salzkammergutseen überteuerte Biedermeierteiche für Gamsbartjapaner und Lodenwiener. Wieso der Wörthersee so gehypt wird, ist rätselhaft: Die Gegend ist schön, aber es hat dort zu viele urbane G’spritzte, Fête-Blanchisten und Besitzstandsherzeiger. Die Schicki-Atmosphäre tut dem See nicht gut.
Dafür tut einem am Bodensee so vieles gut. Bleiben wir bei einigen Orten, die man per Fahrrad vom Bregenzer Zentrum aus in etwa einer Stunde erreicht, das ist bis zum Rheinspitz beziehungsweise Nonnenhorn. Zum Beispiel war ich als Seebrünzler viel öfter als im Strandbad an der „Pipeline“, dem Uferabschnitt Richtung Lochau. Die einst räudige Gegend haben sie zuletzt schön hergerichtet, noch immer ist’s wegen Autos und Zügen recht laut, aber so wachsen Bregenzer Seekinder halt auf und scheuern sich auf der Pipeline beim Krabbeln über Asphalt, Beton und Pflastersteine die Knie auf.
Mit dem Pfänder im Nacken lässt sich’s super versumpfen und den Schiffen, die abends als schwarze Silhouetten vor der Sonne vorüberziehen, zusehen. Der Klassiker ist natürlich die „Mili“, das 1825 auf Pfählen erbaute alte Militärbad. Der Eintritt kostet wenig, es gibt Sessel, man kann aus großer Höhe ins Wasser jumpen. Draußen am Ufer aus Kies und Rasen ist’s aber auch okay, vor allem, wenn man das seit jeher gewohnt ist. Die schrägen Typen, die dort gern Party machen, sind unterhaltsam, der Kiosk beim Bahnübergang ist ein legendäres Wasserloch.
Angenehm überrascht hat einen in den vergangenen Jahren das Lochauer Strandbad. Es bietet keine Action, ist aber nie so überlaufen, hat einen noch schöneren Seeblick als in Bregenz und das Terrassenlokal „Treff am See“ von Bäcker und Konditormeister Markus Großer ist große Klasse. Selten schmeckt ein Bier anderswo am See besser, und die Vanillekrapfen, die es Anfang März gab, waren die Mütter aller Vanillekrapfen. Anfang März im Strandbad? Nein, das war zu, aber Großer hatte seinen Zauberort wegen des schönen Wetters schon geöffnet. Man darf ihm danken dafür.
Drüben in Lindau wird sich weisen, wie sich das neue Bregenzer Bad auf die nicht minder hübsche Therme Lindau/Strandbad Eichwald auswirkt. Im Infinity Pool verflog beim Blick über den See mit einem Drink in der Hand gerade in der kühlen Jahreszeit schon manch trübe Stimmung. Das gilt auch für den Lindauer Hafen, gewiss einer der schönsten Flecken in unserem Spiralarm der Galaxis. Das dortige Pendant zum Treff am See ist der Kiosk links beim Aufstieg zum Bayerischen Löwen auf der Kaimauer. Aktuell ist da mit dem „Al Porto“ ein cooler Italiener mit akzeptablen Preisen.
Nach weiteren acht Kilometern per Rad durch liebliche Gegenden, wo man vor lauter Idylle immer wieder halten und „Hach!“ sagen muss, weil man sonst explodiert, folgt das nette Nest Nonnenhorn, der letzte der drei bayrischen Orte am See. Hier scheint jeder ein Häuschen mit Obstgarten zu haben, ringsum Weinberge, gutes Mojo. Mieten Sie ein Tretboot und springen ins türkise Wasser, dann kehren Sie in den über 220 Jahre alten Gasthof „Zur Kapelle“ von Wirtsfamilie Witzigmann ein. Die Küche ist herrlich und mit einem Schuss Frankreich, immer wieder gibt’s Ente in vielen Variationen, im Garten unter der Kastanie lasse man sich ein Fläschchen Müller-Thurgau bringen.
Weiter im Süden am Ländle-Ufer gibt’s noch einen Zauberort: die schmale Landzunge beim Wocherhafen nördlich der Achsiedlung in Bregenz. Aus dem Kies ragt Vorarlbergs wohl berühmtester Baum, die Alte Silberweide. Ein unfassbar knorriges, verwachsenes Ding, das mit einer Hälfte seines unbeschreiblichen Stammes beziehungsweise Wurzelwerks zumeist im Wasser steht, oft auch komplett. Die Gegend taugt extrem gut in Zuständen frisch sprießender Gefühle und Romantik, der nahe Kiosk ist ein guter Stützpunkt für Erfrischungen; zuletzt gab’s Fragen bezüglich seiner Zukunft, schauen wir, wie es weitergeht.
Jenseits der Ache ist das Harder Bad sehr okay. Man hat es im Vorjahr ebenfalls umgebaut. Auf der amöbenförmigen Halbinsel in der kuschelig geschützten Bucht mit dem Hafen als Nachbarn herrscht eine ganz eigene Atmosphäre. So wie auch einige Kilometer weiter westlich am Rheinspitz: Baden ist in dem seichten Wasser mit dem gatschigen Grund und omnipräsenten Seevogelhinterlassenschaften zwar nicht so der Burner, aber da ist dieses Inselchen mit Silberweiden, in den Uferwäldchen ist es herrlich still und der schattige Rheinholz-Kiosk ein lässiger Ort. Womit wir wieder beim Bier sind.
Das nächste nehm ich dann wohl im neuen Bregenzer Seebad. An Österreichs einzig wahrem See.
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