
Vom historischen Bregenzer Bahnhof und der Rache der Gulaschbrücke
Gottseidank naht das Ende des jetzigen Bahnhofgruselkabinetts. Erinnerungen an dessen Vorgänger aus Kaisers Zeiten, ich bin einst quasi ums Eck herum aufgewachsen.
Plötzlich war da dieser Geruch – kürzlich, als ich über die Gleise der Badner Bahn radelte, das ist eine Straßenbahn-artige Verbindung zwischen der Wiener Oper und der Kurstadt Baden etwa 25 Kilometer weiter südlich.
Vom gekiesten Gleiskörper mit den braunen Holzschwellen stieg der typische rauchig-süßlich-ölige Geruch auf, der vom Teeröl stammt, dem Imprägniermittel, dazu ein Hauch Rost. Da hat’s mich im Kopf nach Bregenz gebeamt, weil sie im April vor dem Bahnhof mit dem Bau des Ausweichgebäudes begonnen hatten. Es ist die Interimslösung, bis dereinst der Neubau fertig sein wird. Schon sie wird hübscher sein als der jetzige architektonische Trampel aus den 1980ern, der einer der hässlichsten Bahnhöfe Österreichs ist und seit Jahren verfällt.
Der Vorgänger von 1872, errichtet als Teil der „Vorarlberger Bahn“ zwischen Lochau und Bludenz, war in der Endphase auch versandelt. Als Kind der Weiherstraße wuchs ich in den 70ern nur etwa 100 Meter entfernt in einem Hochhaus auf, von dort aus konnte man ihn sehen. Und manchmal riechen, wenn der Wind vom See kam, denn da war dieser Hauch von Teeröl.
Über beziehungsweise hinter der Häuserreihe an der Bahnhofstraße sah man den etwa 120 Meter langen Haupttrakt in Gelb, Beige und Grau mit rötlichbraunen Dächern, dahinter teils verdeckt die verdammt großen Gleisanlagen (zehn Durchgangsgleise, heute sind’s fünf), auf denen immer viel rollendes Material stand, vom grünen Personenwaggon bis zum braunen Kesselwagen. Dahinter folgten die Bäume der Seeanlagen und der See, wo am Ufer vis-à-vis nächtens die Lichter von Lindau leuchteten. Die Bahnhofstraßenhäuser verdeckten den Vorplatz großteils, aber links erschien über den Gleisen die legendäre Gulaschbrücke zum See und zur Rechten eine Wiese, dazu später. Rechts war auch das „Graue Haus“ der Landesregierung, das man 1981 abriss. Ich sah, wie rote Bagger vom „Nägele“ über die Schutthaufen rumpelten. Heute ist da die Hypo Bank.
Vor allem hörte man den Bahnhof, auch mitten in der Nacht. Da war das Brummen der Loks, das Kreischen von Eisenrädern auf Schienen, das Rumpeln von Reifen auf dem Kopfsteinpflaster des Vorplatzes, das Fauchen der Busse. Ganz markant klangen die uralten roten oder grünen Verschubloks der Serien 1061 und 1161 (Baujahr 1926-1941), deren Schrägstangenantrieb (zu erkennen an Stangen, die die Räder verbinden) ein rhythmisches Wummern erzeugte. Wenn auf Ö3, das damals noch nicht so ein Quatsch-Comedy-Club war, Hits ertönten wie „Video Killed the Radio Star“ von The Buggles (1979), „Xanadu“ von Olivia Newton-John (1980) und Bilgeris „Video Life“ von 1981, ergab das alles eine schräge bis melancholische Gesamtsymphonie.
Auf dem Vorplatz selbst (heute der Seeparkplatz) gab’s immer was zu sehen. All den Trubel, die Busse, auch etwa zum Schikurs nach Alberschwende; das Wachhäuschen für Polizisten; den Kasten mit Sprechanlage, wenn kein Taxi da war und man eines rufen wollte. Zur Sicherheit stand da noch eine Telefonnummer drauf: 222 45. Als ich einmal extremes Bauchweh hatte, lief meine Mutter mit mir dorthin, um ein Taxi zum Spital zu holen.
Im Trakt links war ein Lokal mit Mohren-Logo, aus dem es nach Tschick roch. Da und dort schäbige Gesellen, Trauben von Fahrrädern und Mopeds, die Glastüren beim Haupteingang unter dem geschwungenen grünen Schriftzug „Bahnhof“ hatten lange schwarze Griffstangen und knurpselten und quietschten beim Öffnen. Was wurde aus der großen weißen Bahnhofsuhr darüber mit dem Namenszug „Schauer“ (eine Wiener Firma)?
Das Gebäude war echt groß, es glich teils einer Wohnanlage. Links schloss das riesige Verschub- und Lagerareal an, für Kinder ein cooler Tummelplatz. Speziell interessant war die Zone rechts vom Bahnhof, wo jetzt das große Glasfassadengebäude zwischen See- und Bahnhofstraße bei der Hypo steht. Dort gab’s den Heifri-Imbissstand und Verkaufsstände für Lebensmittel und Getränke, namentlich Stroh-Rum. Dann folgte besagte Wiese – und die Eisdiele Greiter samt Espresso Café. Das Greiter galt als Vorarlbergs erster Eissalon, ich erinnere mich an Softeis Vanille, Schoko und Erdbeer, das sie über die Gasse verkauften.
Zwischen der Wiese beziehungsweise den Lokalen und den Gleisen nördlich davon war eine schmale Straße mit Wurzeln im Asphalt, von den Schienen getrennt durch Plakatwände, Geländer und Bäume bis zum Bahnübergang am heutigen Milchpilz-Standort. In der Gasse war ein Branntweiner, aus dem es streng roch. Oder war’s noch ein Eingang ins Espresso?
Weil wir 1983 wegzogen, bekam ich vom Schicksal meines Bahnhofs nimmer viel mit. Nicht den Verfall und die Bauarbeiten, die bis 1989/90 das schiache neue DING ausbrüteten und den Bahnhof aus Kaisers Zeiten in den Zeitenwind bröselten. Auch das Greiter verschwand ins Nirvana.
Die Eisenbahn ließ mich nie los. So wohnte ich zumeist nah an Bahnhöfen oder Gleisen. Etwa in Rankweil; in Altenstadt 100 Meter weg vom Bahnübergang Feldkirch–Buchs; 20 Meter vor dem Studentenheim in Innsbruck fuhr die Karwendelbahn nach Seefeld vorbei und hier in Brunn am Gebirge, wo ich seit 25 Jahren lebe, ist’s zur Haltestelle der Südbahn nicht viel weiter. Klar hatte ich eine Märklin-Bahn. Außerdem: Opa Rudolf war ÖBBler und jahrzehntelang Bahnhofsvorstand in Rankweil. Dessen Vater Kaspar Alois mit dem Karl-Marx-Bart war aus Schoppernau abgewandert, um beim Bau und Betrieb der Vorarlberger Bahn und der Arlbergbahn mitzumschaffa.
Welch Frevel, dass sie die Gulaschbrücke gekillt haben! (Zum Namen gibt’s einige Theorien. Mir hat man gesagt, die Franzosen hätten dort nach dem Einmarsch 1945 eine Feldküche beziehungsweise Gulaschkanone betrieben.) 1990 ward sie abgetragen, im Jänner 1991 nach einem törichten Beschluss des Stadtrats zerlegt und später eingeschmolzen. Für die Sanierung waren ÖBB und Stadt Bregenz zu geizig. Schande über die Barbaren! Das Objekt aus der Blüte der Stahlbauarchitektur wäre auch touristisch noch supernützlich gewesen.
Als ich ihr Fehlen erstmals sah, war ich erschüttert. Der Blick über den See, die Gleise und die Stadt war futsch. Ich roch noch den Rauch der Wälderbähnle-Dampflok, der dich einhüllte, wenn sie unten durchfuhr, das kriegtest du an dem Tag nimmer aus dem Gwand. Die Holzbohlen polterten beim Drübergehen, von ihnen und dem Stahlgerüst stieg der rauchig-süßlich-ölige Geruch mit dem Hauch nach Rost auf. Vermutlich waren der schiache neue Bahnhof und seine Probleme die Rache der tückisch gemeuchelten Gulaschbrücke, harhar!
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