
Was dir in V nach einem Wiener Sommer das Herz hebt
Wenn du aus der vielfach sozial abgewirtschafteten Stadt ins Ländle kommst, kann’s passieren, dass dich einiges überwältigt – von der Stimmung am Bodensee bis zum Alpabtrieb.
Über Nacht kamen die Wolken
Und ich hab’s nicht mal gemerkt
Schon sind am ersten Straßenbaum
Die ersten Blätter verfärbt
Ich will immer so viel erleben
Und verschlafe doch nur die Zeit
Und kaum dass ich einmal nicht müde bin
Ist der Sommer schon wieder vorbei
(Element of Crime: „Über Nacht“, 1996).
Wieder einen Sommer im Wiener Raum verbracht. Er war lang und erst heiß, dann noch länger und recht verregnet, ähnlich wie in Vorarlberg. In Wiener Medien hat die junge JournalistInnenklasse der Neigungsgruppe Aktivisti allerhand aufgeregte und mahnende Geschichten darüber gemacht, Klimawandel und so, aber lassen wir das. Die sind sensibel.
Viele Stadtbewohner und -Besucher haben sich vielfach wohl eher mit den menetekelhaften Zeichen im Stadtbild, im Lebensgefühl und der Grundstimmung beschäftigt, wonach seit mindestens einem Jahrzehnt vieles arg schiefläuft. Das zeigen auch Gespräche mit Freunden, Bekannten, Arbeitskollegen, Berichte und Kommentare in Medien, auf Internetplattformen etc. Weite Teile Wiens wirken sozial abgewirtschaftet, Müllhaufen an Straßenrändern, verfallende Gebäude, auffallend viele Bettler und offenbar sonst Bedürftige, die Kriminalitätsstatistik ist so vielsagend wie die Polizeipräsenz unübersehbar. S- und U-Bahnen fallen so oft aus wie selten zuvor, sind verschmutzt und voller Dauerplapperer am Handy, gern auch mit Freisprechfunktion. Immerhin kann man darin ein „ethnokulturell bereicherndes“ Fahrgefühl genießen.
Schöne, touristisch überfüllte Zentralbezirke und dörfliche Randgebiete wie Neustift und Unterlaa täuschen über eine Versandelung und ein Straßenbild hinweg, das von guten linken Bobo-Kreisen im willkommens- und identitätspolitischen Blindflug gern als toll bunt, vielfältig und Ausdruck moderner Urbanität behauptet wird. Seltsamerweise sind diese Leute, aber auch bildungsbürgerliche Typen, häufig Spötter, wenn’s um einheimisch-ländliche Feste geht, die in Wien stattfinden – etwa der Steiermark-Frühling am Rathausplatz (demnächst April 2026) und die dem Münchner Oktoberfest nachempfundene Kaiserwiesn (noch bis 12. Oktober) im Prater. Solche Feste mit ihrem knalligen Gemenge aus Volks-, Schlager- und Après-Ski-Musik, Trachten, Lederhosen, Bier- und Schnapstrinkerei plus dem erdigen Gehabe der Leut‘ seien „provinziell“ und passten nicht zur Hauptstadt, heißt es affektiert. Bisweilen ist sogar von „rechts“, ja „faschistoid“ die Rede. Da fällt mir eine frühere Kollegin ein, heute führend tätig in einem Magazin, der ich einst sagte, dass ich gerne den ORF-Wetterkameras zusehe. „Da kann ich ins Land hineinschaun“, sagte ich. Sie tue das allerdings nicht, erwiderte sie fast angewidert. Warum? „Dô is ois voller Nazi.“ Nun ja, soviel zu gewissen Journalistenweltsichten.
Unser Ländle ist auf der Wiener Wiesn durch Dinge wie Käs, Landjäger, Subirer und durch die Hörbranzer Brennerei Prinz vertreten. Es war ein Schnapserl von denen, ein Enzian, das mir im September auf Heimatbesuch in V die Seele gewärmt hat. Das war auf dem Pfänder, an einem Tag mit blauem Himmel, wandernden Wolken und Blick bis Konstanz.
Wenn du nach einem langen Sommer im vielfach sozial abgewirtschafteten Wien ins Ländle kommst, so kann’s passieren, dass dich einiges überwältigt. Das fing mit der wohltuenden Ruhe in den Städten an, speziell in Bregenz, jedenfalls im Vergleich zum Wiener Getöse. Mehrfach radelte ich über Maurachgasse und Leutbühel zu den Seeanlagen, teils früh am Morgen, dort lag der blaue Spiegel des Sees und es waren die vertrauten Gerüche nach Wasser, Laub und Bahngleisen da. Dazwischen das Geläute von Herz-Jesu-Kirche und Seekapelle.
Neben der Baustelle beim Bahnhof roch es plötzlich ganz intensiv nach Holz. Es war wie der Geruch einer sonnengewärmten geschindelten Hauswand oder eines Fensterladens mit Gadaladalälla, irgendwie honiggelbdunkel und wettergegerbt, worauf mir der Geruch im Bahnhof Wien-Meidling in den Sinn kam, dieses Gewölk aus Abgasen, Schweiß, Parfüm, Zigaretten, Kebab und Urin. Das wunderbare Holz-Aroma verströmte das neue Ausweichgebäude der ÖBB für den Personenverkehr. Man könnte den hübschen Holzbau, vielleicht in erweiterter Form, eigentlich auf Dauer so belassen.
Überall am See war Entspanntheit, auch bei Regen. An einem nassen Morgen mit Wolkenbänken an den Pfänderhängen traf ich beim Steg neben der Mili Frauen an, die im kühlen Wasser schwammen. „Wir müssen das ausnützen“, rief mir eine in holländischer Färbung zu, „unser Zug fährt bald ab.“ Ich radelte zur Wohnung zurück, holte eine Badehose und sprang in den See. In Wien haben sie die Alte Donau, das Gänsehäufel und sonst viele Bäder, sogar sehr hübsche, etwa an den Hanglagen im Nordwesten, but nothing compares to the Bodensee. Und to the Pipeline. Zum schrägen Kiosk gegenüber der Mili, zu den Partytypen dort und zum „Treff am See“ im Strandbad Lochau. Selten macht dich Bier wo glücklicher als in dem versteckten Lokal mit der paradiesischen Aussicht. Allerdings kann einen die hohe Radfahrerdichte an der Pipeline und in den Seeanlagen inklusive rücksichtsloser Sportradler ebenso nerven wie die egoistisch-aktivistischen RadlerInnen auf Wiener Radwegen.
Ich besuchte einen Freund, der auf dem Bödele ein Haus hat. An jenem Kaiserwettersamstag war Alpabtrieb in Schwarzenberg. Welch Spektakel! Zuerst standen wir auf einer Wiese bei der Bödele-Passhöhe, über die Dutzende Kühe der Alpe Oberlose mit grellem Geschelle und buntem Kopfschmuck herangerannt kamen. Ich verdrückte mich zwischen einen Baum und einer Hinweistafel. Aufgeregte Kühe strichen dicht vorbei, Älpler liefen hin und her, sammelten die Tiere und zogen über die Straße runter nach Schwarzenberg. Gewaltige Bilder, Klänge und Gerüche der Natur. Wie zur dramaturgischen Überhöhung der Szene übte in der Nähe auch noch ein Alphorntrio.
Wir fuhren im Bus nach Schwarzenberg, wo ein Volksfest stieg und massenhaft Rinder anderer Alpen eintrafen, von Mellau und noch weiter her, viele Stunden Fußmarsch entfernt. Die Älpler trugen Lederhosen, grüne Blusen/Hemden und Hüte mit Blumenschmuck. Der Stolz in den Gesichtern dieser Männer und Frauen, vom kleinen Kind bis zum rüstigen Senior, war umwerfend.
Diese Stunden rührten mich bis ins Mark, und es ist immer noch so, wenn ich Filme darüber anschaue und die coolen Älpler sehe. In Wien mögen das viele für provinziell, bäurisch und so weiter halten. So what. Dort treiben sie höchstens Hunderl durch die Straßen und lassen sie auf Gehsteige und Rasenstreifen gruusige Huufa macha. Und in den Gesichtern finden sich weniger verdienter Stolz und Entspanntheit, sondern häufiger Arroganz, Wichtigtuerei, Getriebenheit, Argwohn und Grant.
Vorarlberg ist dagegen ein Paradies. So etwas kann allerdings trügen: Ich war in vielen Gegenden im Pazifik und in der Karibik, die als Vorlagen für (Touristen-) Wunderwelten taugen, doch plagten dich dort Gelsen, Flöhe, Sandmücken. In Paradiesen gibt’s mithin auch Schmeißfliegen, Schlangen, Emotionsvampire, Zeitdiebe, schnell Beleidigte, Nachtragende und Neider. In V ist das leider nicht viel anders.
Kommentare