Wolfgang Greber

* 1970 in Bregenz, Jurist, bei der „Presse“ im Ressort Außenpolitik, Sub-Ressort Weltjournal. Er schreibt auch zu den Themen Technolo­gie, Militärwesen, Raumfahrt und Geschichte.

Wie die Jahre in Wien Freundschaften im Ländle verändern

Dezember 2025

in Vierteljahrhundert Distanz kann einen Hauch Entfremdung und Skepsis dir gegenüber bewirken. Aber nicht alle Verbindungen rosten gleichermaßen. Ein Novemberstimmungstext.

Vor vielen Jahren schrieb ich in einem Bregenzer Lokal diese Zeilen ins Notizbuch:
Schindeln

Blätter, gelb und rot und satt sich verfärbend,
so satt, wie es lange nicht war, nur hier.
Feuchte frische Herbstluft durchsetzt mit Heu
steigt von den Wiesen auf.
Der Geruch der geschindelten Hauswand,
honiggelbdunkel und wettergegerbt,
früher Nachmittag,
die Sonne rollt über den Gebirgskamm
und heizt die Schindeln auf
und es riecht nach Holz und Honig
und Harz und Luft und Licht
und Kühen.
Nichts anderes riecht so,
während du aus dem Fenster lehnst
und schaust
und riechst.
 
Die schmale Straße durch die Bergwiese
ist noch nebelfeucht und ein Hauch
von Bergkäs
kommt aus dem Kühlschrank.
Filterkaffee schwarz in der Tasse.
Trüber Apfelsaft.

Heimat.
 
Und sie stecken dich in einen schwarzen Sack
und jemand schlägt auf dich ein,
mit Worten,
Häme aufs Herz, Gift aufs Gemüt,  
wie Holz auf Knochen,
und du bist in einem Sack voll Schwärze,
in dem es von fern nach
herbstsonnenwarmen Schindeln riecht.
Denn du bist hier nicht mehr richtig daheim.
 
Ein paar Jahre reichen.
Das haben sie dich spüren lassen.
Sie riechen das Holz nicht mehr.

(24.10.2012, Bregenz)

Ich hab das im Restaurant „Poseidon“ geschrieben und war stimmungsmäßig nicht in olympischer Höchstform. Es war bei einem Heimatbesuch, im zwölften Jahr meines Lebens im Wiener Raum. Tage zuvor hatte es bei einem Hock in einem Vorderländer Gasthaus einen seltsamen Wortwechsel mit Schul- beziehungsweise Studienfreunden aus Innsbrucker Zeiten gegeben. Worum es ging, weiß ich nimmer, vermutlich um Politik, Soziales oder Bauprojekte, jedenfalls mit Ländle-Bezug. Da bellte mir plötzlich einer entgegen: „Du wohnscht numma dô, Du heascht ka Ahnung.“ Und: „Du muascht dô nüüt vazella, well Du bischt scho z‘lang weag.“
Vermutlich hatten die Typen vom Thema her nicht so Unrecht. Wir nahmen jedenfalls noch einige Drinks und bis heute folgten viele weitere. Trotzdem war der Moment schmerzhaft. Als ich Tage später an einem schönen Herbsttag in Schwarzenberg aus dem geschindelten Bauernhaus mit den grünen Fensterläden schaute und die Gerüche dort roch, stieg die Verstimmung wieder hoch. Ich ahnte: Trotz langjähriger Freundschaft sehen sie dich in V irgendwann zumindest skeptisch, wenn du zu lange weg gewesen bist. Speziell im Oschta.
Du scheinst nicht mehr recht legitimiert zu sein, zu Lokalthemen eine Meinung zu haben. Und das geht über Sachen, wo sie als letztlich hiergebliebene Locals wirklich besser Bescheid wissen, mitunter hinaus und ist nur unscharf definierbar. Klar, irgendwann kennst Du die hiesigen Landespolitiker nimmer so, die Wirtschaftswichtigen, Funktionäre, Künstler und sonstigen öffentlichen Herumsteher, die Hotspots und Problemlagen, welche Wickel es wo gibt, welches Lokal noch existiert und wo was neu eröffnet hat. Aber mit welch selbstgefälliger Attitüde man dich bisweilen darauf stößt, dass du (angeblich) keine Ahnung hast, selbst wenn du halbwegs informiert bist, ist grusig. Das erinnert lustigerweise an Wien.
Plötzlich ist da ein Hauch Entfremdung. Du bist für so manche der Anderen zumindest teilweise zum Fremdling mutiert, wo ka Ahnung hôt. Schlimmstenfalls oanar vo Wian. Und zwischen all den schönen Orten, Farben, Gerüchen und Geräuschen deiner Heimat ploppen da und dort Lästermasken auf, die dir eine lange Nase drehen. (Das Phänomen kann übrigens schon anfangen, wenn du zum Studieren aus dem Ländle weg bist und bald als „G‘schtudierter“ giltst. Man kennt die blöde Nachred‘.)
Einmal kam ich in einem Lokal in V ins Gespräch mit dem Spross einer heimischen Brauerfamilie. Ich sagte ihm, dass deren Bier spritziger sein könnte, also mit mehr Kohlensäure. Mir sei es etwas zu still. Am Rückweg kam es deswegen unter dem sternenübersäten Nachthimmel zu einem Disput mit einem alten Freund. Er meinte, dass „man“ das nicht tue, also quasi den Hersteller direkt kritisieren, über etwas blöd reden, das hier in V halt so ist, wie es ist, und das die Lüt so wollten. Ich hätte in Wien wohl „zu viel von der Sozi-Mentalität“ angenommen. Hä? Wie er das meine? „Das Jammern, Fordern, Kritisieren, die Unzufriedenheit.“ Verdammt, es ging doch bloß um eine Bierkritik, einen konstruktiven Input, eine Kundenmeinung, und deswegen bist ein Roter? In einer Marktwirtschaft gehört es doch dazu, Konsumentenmeinungen zu hören, oder?
Wir sind weiter super Kumpel. War ja auch eine Biergeschichte. Aber sie legte feine Risse bloß.
Klar: Distanz plus Zeit sind wie Rost auf den Klammern, Drähten und Schrauben persönlicher Verbindungen. Wie beschreibt es die englische Folkpop-Band The Men They Couldn’t Hang im Song „Australia“, einem der berührendsten Stücke Musik überhaupt:
 
„Now you’re off in Australia
Have you opened new doors
We said keep in touch,
but we don’t write so much
Have we nothing to say anymore“

Okay, bis Down Under ist’s superweit. Ich ließ dort ein Stück Herz zurück. Aber schon ein Hüpfer vom Ländle nach Innsbruck oder natürlich Wien, bei läppischen 500 km Luftlinie oder sechseinhalb Stunden im Zug, bewirkt manch Verwerfung. Anfangs kommen sie zu Besuch und ziehen mit durch die Bars, aber das wird zumeist seltener, ja hört auf und es wird eher erwartet, dass du in V erscheinst. Du bist nämlich der Fremderwerdende. (Sie zwar auch, doch das merken sie nicht.) Aber bitte nicht zu kurzfristig ansagen, weil man könne nicht „Habt-Acht stehen“. Nun ja, man überschätzt gern andere Mobilitätshorizonte.
Zurück zum Rost: Manche Verbindungen rosten anders als andere, manche kaum oder gar nicht. Von der ursprünglichen Intensität der Verbindung, von ihrem Alter und den Kräften, die sie einst zusammengeschweißt hatten, hängt das nicht einmal so stark ab. Manchmal bilden sich darunter leider Minenfelder. In seltenen Fällen kann über die Distanz aber auch eine neue Verbindung wachsen, das ist dann fast ein Wunder und wie ein Buch, dessen leere Seiten erst gefüllt werden.
Nun ja. Oft hast du deine alten Freunde, deine Burschen und Mädels, viele Monate nicht gesehen, oder ein, zwei Jahre und noch länger – und dennoch kann es sein, als wärt ihr erst vor einer Woche zemma ghockat, und die Gläser klingen wieder und du wirst verstanden. So wie früher.
 
Über dieses Früher schrieb ich einmal im Zug nach Wien:
 
Früher war alles früher
Vielleicht sogar besser
Jedenfalls früher
Da war noch mehr Zeit
Der Tunnel war länger
Der Fahrplan frisch aufgeschlagen
Die Sonne im Osten
Die Freunde neben uns jung
Wir hören noch das Lachen
Das Staunen
Das Kotzen
Manchmal das Streiten
Von früher
Nie wiegt das Wort „früher“
Schwerer
Als bei der Rückfahrt
Später.

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