Wolfgang Greber

* 1970 in Bregenz, Jurist, seit 2001 bei der „Presse“ in Wien, seit 2005 im Ressort Außenpolitik, Sub-Ressort Weltjournal. Er schreibt auch zu den Themen Technologie, Raumfahrt, Militärwesen und Geschichte.

Wie ein Virus Junge gegen Alte Aufstachelt

Juli 2020

Corona löste Debatten über das Leben aus. Etwa, ob es absolut wichtiger ist als eine florierende Wirtschaft. Laute Teile junger Generationen finden es unterdessen okay, wenn Corona die alternde Generation der „Baby Boomer“ ausdünnt.

Wem es bei dem Lied nicht die Härchen aufstellt, dem fehlt das Sensorium fürs Erhabene, Melancholische, für das große Kino des Lebens. 1992 ist’s erschienen, als das Leben noch einfacher, freier, vielversprechender schien – auch, weil der Ostwestkonflikt vorbei war und das Gift der Political Correctness, Hypersensibilität und 360-Grad-Diskriminierungsortung noch nicht nennenswert über den Atlantik nach Europa gesickert war.
„C’est la vie“, kann man zu obiger Liedzeile auch sagen. Das Leben wurde in der Corona-Pandemie auf vielfältige Art zum Thema. Teils im positiven Sinn, weil man mehr Achtsamkeit im Umgang spürte und walten ließ, mehr Respekt, Sorge um andere und sich selbst hatte. Corona brach aber auch ungute Debatten an zwei Fronten los: bezüglich der Werterelation zwischen Leben und Wirtschaft sowie zwischen altem und jungem Leben.
Wie weit sind wir bereit, die Wirtschaft durch Quarantäne auszuschalten, um Leben zu retten? Da prallten Extreme aufeinander: Man dürfe Leben nicht unterordnen, es stehe „absolut“ über allem, Abwägungen seien unzulässig, fanden etwa der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD), diverse Moralphilosophen, Journalisten und Kirchenleute. In Wien sagte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne): „Wenn es ums Retten von Leben geht, gibt es keine Wirtschaftsvergleiche.“
 Das andere Extrem wollte allem freien Lauf lassen, nur die Risikogruppen isolieren, die Viren sich „abreagieren“ und dem Immunsystem die Chance lassen, sich anzupassen. Die Schäden für das Leben – Tote und nie ganz Genesende – seien hinzunehmen.
Eine ethisch-moralisch korrekte Lösung gibt es wohl nicht. Passend scheint ein Mittelweg, der damit beginnt, Leben nicht zu verabsolutieren. Solch pragmatische Abwägungen gibt es ja seit jeher: Wir lassen Verkehr zu, obwohl dabei Menschen sterben. Auch beim Bergsport, im Bergbau, auf Baustellen. Wir erlauben Alkohol und (noch) Tabak. Wir senken Risiken, aber will man das Leben absolut schützen, müssten sie auf Null sein – folglich auch das Gros der Wirtschaft, des öffentlichen und privaten Lebens.
Wegen Corona müssten wir fast alles dichtmachen, bis die Viren entschwunden sind und kein einziges Leben mehr bedrohen. Bis dahin sind wir nervlich kaputt und pleite, die Staaten auch, denn Einkommen, Ersparnisse und Steuern sind futsch. Alkoholismus, Psychoprobleme und Gewalt wären explodiert. Insgesamt: Das war’s dann. Es ist nicht zynisch, Leben gegen Wirtschaft abzuwägen. Leben hat Vorrang, aber der Vorrang endet dort, wo sein exzessiver Schutz Wirtschaft und Freiheit so schädigt, dass er droht, die Basis für Gesellschaften, humane Existenz, Würde und das Leben selbst zu zerstören.
Weitere Lockdowns werden auch unter diesem Aspekt zu sehen sein. Leider hat schon der erste einen Generationenkonflikt einseitig verschärft, der spätestens durch Greta Thunberg und ihre Demos (um sie ist’s ruhig geworden, es gibt neue Themen) vor breites Publikum kam. Denn es ist so: Die meisten der durch Corona stark Gefährdeten sind Leute ab etwa 60; die Masse derer, die durch die Maßnahmen von Arbeitslosigkeit, Insolvenz, Hemmnissen in Schule und Ausbildung bedroht oder betroffen sind, ist jünger – und größer.
Eigentlich litt und leidet wirklich die Mehrheit für eine Minderheit. Man nennt das Solidarität. Doch die ist gekippt: Die Pensionisten sollten als die von der Quarantäne „vorwiegend Begünstigten“ den Preis für ihren Schutz zahlen, etwa durch reduzierte Pensionen, heißt es. Sie seien eh vermögend.
Das Kippen mündete in Missgunst, Hohn und Hass, wobei diese teils durch Leidensdruck, teils ideologische Disposition befeuert wurden. Diese Einstellung findet man bei Teilen der „Generation Z“ (Geburtsjahrgänge ab Mitte 1990 bis Anfang der 2010er) und „Y“ (die Millennials, Jahrgang ab Anfang 1980er bis Mitte 90er). Sie äußert sich im Kern darin, dass Ältere, speziell die „Baby-Boomer“ (Jahrgang etwa 1946 bis Mitte/Ende der 60er), für alle wahren und behaupteten Übel der Welt angeklagt werden: für Klimawandel, Umweltverschmutzung, Kapitalismus, Ausbeutung der Dritten Welt, Migrationsdruck etc.
Die traurige Spitze erklomm der verächtliche Gestus im Corona-Kontext mit dem im Internet verbreiteten Slogan und Hashtag „Boomer Remover“ (Boomer-Beseitiger). Unter dem Titel spotteten Millionen Junge über Alte und drückten aus, wie toll sie das nicht fänden: Corona dünne nämlich die mächtigen Oldies zu Gunsten der hippen Jungen aus. Manche sehen es als Rache der Natur.
„Beißt ins Gras, ihr Babyboomer, und bedroht uns nicht mit euren Pflegekosten. Alte Geldsäcke, gebt was ab, am besten gleich den Löffel.“ So konzentriert Kulturjournalistin Barbara Petsch von der „Presse“ den Tenor der Boomer-Remover-Welle, die durch Instagram und Twitter giftelt und zeigt, dass man legitim von „asozialen“ Medien sprechen kann.
Schon schräg, wie die Boomer, die gefahrlos auf ihre Eltern und Großeltern einprügelten, speziell wegen der NS-Zeit, und die die Vergangenheit bewältigten, bewältigten und nochmals bewältigten, heute von Jungen versohlt werden. Als hätten sie auf ihre Gegenwartsbewältigung vergessen und darum alles versaut. Siehe die Übel der Welt.
Als jemand aus der moderaten, every­thing-goes Generation X (Mitte/Ende der 1960er bis etwa 1980) muss man sagen: Wir sahen unsere Ahnen schon nicht als unfehlbar, aber hatten und haben ein Maß an Respekt, das zu wahren ist. Das Niveau, mit dem jetzt viele VertreterInnen der Jungen gegen Ältere schießen, ist dagegen oft peinlich und eine Sauerei. Es removed eigentlich den Grund für Ältere, umgekehrt respektvoll zu sein.
Die Infrastruktur samt Gesundheits- und Sozialsystem haben übrigens im Löwenanteil die Boomer bezahlt. Ob die junge Generation, so Petsch, mit ihrer „Sensibilität, Work-Life-Balance und Burn-Out-Gefährdung Jahrzehnte in Absicherungssysteme einzahlen“ werde, die schon brüchig sind? „Es schaut nicht so aus.“
„Die Jungen san alt wordn. Und die Altn san g‘storbn“. Das sollten viele Junge genauer anhören. Vor allem den ersten Satz.

„Die Jungen san alt wordn. Und die Altn san g‘storbn."

Hubert von Goisern: „Heast as nit“

Das Kippen mündete in Missgunst, Hohn und Hass, wobei diese teils durch Leidensdruck, teils ideologische Disposition befeuert wurden. Diese Einstellung findet man bei Teilen der „Generation Z“ (Geburtsjahrgänge ab Mitte 1990 bis Anfang der 2010er) und „Y“ (die Millennials, Jahrgang ab Anfang 1980er bis Mitte 90er). Sie äußert sich im Kern darin, dass Ältere, speziell die „Baby-Boomer“ (Jahrgang etwa 1946 bis Mitte/Ende der 60er), für alle wahren und behaupteten Übel der Welt angeklagt werden: für Klimawandel, Umweltverschmutzung, Kapitalismus, Ausbeutung der Dritten Welt, Migrationsdruck etc.
Die traurige Spitze erklomm der verächtliche Gestus im Corona-Kontext mit dem im Internet verbreiteten Slogan und Hashtag „Boomer Remover“ (Boomer-Beseitiger). Unter dem Titel spotteten Millionen Junge über Alte und drückten aus, wie toll sie das nicht fänden: Corona dünne nämlich die mächtigen Oldies zu Gunsten der hippen Jungen aus. Manche sehen es als Rache der Natur.
„Beißt ins Gras, ihr Babyboomer, und bedroht uns nicht mit euren Pflegekosten. Alte Geldsäcke, gebt was ab, am besten gleich den Löffel.“ So konzentriert Kulturjournalistin Barbara Petsch von der „Presse“ den Tenor der Boomer-Remover-Welle, die durch Instagram und Twitter giftelt und zeigt, dass man legitim von „asozialen“ Medien sprechen kann.
Schon schräg, wie die Boomer, die gefahrlos auf ihre Eltern und Großeltern einprügelten, speziell wegen der NS-Zeit, und die die Vergangenheit bewältigten, bewältigten und nochmals bewältigten, heute von Jungen versohlt werden. Als hätten sie auf ihre Gegenwartsbewältigung vergessen und darum alles versaut. Siehe die Übel der Welt.
Als jemand aus der moderaten, every­thing-goes Generation X (Mitte/Ende der 1960er bis etwa 1980) muss man sagen: Wir sahen unsere Ahnen schon nicht als unfehlbar, aber hatten und haben ein Maß an Respekt, das zu wahren ist. Das Niveau, mit dem jetzt viele VertreterInnen der Jungen gegen Ältere schießen, ist dagegen oft peinlich und eine Sauerei. Es removed eigentlich den Grund für Ältere, umgekehrt respektvoll zu sein.
Die Infrastruktur samt Gesundheits- und Sozialsystem haben übrigens im Löwenanteil die Boomer bezahlt. Ob die junge Generation, so Petsch, mit ihrer „Sensibilität, Work-Life-Balance und Burn-Out-Gefährdung Jahrzehnte in Absicherungssysteme einzahlen“ werde, die schon brüchig sind? „Es schaut nicht so aus.“
„Die Jungen san alt wordn. Und die Altn san g‘storbn“. Das sollten viele Junge genauer anhören. Vor allem den ersten Satz.

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