Wolfgang Greber

* 1970 in Bregenz, Jurist, seit 2001 bei der „Presse“ in Wien, seit 2005 im Ressort Außenpolitik, Sub-Ressort Weltjournal. Er schreibt auch zu den Themen Technologie, Raumfahrt, Militärwesen und Geschichte.

„Heiliges Land“ im Hassgewitter

März 2021

Ungünstige TV-Auftritte von Politikern im Corona-Konnex lösten eine Welle der Ressentiments gegen „die“ Tiroler aus. Vorwürfe kamen speziell aus Ostösterreich. Sie könnten sich indes ebenso auf dort wie irgendwo sonst beziehen.

Harrgottzack, unsere Nachbarn hinter den Bergen im Osten haben’s zuletzt net leicht gehabt. Sie wissen: Eine wegen Corona gereizte Stimmung in Österreich, trübe Monate, ein Berg- und Natur-Neid im urbanen Teil Ostösterreichs, das Auftreten heikler Covid-Mutanten, ungünstige TV-Auftritte von Politikern und Funktionären, die härtere Coronamaßnahmen ablehnten. Und dann brach in sozialen und klassischen Medien das los, was man Gagel-Hagel, Hassgewitter, Ressentiment-Lawine nennen kann. Und zwar nicht nur über die Betreffenden, sondern über ganz Tirol.

„Ich werd Tirol nie mehr im Urlaub besuchen. Die präpotente Art ist zum Kotzen“, schrieb etwa ein Poster in der „Presse“. „Die Sammlung empirischer Beweise fürs originelle inneralpine Verhalten in Westösterreich ist wieder größer geworden“, tippselte ein anderer – und offenbarte zugleich ein geografisch großräumigeres persönliches Problem.

Woanders las man vom „Aufstand des Bergvolks“, Tiroler hätten Probleme mit Selbstreflexion und Kritik, seien „gierige Bauernschädel“, hätten „begrenzten Horizont“ und so fort. Garstig ging eine Kolumnistin in Wien zu Werke (sie stammt dabei gar nicht aus der Ostregion im engeren Sinn), die nach dem Auftritt des Tiroler Wirtschaftskammerchefs schrieb: „Was Restösterreich an den Tirolern ärgert, ist die Haltung, ganz sicher nicht über den Tellerrand schauen zu wollen“. Und: „Was ist los mit diesen Menschen, die sich in einer Art Wilder Westen verorten? Woher dieses unfassbare Selbstbewusstsein, diese Extremform von ,mia san mia‘?“

Was „Restösterreich“ an „den“ Tirolern ärgert, also. Also alle anderen, und immer schon. Oha! Sogar „Qualitätsmedien“ schießen mit der Pauschalisierungskanone auf die Tiroler. Eigentlich gilt Pauschalisieren und Stereotypisieren als böse. Aber halt nur, solang es einen nicht selbst trifft, die eigene Klientel und diversen Schützlinge im politisch korrekten Streichelzoo. Bei vielen Kommentaren schien es, als würden alte Rechnungen beglichen, Verletzungen vergolten und die Chance genützt, gefahrlos Ressentiments loszuwerden. Griffig, aber besonnener machte das just das Magazin „News“: Es stellte unter den Titel „Die Tiroler“ Begriffe wie „stur“, „vorlaut“, „widerspenstig“, „ignorant“, „überheblich“, gefolgt von einem relativierenden „oder?“ – und differenzierte das im Blatt gut aus.

Lassen wir die Corona-Chose, die Fehler, halbseidenen Umtriebe und das Gorillagebrülle in Tirol und anderswo beiseite. Ebenso, dass man in Tirol beim Tourismus hyperempfindlich ist, da er bundesweit absolut und relativ die Bedeutungsskala anführt und viele darin ums Überleben kämpfen; klar könnte man sagen, dass das auch eine Folge des „Over-Tourism“ ist und die das jetzt auslöffeln müssen, aber das ist Ätsch-Bätsch-Nachtreten.

Also es ist nämlich so: Das Hinhaun auf die „Knödel“, wie’s gern semi-boshaft heißt, ist unfair. Schon angesichts der sozialen und geografischen Ecken, wo das herkommt, denkt man an die Sache mit dem Stein und dem Glashaus. Die Tiroler sind besser, als die Unkenrufe tönen. Ich schick voraus, dass ich ein Jahrzehnt als Student, Soldat und Jurist in Innsbruck war, seit 20 Jahren in Niederösterreich lebe, in Wien arbeite, und aus vielen Gründen fast alle Bundesländer, ihre „Stämme“ und Mentalitäten überdurchschnittlich gut kenne und einordnen kann. Das in Tirol waren lässige, wilde Jahre, mit Aufs und Abs wie anderswo auch. Man verklärt alte Zeiten zwar gern. Aber die meisten Tiroler waren okay.

Sie sind also stur, heißt es. Das kann man auch „beharrlich“, „entschlossen“, „standhaft“ nennen, positive Eigenschaften, derer „wir“ uns im Ländle oft rühmen. Man kann dem die verbreitete Gummiwirbelsäule, das Hin-und-Her-Gedruckse, Verzagen, den gesenkten Kopf und das Hintenrum-Gemauschle entgegenhalten. Klar, zu Rechthaberei und Kompromissverweigerung ist’s nur ein Steinwurf. Das gibt’s allerdings überall. Vielleicht sind Tiroler eine Spur hantiger, bärbeißiger. Ist aber kein Übel. Man kennt das auch vom Bregenzerwald, der Obersteiermark etc.

Tiroler sind vorlaut? Hier im Osten sagt man „goschert“ und meint damit meist Wiener. Widerspenstig? Ja, da klingen „trotzig“, „abweisend“, „störrisch“ mit, aber widerspenstig ist auch, wer einen eigenen Kopf hat, nicht alles schluckt und mit sich machen lässt. In Zeiten verbreiteter öffentlicher Protestkultur wird das „Etwas-nicht-Hinnehmen“ ja fast zur moralischen Pflicht erhoben.

Probleme mit Kritik? Ui, da drängt sich kein Österreicher vor und spielt den Flagellanten. Seit langem gibt es auffälliges Mimimi-Gejammer wegen angeblichen „Wien-Bashings“, aus vielen Gründen und vom SPÖ-Bürgermeister abwärts. Etwa, als 2020 dort die Corona­zahlen sehr übel waren und es externe Kritik an den Maßnahmen gab.

Ignorant? Das kann einiges heißen, von purem Unwissen bis zum vorsätzlichen Verdrängen. Auch das gibt’s vielerorts. Viele Wiener kennen sich ab der Stadtgrenze nimmer aus, das wird in Salzburger, Kärntner Seitentälern ähnlich sein, für manch Vorarlberger hört die bekannte Welt im Osten im Klostertal langsam auf.

Und Arroganz, Überheblichkeit? Im Gros Österreichs denkt man dabei primär an die Hauptstadt und den Tanz ums urbane Kalb, hört das aber auch etwa über Stadtsalzburger und manche im Ländle, sowohl in Bezug auf Restösterreich als auch im internen Vergleich.

Kaum eine der Anschüttungen gegen „die“ Tiroler ist exklusiv oder überwiegend zutreffend. Dafür gestehe ich, dass sich in 20 Jahren manches Wien-Vorurteil, das ich einst gutgläubig ignoriert hatte, im Schnitt leider bestätigte. Speziell das über den Mehrwertigkeitskomplex. Und das Missverhältnis zwischen der Schnellheit beim Austeilen und der Wehleidigkeit beim Einstecken ist dort größer als anderswo. Lassen wir die Beispiele, ist eine andere Story. Höchstens bei den Tirolern ischt’s ähnlich. Harhar! Soviel Bosheit darf sein, sorry.

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