Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Sich abzuheben vom Strom, das war für mich immer sehr wichtig“

September 2022

Magdalena „Lena“ Hoschek ist die wohl bekannteste österreichische Modedesignerin. Sie bezeichnet sich selbst als Kleidermacherin. Sie beschäftigt 65 Mitarbeiter und verkauft ihre Kreationen in alle Welt. Zu ihren Kundinnen zählen unter anderen auch Dita von Teese, Sarah Jessica Parker und Lana Del Rey. Gerald A. Matt traf sie zu einem Gespräch.

Ich beginne mit einem Zitat von Ihnen, Sie sagten: „Trends sind mir so etwas von egal“. Gibt es Trends überhaupt noch in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft? Und wenn es Trends gibt, ist es nicht sogar Ihr Erfolgsrezept, gegen die Trends zu arbeiten?
Das mag sein. Ich habe von ganz Anfang an „Fast Fashion“ für nicht wünschenswert oder erstrebenswert gefunden. Von meiner Großmutter und meiner Mutter habe ich gelernt, dass Kleider umso länger gehalten haben, je schöner sie gemacht wurden. Ich habe als Teenager immer wieder gerne Sachen aus dem Schrank meiner Großmutter oder Mutter geholt, so lange ich hineingepasst habe. Den starken Bezug zu Qualität, zu Handwerk und zu handgemachten Dingen habe ich sicher von zu Hause mitbekommen. Ich glaube, dass Handwerk und Tradition immer alle Trends überleben werden. Und schon als Teenager hatte ich gar keine Lust, auszusehen wie alle anderen. Und Anfang der 1990er-Jahre war ja der Zugang zu unterschiedlicher Mode sehr schwierig. Alle Geschäfte führten damals quasi das Gleiche, und die Trends waren so stark, dass jeder, der bei diesen Trends nicht mitmachte, schon fast ein Außenseiter war oder aber ein Paradiesvogel. Mit zweiterem wollte ich mich immer identifizieren. Sich abzuheben vom Strom, das war für mich immer sehr wichtig.
 
Georg Simmel schrieb in seiner „Philosophie der Mode“: „Mode basiert auf Nachahmung und genügt damit dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung. Sie führt den einzelnen auf die Bahn, die alle gehen. Nicht weniger aber befriedigt sie auch das Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz zur Differenzierung, zur Abwechslung, sich abzuheben.“ Gilt das heute eigentlich auch noch? – Ich habe oft das Gefühl, die meisten Menschen haben Angst aufzufallen, und es herrscht eine große Uniformität.
Ja, absolut. Die Teenager kleiden sich heute auch alle fast gleich „individuell“. Dennoch – auch wenn große Konformität herrscht –, ist Gott sei Dank vieles oder fast alles erlaubt. Jeder kann sich anziehen, wie er will. Innerhalb der großen Strömungen gibt es schöne eigene Nischen. Und eine dieser Nischen bediene sicherlich ich, nämlich die für weibliche Kleidung und Vintage-inspirierte Kleidung.

Heute tragen ja Minister Turnschuhe zur Angelobung, Männer tragen kurze Hosen im Stadtraum, Beamte im Dienst T-Shirts statt Krawatte und Touristen verwechseln Kirchen mit Badeanstalten. Die wenigsten Leute wissen mehr, zu welchem Anlass man was trägt. Gilt das Motto eigentlich noch, „Kleider machen Leute“? Können die Leute überhaupt noch die Codes der Mode lesen?
Ich finde, das ist ein ganz schmaler Grat, die größtmögliche Freiheit zu erringen, aber den Anstand zu bewahren. Ich finde es toll, was man sich heutzutage für nichts schämen muss und auch, dass es keine Zwänge mehr gibt. Aber für diese Freiheit muss man nicht alles über Bord werfen.
 
Über die Mode heißt es ja immer, sie sei oberflächlich, es gehe immer um die schöne Verpackung. Oscar Wilde meinte einmal: „Nur oberflächliche Menschen urteilen nicht nach dem äußeren Erscheinungsbild. Das wahre Geheimnis der Welt liegt im Sichtbaren, nicht im Unsichtbaren.“ Daher die Frage: Was sagt Kleidung für Sie über die Menschen aus?
Mode wirkt einerseits wie ein Transmitter, abhängig von der Persönlichkeit oder auch der momentanen Stimmung. Andererseits kann man Frauen und Männer oder alles dazwischen nicht eingrenzen, nach dem Motto: Das hat er oder sie einmal getragen, und deswegen ist er oder sie so. Auch ich bin, wenn Sie mich zuhause antreffen, plötzlich eine andere Person. Aber Mode geht ja viel tiefer. Vielleicht bin ich morgens schlecht gelaunt, dann kann ich mich entweder hinreißen lassen, etwas „Schlawutziges“ anzuziehen oder ich überwinde mich und steck mich in etwas Hübsches, Buntes – und damit kommt dann vielleicht der Rest des Tages wieder in Schwung.
 
Nach der Modeschule Hetzendorf sind Sie ja zu Vivien Westwood gegangen. Wie emanzipiert man sich eigentlich von so einem starken, beeindruckenden Vorbild? 
Meine größte Westwood-Prägung war eigentlich schon im Alter von 13, 14 Jahren, über die Vogue-Zeitschriften meiner Mutter. Die Westwood-Kollektionen hatten damals eine starke historische Anlehnung, gemischt mit Punk. Oder es gab auch eine gehäkelte Linie und mit Korsett. Und auf das bin ich wirklich hineingekippt. Überhaupt war mir immer schon alles, was alt war, mehr wert als das, was neu war.
 
Ein Begriff, den Sie immer wieder gerne verwenden, war der Begriff der Authentizität. Was bedeutet dieser Begriff für Sie in Bezug auf Ihre Arbeit?
In den ersten fünf Jahren haben Interviewer, die meinen Werdegang verfolgten, mich erst auf die Idee gebracht, dass meine Arbeit so authentisch sei. Ich selbst habe damals ja kein Presse- oder Brand-Konzept verfolgt. Ich habe einfach immer nur das gemacht, was ich gut finde. Und da ergibt sich das ganz von selbst.

Die 1950er-Jahre gelten einerseits als eine Zeit der Restauration, des Konservativismus, andererseits aber auch als Ära des Wirtschaftswunders und des Aufbruchs: In Ihrer Mode finden sich starke Bezüge zu dieser Zeit. Was fasziniert Sie so an den 1950er-Jahren?
Ich bin aufgewachsen mit Filmen mit Marilyn Monroe, Sophia Loren, Doris Day – und diese Frauen waren ja echte „Sexbomben“, um dieses Klischee zu bemühen. Das waren für mich tolle selbstbewusste Frauen, die allen den Kopf verdreht haben, wo aber viel mehr dahinter war. Und die Humor hatten. Überhaupt, wenn ich von Mode spreche, finde ich es wichtig, dass man sich selbst nicht allzu ernst nehmen darf.
 
Die Mode der 1950er-Jahre ist – zumindest für mich – ja auch sehr stark mit Eleganz verbunden. Haben Sie das Gefühl, dass sich die Menschen überhaupt noch trauen, elegant zu sein?
Trauen ja, aber ich habe den Eindruck, sie fühlen sich dann auch schnell overdressed, und vielleicht unsportlich. Heutzutage haben wir mehr einen Körperkult als einen Modekult. Und was meine Mode anbelangt: Ich habe den klaren Anspruch, dass ein Kleid die Frau schöner machen soll und nicht die Frau ein Kleid schöner machen soll. 
 
Sie sind auch für Ihre wunderschönen Dirndln bekannt. Für manche gelten Dirndl als Ausdruck einer nationalistischen Gesinnung. Hat Kleidung wirklich mit Weltanschauung zu tun?
Ich möchte völlig frei bleiben und lasse weder meine Kleidung noch die Geschichte der Kleidung, die ich sehr liebe, instrumentalisieren. Traditionelle Kleidung, Volkskleidung, für Ideologien zu missbrauchen, kann ich nicht akzeptieren. Ebenso wenig will ich mir anmaßen zu befinden, wer meine Mode kaufen und tragen soll.

Sie machen ja eigentlich Mode nur für Frauen. Reizen Männer Sie nicht?
Ich habe früher immer gesagt, ich mache Mode für Männer – also das, was Männer lieber an Frauen sehen wollen als einfach einen schlichten Sack. Und wir haben viele Kundinnen und Kunden, die gemeinsam zum Einkaufen kommen.

Sie haben sehr früh auch ein anderes Frauen­ideal gepflegt, also zu einer Zeit, wo auch diese sehr dünnen Models das Ideal waren.
Das ist ein schwieriges Thema. Ich werde auch dafür kritisiert, weil meine Models zu dünn sind. Und ich kann nur wiederholen: Ich kriege keine anderen. Die Industrie ist genormt, und für Designermoden macht es auch Sinn, Maße zu normen. Wenn wir etwa 75 Outfits an verschiedenen Typen vorführen wollen würden, dann müsste ich ja Monate im Voraus wissen, welche Models ich buchen kann und dann auch ganz genau schon zuteilen, welche Outfits für diese Models in welcher Größe genäht werden. Das wäre ein wahnsinniger Aufwand.
Ich würde mir wünschen, dass der Standard wieder auf andere Maße gehoben wird. Meine Mode gibt es ja auch von Doppel X bis Doppel XL zu kaufen. Mein Frauenideal ist für mich, sich weiblich zu fühlen. Wichtig für mich als Designerin ist, nicht zu sagen, wie jemand sein soll, sondern was jemand sein könnte, wenn er meine Sachen trägt.
 
Kleider, die Sie machen, sind ja teurer als Massenware, die man in den Kaufhäusern kaufen kann. Worin genau unterscheidet sich nun so ein Kleid von einem Massenprodukt? Was macht den Qualitätsunterschied aus?
Da sind so viele Parameter. Bei mir ist sicher der Stoffverbrauch ein großer Punkt. In dem Rock, den ich gerade trage, stecken fünf Meter feinster Wolle aus Italien. Und das kostet richtig viel Geld. Davon abgesehen, muss man die sogenannte „Nähminute“ kalkulieren, und unsere Sachen sind wahnsinnig aufwändig gemacht. Wir nähen zwar alle Samples und Anfertigungen in Wien, aber für eine Serienproduktion in Österreich haben wir nicht mehr die Ressourcen. Wir haben insgesamt über 16 europäische Produktionsstätten zu betreuen, oft sehr kleine Produktionsstätten, echte Manufakturen. Ich lasse alles in Europa herstellen, die auf prachtvoll schöne Ware spezialisiert sind. Denn bei alldem ist mir extrem wichtig, dass wir in Europa eine Industrie erhalten. 

Wenn ich an einen gut angezogenen Mann denke, denke ich an Cary Grant. An welche Frau würden Sie denken?
Da gibt es so unterschiedliche Stilistiken. Von heute sicher Dita von Teese. Weniger ihre glamourösen Kostüme am Abend – ich selbst bin kein Freund von Glitzer – aber die Sachen, die sie tagsüber trägt, wie sie es kombiniert, ihre Frisur, ihre Schuhe, ihre Tasche, egal, was es ist – von Kopf bis Fuß, sie ist wirklich toll und faszinierend gestylt.
 
Arbeiten Sie zurzeit an einer neuen Kollektion? Und was erwartet uns da? 
Die Winter-Kollektion 2022/23 heißt „Souvenir“. Ich bin ja sehr, sehr nostalgisch geprägt, und ich finde, dass der ehemalige Ostblock und der Balkan wahnsinnig viele Inspirationen für Nostalgie mitbringen. Dabei sind mir Stickereien wichtig und Rosenstoffe, deren Rosen generell als Symbol für Gefühle, Zuneigung, Hingabe, oder sogar für Liebeskummer stehen. In dieser Kollektion haben wir auch russische Tücher verwendet. Und als jetzt der Russland-Ukraine-Krieg ausgebrochen ist, gab es bei uns zuerst eine echte Krise. Und dann habe ich gedacht, das darf nicht sein, dass ein ganzes Volk verurteilt wird für das, was die Politik anrichtet. Hier wird meine Mode letztlich auch zu einem Symbol dafür, dass die Völker dieser Region letztlich so viel gemeinsam haben. Und ich sehe diese Ähnlichkeiten immer wieder in der Folklore. Deswegen fasziniert und inspiriert mich das auch so sehr, weltweit. Ob das jetzt ein peruanischer Rock ist, ein ungarischer oder auch ein indischer.
 
Was tragen Sie selbst am liebsten?
Es gibt bei mir die Grundausstattung, die ich wirklich jeden Tag anhabe. Das bezieht sich auf das Darunter. Da ist auch das meiste von mir. Und sonst kommt es auf die Saison an. In der Herbst-Winter-Zeit entweder Kostüme oder am liebsten Kleider – Kleider und Strickwesten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.