Kurt Bereuter

56, studierte BWL, Philosophie und Politikwissenschaften. Organisationsberater und -entwickler, freier Journalist und Moderator, betreibt in Alberschwende das Vorholz-Institut für praktische Philosophie.

Baukultur hat mit Bildung zu tun

September 2022

Besonders gefiel Reiner Nagel, dem Vorsitzenden der „Bundes­stiftung Baukultur“ aus Potsdam, wie im Bregenzerwald Altes neben Neuem Bestand hat und aus Altem Neues entstand.

Immer wenn Gäste von außen in den Bregenzerwald kommen, geht es ihnen nicht anders als uns, wenn wir eine fremde Region besuchen. Es werden die schönen Seiten präsentiert und vorgestellt. Dass die Grenze zwischen Schein und Sein dann manchmal verschwimmt, liegt auf der Hand. Wenn der Vorsitzende der „Bundesstiftung Baukultur“ aus Potsdam mit seinem Team in den Bregenzerwald kommt, ist es nicht anders. Oder doch, denn er kam mit dem Fahrrad und auf seiner gemächlichen Anreise hatte er gleich beide Augen offen. Dabei nahm er ein hohes Bewusstsein für Gestaltungsqualität in der Region wahr, eine hohe handwerkliche Qualität und eben viel Holz im Sinne einer Materialqualität.
Besonders gefiel ihm auch, wie Altes neben Neuem Bestand hat und aus Altem Neues entstand. Wohltuend war für ihn auch der Geruch nach Holz, zumindest als er bei der Säge vorbeiradelte. Architekt Hermann Kaufmann beglückwünschte ihn zu diesem olfaktorischen Erlebnis, denn normalerweise würde es im Bregenzerwald weniger nach Holz, dafür mehr nach Jauche riechen. Aber es fiel ihm auch auf, dass bei den Handwerksbetrieben durchwegs mittels Bannern Mitarbeiter gesucht werden und, dass dem Auto viel Platz eingeräumt wird, der sich auch in phantasielosen, versiegelten und städtisch anmutenden Hauserschließungsplätzen zeigt.

Gebäude sind unsere langlebigsten Produkte
Gebäude sind unsere langlebigsten Produkte und fast die Hälfte der Ressourcen, der Energie und des Abfalls gehen auf Kosten des Bauens und am meisten davon sei dem Rohbau geschuldet.
In dieser Hinsicht liege nichts näher, als Altes zu erhalten und Neues aus dem Bestand zu schaffen. Das spare Energie, Ressourcen und Abfall und verschone die verbliebenen Grünflächen. An einem Bürohaus-Beispiel in München konnten sie errechnen, dass ein Ersatzneubau – neben der Ressourcenverschwendung und der Abfallproduktion – so viel CO2-Emissionen verursache, wie der Energieverbrauch von 34 Jahren „Betrieb“ des umgebauten Gebäudes. Und deshalb kommt die Baukultur zum Tragen – als Umbaukultur. So müsse jedes Gebäude zuerst auf die Umbaupotenziale hin geprüft werden. Dabei darf es nicht nur um die energetische Sanierung gehen, bei der das Haus anschließend mit Kunststofffenstern und einer Wärmeschutzfassade dem historischen Wert entrissen wird, sondern um das Schaffen von Mehrwert durch ein kluges Entwickeln aus dem Bestand heraus. Meistens gehe der Anstoß zum Umbau schon von einer notwendigen energetischen Sanierung aus und das eröffne ein Gelegenheitsfenster, um einen Mehrwert zu schaffen. Niemand habe Lust ein Haus nur energetisch zu sanieren, sondern wolle den Mehrwert verbessern und damit einen Zusatznutzen generieren. Dadurch wird Umbaukultur ein wesentlicher Bestandteil von ökologisch nachhaltiger und ästhetisch ansprechender Baukultur. Ökologisch am günstigsten sei es immer, wenn nur „notdürftig“ saniert wird, also möglichst viel an Altem erhalten bleibt und weitergenutzt werde. Je mehr es allerdings werden soll, desto mehr (um-)baukulturelles Wissen sei gefordert. Und darüber hinaus fachliches Wissen und Können inklusive einer perfekten Kooperation von am Bau Beteiligten. So führe Umbau geradlinig zum Handwerk – und das habe tatsächlich goldenen Boden, was den jungen Menschen besser vermittelt werden müsse. 

Die neue Handwerklichkeit
als Bildungsaufgabe
Im Rahmen der neuen Handwerklichkeit müsse es nach Richard Sennet wieder gelingen, Kopf und Hand zu vereinen, denn Hand und Kopf zu trennen schade dem Kopf. Handwerk sei die Symbiose davon, denn gutes Handwerk verbinde Kopf und Hand und die Grundlage dafür schafft die Bildung, die freilich schon in der Schule beginnen müsse. Dort könnten Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeiten geweckt und entfaltet werden und damit der Baukultur zuträglich werden.
Zwei Drittel der Deutschen hielten sich für gute oder geübte Heimwerker und könnten damit Eigenleistung und Selbstverwirklichung im Umbau generieren. Dass diese Wertschätzung, das Wissen und die Freude am Handwerk nicht verloren gehe, verlange in den Schulen nach Werk-Räumen und nach Werk-Lehrpersonen, die dort den Zugang und die Freude am Handwerk wecken und entwickeln könnten. Im Mittelpunkt stehe dabei, dass Kinder, Jugendliche und Erwachsene zum Mitdenken und Mitmachen motiviert werden, ihre Umwelt gestaltend mitzuprägen.
Nicht nur Menschen prägen Räume, sondern auch umgekehrt, Räume prägen Menschen. Und dieses Geprägt-Werden und Prägen beginne immer schon im Kindesalter. Jeder Raum, die eigenen vier Wände gleichermaßen wie der öffentliche Raum, schreibe sich in die Erinnerungen, Empfindungen und Erlebniswelten der Allerkleinsten ein. Mit Bauklötzen bauen sie Türme, reißen sie wieder mit Freude ein und entdecken mit Aufbauen und Einreißen Ordnung und Chaos in einem kreativen Prozess, der originär mit Gestalten, Schaffen und Bauen zu tun hat. Dass die Schule diese Wahrnehmung, dieses Gestalten und Schaffen weiter fördern und entwickeln könnte und sollte, versteht sich von selbst. Letztlich sei klar, dass eine bessere baukulturelle Bildung nur durch eine gemeinsame Anstrengung von pädagogischem Personal, Eltern und Handwerk zu erreichen sei. Aber klar sei auch, dass diese frühe baukulturelle Bildung langfristig die größte Wirkung entfalte und für die Räume von ästhetischer, sozialer und ökologischer Wichtigkeit sind. Also müssen Kopf und Hand wieder mehr in Verbindung gebracht werden, davon profitiert nicht nur das Handwerk und die Baukultur, sondern vor allem der Kopf.

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