Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Da hat sich mein Rebellentum gefestigt“

Februar 2022

Reinhold Bilgeri hat sich als Musiker und Sänger, als Schriftsteller, Drehbuchautor und Filme­macher einen Namen gemacht – ein Interview mit dem überaus vielseitigen Künstler.

Du hast die Lockdowns und Covid-Krise genutzt und Ende letzten Jahres Deinen zweiten Roman „Die Liebe im leisen Land“ vorgelegt. Wie erging, ergeht es Dir in der Pandemie?
Eigentlich hat sich der damalige Lockdown auf mein Seelen- und Arbeitsleben positiv ausgewirkt. Es fällt mir nicht schwer, von einer lauten Phase – einem Filmdreh oder einer Rock-Tour – in eine mönchische zu kippen. Die Zeit war gerade recht für eine kontemplative Auszeit und für’s Schreiben. Zunächst hab‘ ich an meinem umfangreicheren Roman-Projekt „Das Gewissen der Tauben“ – über die vom Vatikan organisierten Fluchtwege der Nazibonzen nach dem Zweiten Weltkrieg – gearbeitet, gelesen und recherchiert. Gleichzeitig haben wir täglich mit unserer Tochter Laura, die in New York lebt und arbeitet, telefoniert und via Facetime gesehen, was dort los war – Lockdown extrem, überfüllte Intensivstationen, sogar am Time Square gähnende Leere, das war die eigentliche Inspiration, in dieser New Yorker Stille eine Geschichte zu platzieren. 

Covid hat nicht nur Sprengkraft für Beziehungen, sondern für die gesamte Gesellschaft, beunruhigt Dich die gegenwärtige Lage? 
Die Sprengkraft ist so bedrohlich wie schon lange nicht mehr. Das ist tatsächlich beunruhigend, denn die Verwerfungen werden auch medial und vor allem über die sozialen Medien aufgeschaukelt, die politische Gemengelage bei den Demonstrationen ist zum Teil beängstigend und bis zu einem gewissen Grad auch demokratiegefährdend. Ich kann nachvollziehen, dass man bei Impfungen oder Behandlungsmethoden eine gewisse Skepsis an den Tag legt, aber ich kann nicht verstehen, dass man die Wissenschaft einfach über Bord wirft, obwohl sie seit 20 Jahren an den SARS Viren forscht und endlich eine wirksame Lösung gefunden hat und wie man sich stattdessen von Neonazis und selbsternannten Gurus instrumentieren lassen kann. Ein völlig unberechenbares Virus kann man nicht mit Hausverstand bekämpfen, sondern allein mit virologischer Expertise. Viele der gängigen Verschwörungstheorien sind ja uralt, und finden immer noch ihr Publikum, vieles davon schwappt von den USA zu uns herüber und das meiste mündet am Ende in einem abstrusen Antisemitismus und einer Weltverschwörung der Eliten. Wie gefährlich diese Wissenschaftsfeindlichkeit für die Demokratie sein kann, hat der Sturm aufs Kapitol bewiesen.

Von Deinem 2008 erschienenen Erstlingsroman „Der Atem des Himmels“ verkauften sich bisher rund 70.000 Stück. Auch die Verfilmung im Jahr 2010 war sehr erfolgreich. Gleichwohl gab es Kritik. Wird der Roman eines Popstars nicht ernst genommen? Wie gehst Du mit Kritik um?
Kritik spornt mich eigentlich an. Wenn sie fachlich seriös ist, geh ich in mich und nehme das ernst, wenn sie vor allem boshaft ist, sublimiert sich mein Ärger schnell zu Arbeitswut – dir werd‘ ich’s zeigen … Die ersten Wochen nach Erscheinen des Romans waren aber ganz schön hart, denn die einschlägigen Kritiker wollten das Buch nicht mal berühren, geschweige denn lesen, weil’s eben ein „Popstar“ geschrieben hatte, da rümpft das Feuilleton erstmal die Nase. Das hat sich dann aber schnell geändert. 

Wendelin Schmidt-Dengler (2008 verstorbener Germanist, Anm.) hat den Roman sehr gelobt.
Nach der positiven Replik des damaligen Kritikerpapstes Schmidt-Dengler hat der Wind plötzlich gedreht. Bei den Lesern hatte das Buch ja sofort gezündet, die sind auch ohne Kritiker mündig, aber schließlich haben sich auch die Kritiker des Romans angenommen und am Ende war „Der Atem des Himmels“ ein Bestseller. Bei der Filmerei hatte ich dann wieder denselben Hürdenlauf vor mir, aber meine Hartnäckigkeit hat gefruchtet, man respektiert heute, dass ich mit meinen drei Genres umgehen kann. 

Ursprünglich wolltest Du ein Buchprojekt über die „Rattenlinien“ (die Fluchtrouten ehemaliger Nazi-Bonzen nach Südamerika) schreiben …
Das Phänomen mit den „Rattenlinien“ fasziniert mich schon ein Leben lang. Meine Mutter, unter anderem eine Religionslehrerin, war sehr religiös, und Dolfuß-Fan, sie sagte: ‚Wenn einer so gläubig ist, kann er doch kein schlechter Mensch sein.‘ Jahrzehnte lang hatte ich vergeblich versucht, sie zu überzeugen, dass Dolfuß ein Faschist war, ein Antidemokrat, der das Parlament aufgelöst hatte, der anders Denkende erschießen ließ. Da war sie nicht zugänglich. Zugegeben, in meiner Kindheit war ich ein bissl rabiat und sie hatte es nicht leicht mit mir, hat mich, um sich und mich zu retten, in ein Internat in Feldkirch gesteckt, mit Prügelstrafe und allem drum und dran … von der vielgepriesenen Barmherzigkeit und Liebe habe ich dort nicht viel gespürt, da hat sich mein Rebellentum erst recht gefestigt, hat sich gut vertragen mit dem Rock’n Roll, der nächtens aus meinem verbotenen Batterieradio in meine Ohren drang. Wegen subversiver Unterwanderung der Autoritäten wurde ich dann nach vier Jahren rausgeschmissen und hab gleich mit Michael Köhlmeier eine Rockband gegründet. Als dann 1973 Wise Köhlmeier, Michaels Papa, uns zwei auf eine vierwöchige Polenreise mitnahm und uns dabei auch das KZ Auschwitz zeigte, habe ich erst mitbekommen, wie sich die katholische Kirche während der Nazi-Gräuel verhalten hat. Tapfere Priester, die zu ihrem Glauben gestanden sind, wie beispielsweise Carl Lampert, waren in der Minderzahl. Noch bis Mitte der 1970er-Jahre war der mächtigste Beamte in Vorarlberg, Elmar Grabher, ein strammer Nazi. Scheinheiligkeit und Verdrängung überall. Zu dieser Zeit etwa habe ich begonnen, mich durch die Dokumentationen über die vom Vatikan organisierten und finanzierten Fluchtwege der Nazibonzen zu lesen. Atemberaubend. Mitten im Machtzentrum der katholischen Kirche wurden ausgewiesene Massenmörder, von Eichmann bis Mengele, versteckt und für die Flucht nach Argentinien vorbereitet. Für einen Internatsschüler, der einst mit der Kirche einen ethischen Hort und Rechtschaffenheit verbunden hatte, ein ziemlicher Hammer. Das Thema wird jedenfalls an mir zehren, bis ich endlich diesen verdammten Roman zu Ende bringe.

Die Freundschaft mit Michael Köhlmeier begann in der Kindheit, wie wichtig ist Dir seine Meinung, was hat Michael Köhlmeier gesagt, als Dein erstes Buch herauskam?
Der Sandkasten hinter seinem Haus hatte uns zusammengebracht, dort haben wir uns irgendwie vernetzt für’s Leben. Wäre er nicht mein Freund, wäre er mein Bruder. Klar ist mir seine Meinung wichtig, er ist einer der herausragendsten Vertreter der deutschsprachigen Gegenwarts-Literatur und er hat sein Urteil über mein erstes Buch am Klappentext der Taschenbuchausgabe verewigt: „Es ist ein Hammer von einem Buch geworden. Der Roman ist nicht nur gut, er ist ausgezeichnet.“ Das war für mich sowas wie ein Ritterschlag. Ich glaube, er hätte mich gebeten schweigen zu dürfen, hätte der Roman ihm nicht gefallen ... so gut kenn ich ihn.

Manche wollen im Sandkasten schon Bundeskanzler werden. Du wolltest ein Popstar, besser wohl Rockstar, ja berühmt werden. Wann hast Du Dich erstmals als Star empfunden und welche Gefühle gingen damit einher?
Das war bei einer Rennbahn Express Veranstaltung mit zehn Chartstürmern in der Wiener Stadthalle 1981, „Video Life“ war schon ein Hit und die nächste Single „In The Night“ gerade in die Top 3 eingestiegen, da haben 14.000 Teenies einen hochkehligen Kreischer hingelegt, dass ich erschrocken bin. In dem Moment hab ich kapiert, dass jetzt was passiert ist mit meinem Leben und dann als Draufgabe das Konzert auf der Donauinsel – du stehst an der Bühnenrampe, hältst dein Mikrofon raus in die Menge und 80.000 singen deinen Song mit, das geht runter wie Balsam, dein Kopf ist kurz in den Wolken … das Leben hat’s doch noch gut gemeint – ich war ja schon 31.

War es schwieriger, von Vorarlberg aus eine Karriere zu starten?
Also leicht war’s nicht. Vorarlberg assoziiert man nicht direkt mit Showbusiness, sondern eher mit nüchterner Disziplin und schaffa schaffa. Unser Vorteil war allerdings die Nähe zur Schweiz, dort haben schon in den Sechzigern geile britische Bands gastiert und wir sind im Kielwasser mitgekrault, haben nächtelang in den Clubs von Zürich und Basel gespielt, die beste Grundschule.

Hattest Du jemals Angst, Zweifel, Existenzsorgen? Du gabst ja die Sicherheit eines Gymnasialprofessors auf. Später hast Du für Deinen Film sogar Dein Privathaus verpfändet. Gehören zu Deinem Erfolg, zum Erfolg überhaupt, Selbstbewusstsein und Mut? Bist Du ein mutiger Mensch?
Die Zweifel konnte ich durch Erfolge halbwegs neutralisieren, aber die Existenz­ängste sind nie ganz verschwunden. Ein Künstlerleben heißt Risiko, du weißt nie was passiert, bist bei jedem Projekt erfolgsabhängig, hast also ständig Druck, aber das ist auch ein Lebensmotor, der mich wachhält. Klar haben sich meine Eltern die Haare gerauft – wie kann der Bua nur einen pragmatisierten Job hinschmeißen und ins kalte Wasser springen – die Ägide ihrer Erziehung war „Sicherheit“. Sie hatten zwei Weltkriege und viele Unwägbarkeiten erlebt, da ist dieser Ansatz nachvollziehbar, aber ich habe es trotzdem gewagt, das Abenteuer war mir wichtiger als Sicherheit, auch heute noch. Proportional zum Selbstbewusstsein ist dann der Mut gewachsen, und um die Frage zu beantworten, ja ich bin ein mutiger Mensch, zu mutig manchmal, fast existenzgefährdend, das hat mich zwar viele Hürden nehmen lassen … aber langsam muss ich mich zusammenreißen (lacht).

Du hast so viele Berufe, Berufungen. Wenn Du nur einen wählen könntest, welcher wäre Dir da am wichtigsten?
Der Filmemacher – da ist alles, was mir Spaß macht, unter einem Dach versammelt. Das Schreiben, die Musik, das Inszenieren der Bilder. Ich vergesse nie mehr den Moment, als ich im großen dunklen Arri Filmstudio in München die letzten Handgriffe an „Der Atem des Himmels“ legen durfte. Vom Roman über’s Drehbuch zur großen Leinwand und dann beginnt das Baby wirklich zu laufen, das war, im Gegensatz zu einem geilen Rockkonzert, eine leise innige Euphorie, wie ein Schluck Cognac, der sich warm im Magen breit macht.

Du hattest viel Erfolg. Gab es auch Misserfolge, die Dich heute noch treffen? 
Ich habe in allen drei Genres schmerzende Niederlagen einstecken müssen. Bevor ich den ersten Solo-Plattenvertrag bekam, wurde ich bei zehn andern Firmen abgelehnt, derselbe Canossagang bei der Filmförderung, und beim Einstieg in die Literaturszene. Scheitern war immer eine Option, aber diese Niederlagen, die in Stille passierten, waren letztlich Booster, haben mich wütend und stark gemacht. Heute fühle ich mich in einer Balance, die hoffentlich anhält bis ans Ende.

Am 26. März feierst Du Deinen 72. Geburtstag. Was hat das Alter für Dich verändert? Was hast Du noch vor? 
Das Alter hat mich tatsächlich gelassener gemacht, ich kann mich mit dem Tod unterhalten, ohne panisch zu werden, und ich rackere mich weiter an meinen Träumen ab, das und meine Frauen, macht mich glücklich und hält mich am Leben. Apropos Denkmal, eines würde ich noch gerne auf die große Leinwand bringen: Magellan – nach einer Biografie von Stefan Zweig. Das Drehbuch hab‘ ich schon geschrieben. Der war einer, der das Unmögliche möglich gemacht hat, against all odds. Das ist mein Ding. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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