Thomas Feurstein

* 1964 in Bregenz, Studium der Germanistik und Geografie, Biblio­thekar und Leiter der Abteilung Vorarlbergensien an der Vorarlberger Landes­bibliothek seit 1998.

 

Gefahr aus dem Galgentobel

Juni 2018

Die Bludenzer „Wildbach“, mit vollem Namen „Wildbach- und Lawinenverbauung, Sektion Vorarlberg, Gebietsbauleitung Bludenz“, verfügt über ein reichhaltiges Archiv, das weit über 100 Jahre zurückreicht. Es ist eine den Bezirk Bludenz betreffende Chronologie der Natur­katastrophen und der gesetzten Maß­nahmen, um diese zu verhindern. In Kooperation mit der Landesbibliothek werden die Fotos nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die Bedrohung durch Hochwasser und Lawinen und die daraus resultierenden Schutzbauten sind prägend für den gebirgigen Teil Vorarlbergs. Sowohl die Bauten selbst als auch die Fotos, die deren Entstehung zeigen, gehören unbestritten zum Kulturerbe Vor­arlbergs. Dieses langfristig zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist auf unterschiedlichen Ebenen die Aufgabe von Bibliotheken, Archiven und Museen. Einen Impuls für verstärkte Aktivitäten in diesem Bereich gibt das heurige Jahr, das zum europäischen Jahr des Kulturerbes erklärt wurde. Die Kommission der Europäischen Union möchte damit mehr Menschen für das europäische Kulturerbe begeistern und ihnen das Gefühl der Zugehörigkeit zum europäischen Kulturraum vermitteln. Das kulturelle Erbe kann vielerlei Gestalt annehmen: materiell (Gebäude, Denkmäler, Maschinen oder Bücher), immateriell (Bräuche, Sprachen, traditionelles Handwerk), natürlich (Landschaften, Flora, Fauna) und digital (Werke, die in digitaler Form erstellt sind oder zur Aufbewahrung digitalisiert wurden).

Die Wildbach- und Lawinenverbauung hinterlässt Spuren in mehreren dieser Kategorien: Schutzbauten, die aufgrund ihrer Größe eine gravierende Landschaftsveränderung nach sich ziehen sowie das dazugehörige Archiv mit unzähligen Akten, Plänen und Fotografien, die die Aktivitäten der Bundesbehörde dokumentieren. Allerdings war dieses Archiv lange Jahre auf den internen Gebrauch beschränkt und der interessierten Bevölkerung bis vor Kurzem kaum zugänglich. Ein engagierter Mitarbeiter, der sich der kulturellen Bedeutung des Archivs bewusst ist und der mittlerweile über 40.000 Fotos digitalisierte, macht die Bereitstellung über das Portal „volare“ nun möglich. Ein erstmaliger Versuch, hier auch Fotos zu veröffentlichen, die zwar historisch bedeutsam sind, sich aber nicht im Besitz der Landesbibliothek befinden.

Ein Beispiel für die ausführliche Dokumentation ist die Gefährdung der Stadt Bludenz und der Gemeinde Nüziders aus dem Galgentobel, das sich an der Gemeindegrenze Richtung Nord­osten erstreckt. Das unwegsame steile Tobel, lange nur für die Trinkwasserversorgung von Bludenz genutzt, wurde vor 100 Jahren von einem Unwetter heimgesucht, das ungeahnte Folgen hatte. Forstrat Ing. Willomitzer (1887 bis 1978) schilderte 1936 im Rückblick die dramatischen Ereignisse vom Dezember 1918: „Nach vorangegangenem langen (sic!) Frost löste – es war am 18. Dezember 1918 – ein Föhnwetter ungeheure Niederschläge aus. Alle Sträucher, alle Laubhölzer kahl. Braucht es viel Phantasie, um sich auszumalen, wie die Niederschläge ungehemmt fast mit 100 Prozent zu Tal schossen? Man denke sich den tropfenschweren, flachgewurzelten Fichtenwald gebeutelt von Sturmböen; das Wasser versucht wohl in den Boden einzudringen, seinen normalen Sickerweg zu suchen: alle Tore zu; eine festgefrorene, eisige Bodenschicht.“

Und weiter schreibt Willomitzer in seinem Artikel „Forstliche und forsttechnische Arbeiten der Wildbachverbauung im Galgentobel“: „Dies Folgen dieses Hochwassers waren verheerend; die Wasserleitung in einem trostlosen Zustand, im Tal und im Oberlauf Tausende von Boden- und Uferwunden, die sich beim nächsten Hochwasser ins Riesige vergrößern mußten (sic!) ... Mit einem Schlag war das ruhige Tal der Gegenstand allgemeiner Besorgnis. Niemand zweifelte an der Gefahr, die Bludenz und Nüziders, der Bahn und der Straße durch den Wildbach für die Zukunft drohte.“

Aufgrund der akuten Gefahr stellten Staat, Land, Stadt und Bahn über viele Jahre hinweg erhebliche Summen zur Verfügung, um der Wildbachverbauung nachhaltig wirkende Baumaßnahmen zu ermöglichen. Bis 1936 wurden 76 Sperren unter Verwendung von 81 Waggons Zement errichtet, die bis heute im Gerinne wasserfallartige Stufen bilden und damit das Gefälle und die „Schleppkraft“ des Wassers verringern. Neben diesen technischen Bauten wurden auch großflächig forstliche Maßnahmen ergriffen. So wurden bis 1934 schon 218.000 Erlen und 2000 Schwarzkiefern gepflanzt.

Dass man sich der Gefahren aus dem Galgentobel weiterhin bewusst ist, zeigen die Sanierungsmaßnahmen der letzten Jahre sowie die konfliktträchtige Räumung von zahlreichen Schrebergärten, die über viele Jahre hinweg innerhalb der roten Zone des Galgentobels angesiedelt wurden.

https://pid.volare.vorarlberg.at

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