Sabine Benzer

Theater am Saumarkt/Vorarlberger Kulturservice

Vorarlberg hat ein Meisterwerk

Mai 2021

500 Jahre St. Annenaltar von Wolf Huber.

Feldkirch erhält ein Meisterwerk. Eine Kunst-Sensation bahnt sich in Feldkirch an: Der Wolf Huber-Altar ist komplett. Fachleute setzen die Könnerschaft von Wolf Huber mit jener eines Albrecht Dürer gleich“, ist am 24. Februar 2006 in den Vorarlberger Nachrichten zu lesen. Dieser „komplette“ Altar von Wolf Huber feiert im heurigen Jahr seinen 500. Geburtstag und gehört – für alle öffentlich zugänglich im Feldkircher Dom – sicherlich zu einem der wertvollsten Kunstschätze Vorarlbergs.
1515 haben fünf Mitglieder der Annenbruderschaft der Stadtpfarrkirche St. Nikolaus in Feldkirch bei dem um 1480 in Feldkirch geborenen und in Passau lebenden Künstler Wolf Huber einen Altar in Auftrag gegeben: „Verdingd-Werckh der Taflen auff Sanct anna Altar Jhn Sanct Niclaus Kürch all hie zu Veldtkürch.“ Eine Abschrift des Vertrages ist noch im Stadtarchiv in Feldkirch erhalten. In diesem Vertrag ist auch das umfangreiche Bildprogramm festgelegt, das unter anderem neben der namensgebenden Geschichte von Anna und Joachim auch Darstellungen aus der Kindheit Jesu sowie als Mittelbild eine kompositorisch fulminante, in einer eindrucksvoll gezeichneten Landschaftsdarstellung eingebettete Beweinung, enthält.
Wolf Huber gilt neben Albrecht Altdorfer als der bedeutendste Vertreter der sogenannten „Donauschule“, einer Kunstrichtung, die in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts im bayrisch-österreichischen Raum verortet wird. Sie steht für die Emanzipation der Landschaftsdarstellung, die in der Malerei, besonders aber in der Graphik einen ganz neuen Stellenwert bekommt. 
Der Feldkircher Annenaltar gilt als Hubers malerisches Hauptwerk. „Im schmalen tafelmalerischen Werk Wolf Hubers bilden die Flügelbilder des Feldkircher Annenretabels einen besonderen Höhepunkt“, bestätigt Jochen Sander, Professor am Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Frankfurt und führt im Katalog „Fantastische Welten“ des Kunsthistorischen Museums von 2015 weiter aus: „So strahlen sie, ihres vergleichsweise entlegenen Bestimmungsorts Feldkirch ungeachtet, ihrerseits wohl bis an den Niederrhein vorbildhaft aus.“ Sander attestiert Huber für dieses Werk gar „größte Erfindungskraft und Originalität“.
Die Altarflügel gehen während einer Renovierung des Stadtpfarrkirche 1827 verloren. Was anschließend passiert, lässt sich nicht mehr wirklich rekonstruieren. In den 1950er Jahren muss die zwischenzeitliche Besitzerin, das Kloster Riedenburg, jedenfalls aus Geldnot die wieder­entdeckten wertvollen Bildtafeln an den nicht unumstrittenen Schweizer Waffen- und Maschinenfabrikanten Emil Bührle verkaufen. 2006 gelingt es dem ehemaligen Dompfarrer Rudolf Bischof, die Erbin Hortense Anda-Bührle für eine Wiedervereinigung der Flügel mit dem Altar zu gewinnen. 
Die überaus spannende und wechselvolle Geschichte des Altars – Abbau, Verlust der Tafeln, Verkauf usw. – mündet, wie eingangs erwähnt, in die Zusammenführung im Jahr 2006 im Feldkircher Dom und bildet heute ein wunderbares Zeugnis herausragender Kunst an der Epochenschwelle vom Mittelalter zur Neuzeit, die geprägt ist von Reformation, der Erfindung des Buchdrucks, der Einführung der Zentralperspektive ebenso wie von großen politischen Umbrüchen nach dem Tod von Kaiser Maximilian, dem „letzten Ritter“.
Entsprechend den Prioritäten der Faro-Konvention des Europarates von 2005 über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft, zu denen unter anderem die demokratische Teilhabe am kulturellen Erbe gehören, nimmt die Stadt Feldkirch nun das Jubiläum zum Anlass, dieses außergewöhnliche Kunstwerk mittels unterschiedlicher Vermittlungsprojekte verstärkt öffentlich zu positionieren und seine Wahrnehmung als außergewöhnliches kulturelles Erbe in der Region und darüber hinaus zu schärfen.
Eine von Stadtbibliothekar und Kurator Hans Gruber gestaltete Ausstellung legt den inhaltlichen Schwerpunkt auf die Darstellung der Geschichte des Altars und seines historischen Kontextes: „Die Ausstellung thematisiert die Geschichte des St. Annenaltars, das Leben und Werk Wolf Hubers, die Kunst und das Denken des Humanismus und der Renaissance. Das Projekt versteht sich dabei nicht als Kunst-, sondern als Wissensausstellung zu einem Thema der sakralen Kunst, zur Person Wolf Hubers und der ikonographischen Möglichkeiten der Frühen Neuzeit“, erklärt Gruber. Sie verspricht einen ganz besonderen Zugang zu Wolf Hubers Werk zu öffnen: „Die zeichnerische und malerische Entwicklung des Künstlers kann in vielen Reproduktionen verfolgt, das zentrale graphische Werk weitgehend in Originalen präsentiert werden.“
Ein umfangreiches Begleitprogramm, maßgeblich unterstützt vom Kirchenraumpädagogen Werner Gerold, stellt zeitgenössische Bezüge zum kunsthistorischen Schatz her und soll vielfältige und spannende Zugänge im Jubiläumsjahr schaffen: Schüler*innen des Gymnasiums Schillerstraße in Feldkirch erarbeiten digitale Vermittlungsformate, die Arge Schallwende und das Theater am Saumarkt loben einen Komponist*innen-Wettbewerb für zeitgenössisches Chorwerk aus, Literatur Vorarlberg und das Vorarlberger Landestheater setzen mit renommierten Vorarlberger Autor*innen – Barbara Herold, Tobias Fend, Katharina Klein und Kadisha Belfiore – und der Regisseurin Lisa-Maria Cerha ein Theaterprojekt um, und die Designerin und Künstlerin Andrea Gassner verwirklicht mit Unterstützung der Kunstbox-Feldkirch/Arno Egger eine Kunstintervention im städtischen Raum.
Der berühmte Kunsthistoriker und Vertreter der Wiener Schule Otto Pächt macht in einem sehr einflussreichen Text zur Bildauffassung der Spätgotik und Renaissance darauf aufmerksam, wie die nun eingesetzte Zentralperspektive das „betrachtende Subjekt draußen, in eindeutige(r) Beziehung“ zum Kunstwerk setzt. Wie schön wäre es, wenn möglichst viele Vorarlberger*innen das Jubiläum dazu nutzen, eine solche Beziehung in der Praxis, vor Ort im Dom oder auch in der Ausstellung, unmittelbar für sich herzustellen.

500 Jahre St. Annenaltar 1521/2021 – Wolf Huber und seine Zeit

Ausstellung und Begleitprogramm: www.feldkirch.at/wh500
Die Stadt Feldkirch verzichtet coronabedingt auf ein Eröffnungs­event, lädt aber herzlich dazu ein, die Ausstellung von Freitag, 21. Mai bis Sonntag, 23. Mai 2021 bei freiem Eintritt
zu besuchen.

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