Sabine Benzer

Theater am Saumarkt/Vorarlberger Kulturservice

Christa Benzer

Redaktionsmitglied der „springerin“ – Hefte für Gegenwartskunst und freie Mitarbeiterin der Tageszeitung „Der Standard“.

Was uns wichtig ist!

Dezember 2022

Künstlerische Perspektiven auf Kulturerbe

Das kulturelle Erbe ist gerade in aller Munde. Und das nicht nur, weil im November 1972, also vor fünfzig Jahren, die UNESCO-Weltkultur­erbekonvention verabschiedet wurde. Geschichte und damit auch die kulturelle Vergangenheit definieren uns, wirken hinein in die Gegenwart – ob Brauchtum und Handwerk, aber auch Architektur, Kunstwerke, Literatur und vieles mehr.
Eine kritische Sicht auf das Konzept „Kulturerbe“ ist allerdings angebracht, soll es als gemeinsames Erbe gelten und zukünftig inklusiver gestaltet sein: So kritisiert etwa der Schweizer Kulturvermittler und politische Aktivist Felipe Polania Rodriguez am Kulturerbe-Begriff ganz grundsätzlich, dass dieser die Definition von Identität und damit Zugehörigkeit umfasst – und damit für viele Menschen von vornherein ausschließend ist.
Das Prädikat Kulturerbe ist ein europäisches Konzept, sagt auch der Kulturwissenschaftler Bernhard Tschofen. Er spricht zudem von einer postkolonialen Geste, einem Universalismus, der mit Machtprozessen verbunden ist.
Ein erster Paradigmenwechsel in Bezug auf den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft wurde 2005 in einem Rahmenübereinkommen des Europarats, der sogenannten FARO Konvention, vollzogen: Konzepte, in denen es um den Schutz und Erhalt des Kulturerbes geht, sollten in den Hintergrund treten und der Einfluss des Kulturerbes als Repräsentantin von Kulturen auf das Zusammenleben verschiedener Gruppen wurde in den Fokus gerückt.
Neue Ansätze widmen sich daher verstärkt der Integration des Kulturerbes in die Gesellschaft, mit dem Ziel, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948) verbriefte Recht „auf kulturelle Teilhabe und Nutzung kultureller Ressourcen für möglichst alle Mitglieder der Gesellschaft zu garantieren“.
Sharon Macdonald, Professorin für Anthropologie, die den Begriff „Unsettled Heritage“ prägte, brachte insofern eine weitere, sehr produktive Perspektive ins Spiel, als dass sie davon ausgeht, dass das Prädikat Kulturerbe längst nicht mehr für alle Zeiten vergeben wird, sondern – siehe Denkmaldebatte(n) – immer wieder heftig umstritten ist und ständig neu ausgehandelt und aktualisiert werden muss.
In den USA wird etwa im Rahmen der „Black Lives Matter“-Bewegung und der Diskussion über Denkmäler gerade intensiv über das „schwierige“ Erbe der Sklaverei diskutiert. In Österreich und Deutschland gilt es ebenfalls das nationalsozialistische wie das postkoloniale Erbe in diesem Zusammenhang intensiver zu bearbeiten. So rückte zum Beispiel das Denkmal des ehemaligen Wiener Bürgermeisters und Antisemiten Karl Lueger in den Mittelpunkt einer öffentlichen Debatte. 
In Auseinandersetzung mit dem noch „Ungedachten des Kulturerbes“, spricht Bénédict Savoy der bildenden Kunst besondere Bedeutung zu, und auch Aleida Assmann, die deutsche Doyenne rund um das Thema kulturelles Gedächtnis, bestätigt: „Natürlich sind es die Künstler und Künstlerinnen, die dieses Ungedachte ins Bewusstsein holen“. 
„Dass wir der Kunst eine so große Bedeutung beimessen, hat auch mit diesem geänderten Umgang mit diesem Erbe zu tun“, konstatiert Savoy: „Es wird nicht mehr als statisch angesehen, man versucht es zur Diskussion zu stellen. Im Laufe der Jahre sind viele verschiedene Projekte entstanden und jedes Mal bekommt man durch sie eine andere Perspektive auf das Vergangene. Es entstehen wieder neue Fragen, die das Erbe auch auf die aktuelle Situation beziehen. Was Künstler und Künstlerinnen tun können, durch ihre Ideen, Konzepte und Werke, ist es, neue spannende Sichtweisen zu entwickeln, die die Menschen inspirieren und ins Gespräch über dieses Thema bringen.“
In der Ausstellung „Was uns wichtig ist!“ im vorarlberg museum haben wir in diesem Sinne versucht, mithilfe von künstlerischen Arbeiten einen Raum für Diskussionen rund um die gegenwärtigen Konflikte um die kulturelle Definitionsmacht zu schaffen. Klemens Wihlidal widmet sich in seinem Beitrag für die Ausstellung etwa dem Thema Umgang mit dem schwierigen Erbe des Nationalsozialismus, und Belinda Kazeem-Kaminski zeigt in ihrer Videoarbeit, dass Österreich sich auch aus der Postkolonialismus-Debatte nicht heraushalten kann. 
Es sind dies allerdings nur zwei Beispiele für die Themen, welche die versammelten künstlerischen Arbeiten in Bezug auf das kulturelle Erbe bearbeiten und in unser Bewusstsein bringen. Schließlich gilt es neben der Auseinandersetzung mit diesem sogenannten „schwierigen Erbe“ auch das queere Erbe der britischen Autorin Anne Lister zu feiern oder das literarische Erbe von Kundeyt Surdum in seiner Bedeutung zu beleuchten, die der türkische Autor auch für Vorarlberg hat.

Ausstellung & Publikation
„Was uns wichtig ist!“, bis 16. April im vorarlberg museum
Publikation: Benzer Christa & Benzer Sabine (Hg.): „Was uns wichtig ist!“ Künstlerische Perspektiven auf Kulturerbe, Feldkirch/Wien 2022

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