Manfred Tschaikner

Er (geb. 1957 in Bludenz) ist Archivar und Historiker am Vorarlberger Landesarchiv in Bregenz.

„VORarlberg“ oder „VorARLberg“?

Mai 2015

Zur historisch richtigen Betonung des Landesnamens. Schon seit etlichen Generationen stellt sich in der Öffentlichkeit immer wieder die Frage, wie denn der Landesname richtig betont werde: Heißt es Vorarlberg oder Vorarlberg?

Hielte man sich an behördliche Vorgaben, wäre die Angelegenheit eigentlich seit nunmehr genau 60 Jahren geklärt. Unter dem Datum des 2. Mai 1955 erging nämlich ein Erlass des Landesschulrats für Vorarlberg, der die Betonung auf der zweiten Silbe als „die ursprüngliche Aussprache“ bezeichnete. Eine Verlagerung des Akzents sei „erst in neuerer Zeit, und zwar insbesondere durch bajuwarische Einflüsse von Innerösterreich, stärker aufgekommen“. Trotzdem erklärte der Landesschulrat nur in der Möglichkeitsform, dass die Betonung auf der zweiten Silbe „auch sprachlich die richtige sein“ dürfte, „da der Vorsilbe Vor eine entscheidende Bedeutung nicht zukommt“. Ohne auf diese Art weiter zu argumentieren, führte die Schulbehörde schließlich eine handfeste rechtliche Bestimmung ins Treffen: Im „Landesgesetz über die Vorarlberger Landeshymne“ aus dem Jahr 1949 sei auch die Aussprache des Landesnamens „eindeutig geklärt worden“, denn „in diesem Lied liegt die Betonung auf dem Vokal a.“ Die Schulen wurden deshalb „gebeten, im Unterricht und auch bei sonstigen Anlässen auf die richtige Aussprache zu achten“.

Diese Bestrebungen des Landesschulrats wurden kurz danach auch vom Amt der Vorarlberger Landesregierung unterstützt. Unter dem Datum des 18. Mai 1955 übermittelte es den Erlass der Schulbehörde an alle möglichen Landes- und sogar Bundesdienststellen, an alle Gemeinden, an alle Kammern und Krankenkassen sowie an das bischöfliche Generalvikariat, ja selbst an den Bregenzer Bahnhofs- und Postvorstand mit der Bitte, im jeweiligen Geschäftsbereich „in gleicher Weise vorzugehen“.

Siebenunddreißig Jahre später, 1992, setzte sich der Sprachwissenschafter Josef Zehrer mit diesem Thema in der Zeitschrift „Montfort“ auseinander. Er legte sich dabei geschichtlich ebenfalls nicht fest: Ein Wort wie „Vorarlberg“ sei zwar „seiner Herkunft nach“ auf der zweiten Silbe zu betonen, es bestünden aber auch „Sonderfälle mit starker Betonung des Vorwortes“, die in neuerer Zeit besonders von Ortsfernen bevorzugt werde. Zehrer beließ es deshalb bei einem moralischen Appell, den Landesnamen auf dem a zu betonen, und zwar als ein „Symbol für den Willen, gerade auf die mit der Heimat am engsten verbundenen und daher auch am meisten zuständigen (‚kompetenten‘) Menschen zu achten und ihr Wissen und Gefühl zu schätzen“. Den behördlichen Erlass von 1955 lehnte der Forscher ab. Er maß ihm auch wenig Bedeutung dafür bei, dass die Medien zunehmend die althergebrachte Aussprache des Landesnamens gebrauchten. Das sei hauptsächlich „dem heimatverbundenen Sinn der Beamten, Lehrer, Politiker und anderer Träger der öffentlichen Meinung“ zu verdanken.

Bei der Suche nach der historisch richtigen Betonung des Namens „Vorarlberg“ ist man jedoch keineswegs nur auf kompetente Alteingesessene und einen dekretierten Liedtext angewiesen. Für Vorwörter in Ortsnamen bestehen nämlich dieselben klaren sprachlichen Regeln wie für die Betonung von Präpositionen allgemein:

Soll ein örtlicher Gegensatz mit Bezug auf dasselbe Objekt ausgedrückt werden, betont man das Vorwort („der Baum vor dem Haus und der Baum hinter dem Haus“). Handelt es sich um keinen Gegensatz, sondern um Lokalisierungen bei verschiedenen Objekten, liegt die Betonung auf den Nomen („der Baum vor dem Haus und der Baum hinter der Kirche“).

Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass im 18. Jahrhundert nur westlich des Arlbergs einige ursprünglich lose verbundene österreichische Herrschaften auch mittels eines prägnanteren gemeinsamen Namens zu einem Land verbunden werden mussten. Östlich des Arlbergs bestand nichts Vergleichbares, da sich die Grafschaft Tirol bereits im ausgehenden Mittelalter zu einem relativ einheitlichen Territorium entwickelt hatte.

Der neue Name „Vorarlberg“ – der als Nachfolger der sperrigen Bezeichnung „Herrschaften vor dem Arlberg“ 1708 das erste Mal quellenmäßig bezeugt ist – bekundete also keinen örtlichen Gegensatz des Landes vor dem Arlberg zu einem ähnlichen Gebiet hinter dem Arlberg, sondern hielt nur fest, dass es sich vor eben diesem Berg(übergang) und nicht etwa vor dem Fernpass erstreckte. Das Vorwort im Landesnamen kann somit nicht betont worden sein. Ohne einen örtlichen Gegensatzcharakter bedeutet „Vor-Arlberg“ dasselbe wie „beim Arlberg“, weshalb es auch keinen Sinn macht, darüber zu spekulieren, ob die Bezeichnung aus westlicher oder östlicher Perspektive entstanden ist.

Historisch richtig wird der Landesname „Vorarlberg“ also mit der Betonung auf der zweiten Silbe ausgesprochen. Aber schon 1955 hielt ein Gutachten fest, dass diesem Umstand „das immer noch lebendige urgermanische Betonungsgesetz“ auf der jeweils ersten Silbe entgegenwirke. Es sei sogar gefährlich, gegen ein „lebendiges Sprachgesetz“ anzukämpfen. Wie das Beispiel des Talnamens „Montafon“, der selbst von Einheimischen immer häufiger auf der ersten Silbe betont wird, anschaulich zeigt, ist die sprachliche „Germanisierung“ tatsächlich weiterhin stark wirksam. Sie bildet jedoch kein Naturgesetz. Es bleibt vielmehr eine kulturelle Entscheidung, ob die geschichtliche Dimension des „Namensschatzes“ und damit zusammenhängende sprachliche Regeln berücksichtigt werden beziehungsweise berücksichtigt werden können oder nicht.

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