Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Wenn ich über Vorarlberg nachdenke“

November 2020

Im Jahr 1972 hatte Kulturvermittler Oscar Sandner (1927 – 2020) in „Vorarlberg. Eine Vierteljahreszeitschrift“ einen längeren Artikel über Land und Leute geschrieben, mit dem Titel „Wenn ich über Vorarlberg nachdenke“. Sandner war Autor, Kurator und über drei Jahrzehnte hinweg Kulturamtsleiter in Bregenz, er hatte den Jazz im Land etabliert, die Bregenzer Randspiele organisiert und insgesamt das kulturelle Leben in Vorarlberg über Jahrzehnte hinweg geprägt wie kaum ein anderer.
Im Folgenden einzelne bemerkenswerte Sätze aus diesem insgesamt bemerkenswerten Text.

Über den Vorarlberger gibt es viele Vorurteile, die meisten hegt er selbst in seiner Brust. Denn er hat ein falsches Selbstverständnis … Der Vorarlberger hat sich durch seine geringe Zahl noch nie irritieren lassen … Vorarlberg ist sehr klein, und der Vorarlberger ist sehr widersprüchlich, er ist, ob er es wahrhaben will oder nicht, auch nur ein Mensch … Man weiß, wie fortschrittlich die Vorarlberger sind, wenn es sich ums Geschäft der Industrie und dergleichen handelt … So sind die Vorarlberger eben, schnell, findig, aber weniger erfinderisch als sich gut zurechtfindend in dieser Welt, fortschrittlich in allen nützlichen Dingen … Innerhalb des Landes ist jeder auf seine Stadt oder auf sein Tal versessen, erst außerhalb wird er zum homo vorarlbergensis … Die Bregenzer sind die am meisten verösterreicherten Vorarlberger … Das Gebiet von Bregenz über Dornbirn nach Feldkirch wird einmal eine aufgelockerte Großstadt sein … Für den übrigen Österreicher, besonders den Wiener, ist Vorarlberg eigentlich Hinterarlberg. Grundsätzlich, aber nicht aus böser Absicht, sondern aus Gewohnheit, wird der Vorarlberger ignoriert, vor allem, wenn er es sich einfallen lässt, Künstler oder ähnliches zu sein … Das abenteuerliche Gefühl, dass man hier einerseits ohne­hin in der inneren Emigration lebt und andererseits mit einem Auge jenseits von Vorarlberg in einem der Ausländer, denn wo man hier geht und steht, ist ein Ausland nah, näher als anderswo in Österreich … Ich bin gleich in München und Zürich, na schön, ich bin gleich in Mailand und Paris, das tröstet … Der Vorarlberger ist kein solidarischer Mensch, er ist, wenn man den Volkscharakter ins Pathologische steigert, und wer ist schon gesund?!, hinterfotzig … Was macht mich ratlos? Ist es das, dass der Vorarlberger von heute zu wenig identisch ist mit seiner Geschichte und seinen vielen Geschichten von gestern? Behalten hat er sein kritisches Verhältnis zur Obrigkeit … Diese Widersprüche! Ich möchte alles behaupten über Vorarlberg und alles widerrufen über Vorarlberg. Diese Widersprüche …

Zitiert aus „Vorarlberg. Eine Vierteljahreszeitschrift“ 1972 – 001

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