Martin Rümmele

* 1970 in Hohenems, ist mehrfach ausgezeichneter Gesundheitsbereich- und Wirtschaftsjournalist und Verleger. Er lebt und arbeitet in Wien und Kärnten und ist Autor mehrere kritischer Gesundheitsbücher unter anderem „Zukunft Gesundheit“, „Medizin vom Fließband“ und „Wir denken Gesundheit neu“. 

Gesunde Menschen statt teurer Spitäler

Oktober 2014

Die Pflegekosten werden bis 2030 in Vorarlberg um 159 Prozent steigen. Das ist bundesweiter Rekord. Die älter werdende Bevölkerung braucht auch mehr medizinische Versorgung. Das kostet. Doch es gibt Möglichakeiten, vorzubeugen: Man könnte Vorarlberg zum Gesundheitsmusterland machen.

Die Zahl der über 75-Jährigen steigt in den nächsten Jahren österreichweit von 660.000 auf über eine Million. In 20 Jahren wird jeder neunte Einwohner über 75 Jahre alt sein. Die Folge: Altersbedingte Erkrankungen wie Demenz, Krebs oder chronische Leiden nehmen zu. Schon jetzt rechnen Gesundheitsexperten vor, dass gerade in den letzten Lebensjahren und -monaten die medizinischen Kosten explodieren. Die Zeit, als das letzte, was ein Sterbender sah, seine Familie und das Kruzifix im Schlafzimmer waren, sind vorbei. Heute sehen die meisten ein piepsendes Gerät, auf dem Siemens oder Philips steht. Parallel dazu werden die Pflegekosten in den kommenden Jahren massiv steigen. Diese demografische Entwicklung macht auch vor Vorarlberg nicht halt. Das Wirtschaftsforschungs­institut erwartet bis 2030 ein Plus von 159 Prozent für Vorarlberg. Zum Vergleich: Das Burgenland wird ein Plus von 112 Prozent haben.

In seiner ersten Regierungserklärung widmete Landeshauptmann Markus Wallner – davor selbst fast sechs Jahre Gesundheitslandesrat – dem Thema Gesundheit gerade einmal gezählte 354 Wörter. Was er dabei sagte: Die Versorgungsdichte im Gesundheitssystem sei besser als in den meisten anderen Regionen. Das Ziel sei es, auch in Zukunft wohnortnahe, qualifizierte und moderne Behandlungen und Therapien anzubieten. Die Spitalskapazitäten sollen verbessert, das Geriatriekonzept soll überarbeitet werden. Zentrale Frage also: Wie versorgt man immer mehr kranke und bedürftige Menschen möglichst gut?

Das ist zugegebenermaßen wichtig. Kaum ein Land leistet sich aber so viele Krankenhäuser wie Vorarlberg. Auf rund 75.000 Einwohner kommt eine Klinik. Legt man diesen Schlüssel etwa auf die Bundeshauptstadt um, müsste es dort 27 Krankenhäuser geben. Man stelle sich den Aufschrei der Bundesländer vor, die befürchten, das im Finanzausgleich mitfinanzieren zu müssen. Tatsächlich werden es in Wien in einigen Jahren noch sechs städtische Spitäler, die Uni-Klinik, sechs Ordensspitäler und ein Unfallkrankenhaus sein – also noch 14 Spitäler für beinahe zwei Millionen Menschen oder für 140.000 Menschen ein Spital. Würde Vorarlberg diesen Schlüssel umsetzen, blieben nur die Spitäler in Feldkirch und Bregenz übrig. Das will natürlich niemand, aber das Rechenbeispiel zeigt, wie viel Vorarlberg eigentlich für die laut Wallner „gute Versorgungsdichte“ ausgibt.

Sparen könnte man natürlich durch Vorsorge und den Versuch, die Gesundheit der Menschen zu erhalten. Dieses Thema war Wallner in seiner ersten Regierungserklärung satte 83 Wörter wert. Dabei wäre das Klima gut, Vorarlberg zum Gesundheitsmusterland mit Vorzeigeprojekten in ganz Europa zu machen. „Die Bereitschaft, selbst etwas für die Gesundheit zu tun, ist eine Besonderheit der Vorarlberger“, sagte Wallner bei seinem Amtsantritt 2011. Na bitte, jetzt hat er mit der neuen Regierung die große Chance, hier Akzente zu setzen.

Vorschläge, wie das gehen kann, liegen auf dem Tisch und gibt es international genügend, sagt etwa der Lustenauer Allgemeinmediziner Dr. Günter Diem. Er ist stellvertretender Obmann der Österreichischen Gesellschaft für Public Health und internationaler Berater im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu chronischen Erkrankungen. Er schlägt vor, nicht einfach die Gesundheitspolitik zu verändern, sondern die Politik als Gesamtes zu verändern und gesünder zu machen und die Frage ins Zentrum zu stellen, was Menschen krank macht. Dort müsse man ansetzen, wolle man eine gesündere Bevölkerung: Umweltbelastungen, Verkehr, Einkommensunterschiede (ärmere Menschen haben eine kürzere Lebenserwartung), die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes, Stress, ungesunde Ernährung, fehlende Bewegung, Rauchen … Hier sind alle Politikfelder gefragt: die Wirtschaftspolitik genauso wie die Verkehrspolitik, die Landwirtschaftspolitik und die Bildungspolitik. In Finnland gibt es einen Regierungskoordinator für Gesundheit, der allen Ressorts reinreden kann, wenn sie ungesunde Entscheidungen treffen.

So weit würde Diem gar nicht gehen. Aber in der Bildungspolitik hat das Land, beginnend bei den Kindergärten über die Pflichtschulen bis zur Lehrerausbildung, selbst die Möglichkeit, Gesundheitsakzente zu setzen. „Gesundheitskompetenz ist das Kardinalthema der Zukunft, und Bildungspolitik muss sich deshalb mit der Gesundheitspolitik verzahnen“, sagt Diem. Man sollte sich fragen, was man an Gesundheitskompetenz vermitteln wolle und was als Ergebnis am Ende herauskommen soll. Ein Landesrat für Gesundheit und Bildung? Warum nicht, meint Diem. Es wäre wohl ein Signal, das auch über die Landesgrenzen hinaus Beachtung finden würde.

Nur in Versorgungsstrukturen zu investieren, Spitäler zu modernisieren und neue Angebote im niedergelassenen Bereich zu machen, wird keine Gesundheit erzeugen. Es wird helfen, kranke Menschen zu therapieren. Aber Krankheit und damit nicht zuletzt auch menschliches Leid verhindern werden diese teuren Investitionen nicht.

Ein Umdenken ist angesichts der demografischen Entwicklung also in jedem Fall nötig – auch im eigenen Interesse der Politiker: Von der aktuellen Regierung sind 2030 alle Mitglieder älter als 80 Jahre – nur Wallner selbst wird noch darunter liegen. Die Wahrscheinlichkeit, im Alter von 80 Jahren zum Pflegefall zu werden, liegt laut internationalen Studien bei rund 15 Prozent. Das ist fast jeder Sechste. Bei aktuell sechs Regierungsmitgliedern (ohne Wallner) ist klar: Statistisch gesehen wird es mindestens einen treffen. Schon deshalb wäre es gut, wenn sich die Mitglieder der Landesregierung um Prävention und Gesunderhaltung kümmerten.

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