
Mythen und Fakten rund um Alter, Pensionen und Gesundheit
Wie sich die älter werdende Gesellschaft auf die Gesundheitsversorgung und Pensionen auswirkt. Und ist sie wirklich schuld an den Finanzierungsproblemen in diesen Bereichen? Eine Spurensuche.
Eine demografische Bombe ortet der Präsident des Fiskalrates und ehemalige Chef des Wirtschaftsforschungsinstitutes, Christoph Badelt, in Österreich. Sie drohe das Budget, die Pensionen und das Gesundheitswesen zu sprengen. Ohne Gegenmaßnahmen werde das gesamtstaatliche Defizit in den kommenden Jahren massiv steigen. Die Alterssicherungskommission wiederum sieht den Anstieg bei den Pensionen zwar aktuell als stark an, insgesamt steigen die Kosten für die Pensionsversicherung von 2024 bis 2029 von 6,69 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 6,87 Prozent an. 2035 wird es einen Anstieg auf 7,2 Prozent geben, gefolgt von einem Rückgang bis 2045 auf 6,7 Prozent und einem erneuten Höhepunkt im Jahr 2060 auf 7,2 Prozent. Ähnlich ist es bei den Gesundheitsausgaben: sie lagen laut Statistik Austria im Jahr 2023 bei 11,7 Prozent des BIP, 2010 waren es 10,9 Prozent. Sind die demografische Bombe und die „Explosion“ der Gesundheitskosten also nur Schwarzmalerei? Ja und Nein. Komplexe Themen, wie die demografische Entwicklung, erfordern eine differenzierte Betrachtung und diese liefert nicht immer einfache Antworten. Dennoch gibt es einige Mythen.
Gesundheitsausgaben „explodieren“
Stimmt nicht. Einen Anstieg zeigen nur die nominalen Zahlen. Betrachtet man die Zahlen inklusive Wirtschaftswachstum und Inflation zeigt sich eine Stagnation. 2023 stiegen die laufenden Gesundheitsausgaben in absoluten Zahlen um 4,9 Prozent auf 52,78 Milliarden Euro. Weil auch BIP und Inflation gestiegen sind, blieben die Gesundheitsausgaben mit 11,7 Prozent konstant. Es würde ja auch niemand auf die Idee kommen, ein Gehalt von 1970 mit dem von heute zu vergleichen, ohne die Inflation herauszurechnen.
Alte Menschen, hohe Gesundheitsausgaben
Stimmt nicht. Zahlreiche internationale Studien legen nahe, dass nicht das Alter selbst, sondern die Nähe zum Tod der eigentliche Treiber der Gesundheitsausgaben ist. Generell gilt, dass die höchsten Kosten in den letzten Lebensmonaten entstehen. Entscheidend dabei ist aber, in welchem Alter jemand verstirbt. Eine deutsche Studie zeigt, dass die Beziehung zwischen Gesundheitsausgaben und Alterung negativ ist, da ältere Patienten weniger intensive und kostenintensive Behandlungen erhalten und Ärzte jüngeren Patienten mit ihrer tendenziell höheren Lebenserwartung mehr Aufmerksamkeit schenken. Daher sind die Kosten eines Todes in relativ jüngerem Alter höher als in höherem Alter.
Demografie treibt Gesundheitskosten
Ja und nein. Die Antwort des Fiskalrats fällt eindeutig aus. Die Demografie als Kostentreiber ist kein Mythos, sie ist Fakt. Zum einen liege dies daran, dass das Durchschnittsalter in der Bevölkerung steigt, zum anderen an der Tatsache, dass die Anzahl, also die Masse der älter werdenden Personen stetig zunimmt. Allerdings zeigt eine EU-Studie aus dem Jahr 2024, dass es andere Faktoren gibt, die Gesundheitsausgaben stärker treiben als die Demografie. Hauptfaktor sind soziale Ungleichheiten und niedrige Einkommen. Menschen mit niedrigeren Einkommen haben eine geringere Lebenserwartung und sind öfters krank. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen der niedrigsten Einkommensgruppe (unter 60 Prozent des mittleren Netto-Äquivalenzeinkommens) und dem der höchsten (über 150 Prozent des mittleren Netto-Äquivalenzeinkommens) beträgt in Deutschland laut einer aktuellen Studie bei Frauen 4,4 Jahre und bei Männern sogar 8,6 Jahre. Das mittlere Netto-Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung lag im Untersuchungszeitraum 1992 bis 2016 bei 1495 Euro im Monat.
Gesundheitskosten belasten die Wirtschaft
Nein. Die Weltbank kommt etwa zum Schluss, dass Investitionen in die Gesundheit das Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze fördern. Sie schaffen direkte Arbeitsplätze, etwa für Ärzte und Pflegekräfte, und indirekt in den Bereichen Pharma, Biotechnologie, Medizintechnik, digitale Gesundheit und anderen Dienstleistungen. In Österreich hat das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO 2013 errechnet, dass der Beitrag des Gesundheitswesens zum BIP mehr als 6 Prozentpunkte ausmacht. Laut dem vom Ökonomen Bert Rürup gegründeten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut WifOR trug die Gesundheitswirtschaft in Deutschland bei gesamten Gesundheitsausgaben von 12,5 Prozent des BIP, 12,1 Prozent zum BIP bei. Der Sektor stellte gleichzeitig 16,5 Prozent aller unselbstständig Beschäftigten. Zudem sind sich Wirtschaftsforscher einig, dass Investitionen in Gesundheit auch die Produktivität fördern, da eine gesunde Bevölkerung weniger krankheitsbedingt ausfällt und somit die Arbeitskraft erhalten bleibt. Das McKinsey Global Institute hat errechnet, dass ein besserer Gesundheitszustand der Bevölkerung das BIP in Österreich 2040 um neun Prozent, weltweit um acht Prozent erhöhen könnte.
Mehr Geld ist mehr Gesundheit
Ja und nein. Im Fall von Zypern führte die Regierung zwischen 2012 und 2015 Kürzungen der Gesundheitsausgaben durch und schränkte die Krankenversicherung ein. Dadurch verschlechterten sich der Zugang zur Gesundheitsversorgung und der finanzielle Schutz. Ebenso erfuhr das griechische öffentliche Gesundheitswesen nach der Finanzkrise 2009 eine erhebliche Kürzung seiner Finanzierung, die von der EU verordnet wurde. Die Gesundheitsausgaben sanken um 25,2 Prozent. Weniger Gesundheitsausgaben belasten die Wirtschaft, weil Menschen früher und länger krank sind. Die Frage ist aber auch, in welche Bereiche Gesundheitsausgaben investiert und wie effizient sie eingesetzt werden. Gesundheitstechnologiebewertungen, Verbesserungen bei Beschaffung und Betriebseffizienz, die Erhöhung der Anzahl ambulanter Operationen und die Reduzierung geringwertiger Behandlungen und unnötiger Eingriffe können insgesamt die Ergebnisse verbessern.
Fortschritt senkt Gesundheitsausgaben
Stimmt nicht. Eine internationale Studie erklärt den Anstieg der Gesundheitsausgaben unter anderem mit der Einführung neuer Technologien. Sie sind ein Effekt, der sich auch laut Fiskalrat kontinuierlich fortschreibt: „Dabei geht es um die sogenannten Stückkosten nach Alter – also die Gesundheitskosten nach Alter pro Kopf.“ Auch sie gehen langfristig nach oben. „Der technisch-medizinische Fortschritt wurde hier berücksichtigt“, so der Fiskalrat. Die zum Teil beträchtlichen Ausgaben für innovative Behandlungen und Therapien, die wiederum mehrheitlich im Alter stattfinden, schlagen hier zu Buche. Anders formuliert: medizinische Fortschritt lässt uns älter werden und heilt oder lindert Krankheiten. Doch das hat eben auch seinen Preis.
Prävention senkt Kosten
Ja und nein. Jeder in Österreich in Präventionsmaßnahmen wie Impfungen, betriebliche Gesundheitsinitiativen sowie Anreize für gesündere Lebensgewohnheiten investierte Euro würde sich etwa 2,8-mal auszahlen, da Prävention in der Regel wesentlich kostengünstiger ist als die Behandlung von Erkrankungen und Folgeerkrankungen. Es gibt aber Unterschiede bei Bevölkerungsgruppen. 2024 hat das die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin erhoben, dass die Frage, wie gesund oder krank jemand ist, stark vom sozialen und sozioökonomischen Umfeld abhängt. Menschen mit sozialen Problemen leiden demnach häufiger unter psychischen Beeinträchtigungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Multimorbidität. Auch bei individuellen Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht und Hypertonie zeichnen sich soziale Unterschiede ab. Viele Präventionsmaßnahmen zielen aber vor allem auf einkommensstärkere und gebildetere Schichten ab. Weil diese generell einen besseren Gesundheitszustand haben, wirken zusätzliche Präventionsaktionen wenig.
Selbstbehalte wirken
Nein. Die Frage ist, was das Ziel von Selbstbehalten ist. Geht es um eine zusätzliche Finanzierung oder um die Lenkung des Verhaltens? Ist das Ziel, Einnahmen für das System zu erzielen, die nicht von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam getragen werden, sind Selbstbehalte eine Möglichkeit. Bei Medikamenten, die weniger als die Rezeptgebührengrenze von 7,55 Euro pro Packung kosten, beträgt der Selbstbehalt 100 Prozent. Sie müssen komplett von den Patienten bezahlt werden. Internationale Studien warnen, dass diese Selbstbehalte zur Verschärfung von gesundheitlichen Ungleichheiten führen. Denn Gesundheitsausgaben, die aus eigener Tasche zu zahlen sind, bringen eine wachsende Anzahl von Menschen in finanzielle Nöte, zeigte im Frühjahr 2024 eine Studie des Instituts für höhere Studien. Hohe Selbstbehalte fallen schwer ins Gewicht – vor allem bei ohnehin kranken Menschen. Insgesamt hat sich in Österreich der Anteil der Haushalte, die durch Gesundheitsausgaben verarmen, zwischen 2004 und 2019 auf 2,8 Prozent verdoppelt. Positive Lenkungseffekte durch Selbstbehalte sind international durch keine Studien belegt – wer krank ist, geht dennoch zum Arzt. Wer es sich nicht leisten kann, geht nicht oder später zum Arzt. Die Folge: Die Kosten steigen, weil eine Krankheit später behandelt wird.
Ausgaben für Pensionen steigen
Ja und nein. Hier gilt das gleiche, wie bei den Gesundheitsausgaben: absolut steigen die Ausgaben, anteilig am BIP weniger, weil hier auch die Inflation eingerechnet ist. Um ein Gesamtbild der Zuschüsse des Bundes zu bekommen, sind zudem die Ausgaben für die Beamtenpensionen hinzuzurechnen. Diese sind im Sinken begriffen, – von 3,21 Prozent im Jahr 2024 auf 3,04 Prozent des BIP im Jahr 2029. Unterm Strich – Pensionsversicherung plus Beamte – steigen die Kosten von 6,69 Prozent (2024) auf 6,87 Prozent des BIP im Jahr 2029 an. Als Folge der vor 20 Jahren von der ersten schwarz-blauen Regierung eingeleiteten Reformen laufen die Sonderrechte von Staatsdienern, die hierzulande Anspruch auf weitaus üppigere Pensionen hatten und haben als Normalversicherte, allmählich aus.
Weniger Junge müssen mehr Pensionisten erhalten
Nein. Nicht das Verhältnis zwischen Pensionisten und Nicht-Pensionisten ist entscheidend. Grundsätzlich gilt: Erwerbstätige erhalten Nicht-Erwerbstätige. Von der Wertschöpfung der arbeitenden Menschen mittleren Alters leben sowohl Kinder, Alte, aber auch Arbeitslose und nicht erwerbstätige Erwachsene. Relevant sind für das Pensionssystem nicht nur die Altersverteilung, sondern auch andere Komponenten: niedrige Arbeitslosigkeit, geringere Teilzeitquoten, höhere Produktivität. Ein Vergleich, wie stark Produktivität wirkt, zeigt die Landwirtschaft: In Deutschland produzierte um 1900 eine Person in der Landwirtschaft Nahrungsmittel für vier Personen, 2016 versorgte eine Person rund 145 Menschen.
Pflege kostet immer mehr
Ja und nein. In fast zwei Drittel aller Fälle tragen die Sorgeverantwortung Menschen aus dem sozialen Umfeld, in fast 75 Prozent sind es ausschließlich Familienmitgliedern – 73 Prozent davon sind Frauen. Auf der Basis des Demenzberichtes 2025 ist davon auszugehen, dass rund 40.000 erwachsene Menschen in Vorarlberg informell in Pflege und Betreuung einer Person mit Pflegebedarf involviert sind. Generell steht Vorarlberg in der Bevölkerungsentwicklung etwas besser da als der Bundesschnitt. Auf Vorarlberg entfallen insgesamt 4,48 Prozent der österreichischen Einwohner, aber nur 4,15 Prozent der Über-65jährigen. Das wirkt sich auch beim Pflegegeld aus: 3,98 Prozent der Pflegegeldbezieher waren in Vorarlberg. Zum Vergleich: die Steiermark hat 13,82 Prozent der Einwohner, aber 17,10 Prozent der Pflegegeldbezieher.
Personal fehlt
Stimmt. Insgesamt arbeiten in den Vorarlberger Landesspitälern 2335 Pflegekräfte. Derzeit sind circa 3 Prozent der Pflegestellen unbesetzt. Die Personalsituation reduziert die Bettenkapazität der Spitäler um etwa 6 Prozent. Das heißt, im Mai konnten rund 90 der gesamt rund 1512 Betten in den Landesspitälern aufgrund von Personalknappheit nicht bespielt werden. In Vorarlberg gibt es 48 Einrichtungen der stationären Langzeitpflege mit insgesamt 2375 Betten. Mit Stand Ende März konnten 82 Betten aufgrund von Personalmangel nicht belegt werden. Die aktualisierte Pflegepersonal-Prognose der Gesundheit Österreich GmbH zeigt bis 2050 einen jährlichen Mehrbedarf von österreichweit rund 7000 Pflegekräften. Gleichzeitig herrscht ein akuter Personalmangel in diesem Bereich. Die Anzahl der jährlichen Absolventen in den Pflegeberufen lag in den vergangenen Jahren im Durchschnitt etwa bei 4500 Personen pro Jahr.
Demenzzahlen steigen
Ja und nein. Es gibt deutliche regionale Unterschiede. 2020 lebten in Vorarlberg 5600 Personen mit Demenz, bis zum Jahr 2050 wird die Zahl auf circa 10.000 Personen ansteigen. Der Demenzbericht 2025 schätzt die Zahlen auf der Basis von Krankenhausaufenthalten und Medikamentenverschreibungen (Antidementiva) etwas geringer. Hier war der Anteil im Burgenland am höchsten: Rund 3,4 Prozent der Einwohner im Alter von 60 Jahren und älter hatten großteils eine Antidementiva-Verschreibung oder waren mit der Hauptdiagnose Demenz im Krankenhaus. Der geringste Anteil konnte mit einem Prozent in Vorarlberg identifiziert werden.
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