Sabine Barbisch

Selfie: Akt der Selbstdarstellung oder Spaß am Nonsens

Oktober 2014

Es gibt sie von internationalen Stars ebenso wie vom Nachbarn nebenan, sie werden im Europäischen Parlament genauso geschossen wie im Café um die Ecke, Sportler tun es wie Geistliche, und wir alle – seien wir ehrlich – haben es zumindest schon mal ausprobiert. Selfies haben längst Einzug in unser Leben gehalten.

Die Zahl der Smartphone-Nutzer steigt rasant. Die ursprünglichen Kernfunktionen unserer Mobiltelefone werden genauso schnell von neuen Anwendungsbereichen abgelöst. So folgte auch die Antwort der Handy-Hersteller auf den globalen Selfie-Trend prompt: Neue Modelle sind zusätzlich mit einer Kamera auf der Vorderseite ausgestattet, die das Knipsen von Selfies deutlich erleichtert. So verwundert es nicht, dass die Selbstporträts aus allen Lebenslagen das Internet geradezu fluten. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der Begriff Selfie im deutschsprachigen Raum zum ersten Mal 2011 auftauchte, aber erst seit 2013 so richtig Fahrt aufnahm. Spätestens die Wahl zum Wort des Jahres 2013 durch das Oxford Dictionary hat den Begriff Selfie zu einem Teil unseres Allgemeinwissens gemacht. Für Blogger und Autor Jakob Steinschaden ist das Aufnehmen und Posten der selbst geknipsten Bilder zum einen ein Akt der Selbstdarstellung: „Selfies sind interessant, weil sie der breiten Masse erstmals in der Geschichte der Menschheit die Möglichkeit geben, sich anderen so zu zeigen, wie man sich selbst sieht – das war zu analogen Zeiten nur Fotografen, Malern oder Bildhauern möglich.“

Der weltweite Siegeszug hat für Steinschaden – neben dem dank neuer Technologien quasi kostenlosen Porträt – aber noch einen weiteren wichtigen Grund: „In unserer marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaft gibt es einen Hang zum Narzissmus und einen starken Erfolgsdruck: Selfies dienen in diesem Fall oft zur Selbstvermarktung nach dem Motto ‚Seht her, wie erfolgreich ich bin!‘“ Beate Großegger vom Institut für Jugendkulturforschung ergänzt, dass es wie im Marketing oder in der politischen Kommunikation nicht darum gehe, Bilder zu zeigen, die die Realität illustrieren, sondern vielmehr um die Möglichkeit, eine Selbstbeschreibung zu wählen, mit der man punkten könne. Laut einer aktuellen Studie ihres Instituts machen 57 Prozent der 14- bis 29-Jährigen mit der Handykamera Fotos von sich und laden diese auf Web-2.0-Plattformen ins Netz. Als reinen Akt der Selbstdarstellung will aber auch Großegger Selfies nicht sehen, sie nennt auch den „Spaß am Nonsense“ und die praktische Seite von Selfies als Gründe für den globalen Boom: „Wer jung ist, ein Smartphone besitzt und gerade ganz cool Urlaub macht, macht heute Selfies und erspart sich damit, Urlaubspostkarten zu verschicken.“

Digitale Avantgarde vs. „Quantified Self“-Bewegung

Der Selfie-Hype steht für Großegger im Zeichen einer Online-Nutzung, in der Themen wie Privatsphäre keine große Rolle spielen. Sie ortete aber eine Trendwende: „In der Jugendkultur formiert sich eine digitale Avantgarde, die sich selbst nicht mehr an der Zahl der Facebook-Freunde und der durch strategische Selbstpräsentation erzielten Likes misst, sondern andere Prioritäten setzt.“ Das Ganze gehe in Richtung weniger Kontakte und weniger Schnickschnack, dafür aber mehr Beziehungsqualität. Werde die Privatheit wichtiger, werde auch der Wunsch größer, „nicht ständig dem Zwang zu Selbstdarstellung und, damit verbunden, permanenter Beobachtung durch andere zu unterliegen“, so die Wissenschaftlerin. Internet­experte Steinschaden prognostiziert hingegen einen anderen Trend: „Ich denke, dass Selfies Teil der sogenannten ‚Quantified Self‘-Bewegung sind. Dabei geht es darum, mit neuen Technologien die eigene Person zu vermessen.“ Mit sogenannten Wearables, also am Körper tragbaren Computern wie etwa die Google-Brille „Glass“ oder Smartwatches, werden sich laut Steinschaden viele Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und Selbstvermessung eröffnen, aber die psychologischen Mechanismen im Hintergrund würden dieselben bleiben: „Menschen wollen sich selbst darstellen – aus narzisstischen, aber auch aus kapitalistischen Gründen.“

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