Hans-Peter Metzler

Alt-Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg

(Foto: ©Markus Gmeiner)

Am Tor zu einer neuen Dekade

Februar 2020

Einer Legende zufolge wollte ein indischer König einst jenen Mann belohnen, der das Schachbrett erfunden hatte. Dieser Mann, soll der König gesagt haben, dürfe sich etwas wünschen. Er wolle auf einem Schachbrett mit seinen 64 Feldern nur mit Weizenkörnern belohnt werden, soll der Erfinder geantwortet haben – auf dem ersten Feld ein Korn, auf dem zweiten zwei Körner, auf dem dritten vier und für jedes Feld stets doppelt so viele Körner wie das vorhergehende. Der König soll angesichts des scheinbar bescheidenen Wunsches gerne zugestimmt haben. Doch das ist die Sache mit der exponentiellen Entwicklung. Der Wunsch des Erfinders musste unerfüllt bleiben: Der König hätte dem Mann 18,45 Trillionen Weizenkörner schenken müssen. Und das Zeitalter der Digitalisierung ist das Zeitalter exponentieller Entwicklungen. 

Die Welt wird sich ändern, in allen Bereichen und in unvorstellbarem Ausmaß. Es ist nicht die Frage, ob es zu Verwerfungen kommen wird, es ist nur die Frage, wann es zu Verwerfungen kommen wird, zu groß sind die Herausforderungen, die sich da abzeichnen. Die Zukunft wird zur Gegenwart, gestern Undenkbares ist heute Realität und morgen bereits veraltet. Und der Mensch, der es gewohnt ist, linear zu denken, irrt, wenn er meint, er könne aus Vergangenem Rückschlüsse auf das Kommende ziehen. Wer meint, er könne allein mit seiner Ratio Annahmen treffen, was die Zukunft so bringe, wird an seine Grenzen stoßen. 

Didier Fassin, ein Soziologe, hat in der Fortschreibung der griechischen Philosophie einmal gesagt: „Je mehr wir wissen, umso deutlicher wird, wieviel wir nicht verstehen.“ Wichtig wäre es also, aus einer unbewussten in eine bewusste Inkompetenz zu kommen und damit zu sehen, dass sich da etwas Gigantisches, etwas historisch Beispielsloses immer schneller fortschreibt. Wir ertrinken in Informationen und dürsten trotzdem nach Orientierung. Aber mutlos machen soll und darf uns das nicht. Bewusste Inkompetenz zu zeigen, heißt, den Wandel zu sehen. Es ist dieses Wissen um das Nichtwissen, das am Beginn allen Fortschritts steht.

Unser Land, wie es sich heute darstellt, ist von optimistischen, mutigen Menschen begründet worden. Und es ist nach wie vor Optimismus, der Vorarlbergs Wirtschaft und Gesellschaft antreibt; es ist der Glaube an Positives, der uns mutig sein, der uns Risiken eingehen und Neues wagen lässt. Es ist dem Kommenden nur mit intellektueller Demut zu begegnen. Aber auch mit dem Wissen, dass unser Fundament ein hervorragendes ist. Es ist uns, auch dank des Unternehmertums auf Vorarlberger Art, materiell noch nie so gut gegangen wie jetzt. Und trotzdem suchen einige Wenige ihr Heil in der Polarisierung. Doch all jenen sei gesagt, dass es angesichts der Herausforderungen, die da kommen, mehr und nicht weniger Gemeinsamkeit brauchen wird. 

Natürlich gilt es, Widersprüche aufzulösen. Natürlich sind Konflikte auszuhalten. Aber eine Lösung kann nur mit der Wirtschaft und nicht gegen sie erfolgen. Wirtschaft und Gesellschaft sind unteilbar. Und Unternehmertum auf Vorarlberger Art heißt eben, für das größere Ganze eine Verantwortung zu spüren. Wer das Trennende vor das Gemeinsame stellt, wird der Zukunft nicht begegnen können. Und den künftigen Herausforderungen können wir nur gemeinsam begegnen. Wir haben zu bewegen, was wir selbst bewegen können, innerhalb unserer Spielräume und in unserem Tempo. Vorarlberg war bislang das Land der vielen Lösungen. Und es wird weiterhin das Land der vielen Lösungen bleiben.

Wie wir den Wandel gestalten, das liegt auch an jedem einzelnen von uns und nicht nur an der Politik. Wir alle lieben die Freiheit und die Selbstbestimmung, aber vergessen mitunter, dass Freiheit auch viel mit Verantwortung zu tun hat. Ein Hoch also auf die Wagenden, ein Hoch auf die Mutigen und an jene Menschen, die an sich und etwas glauben und dafür auch grad stehen. Wirtschaftsvordenker Anders Indset hatte beim Diskurs-Auftakt Kierkegaard zitiert, demzufolge man das Leben nur rückwärts verstehen könne, aber vorwärts leben müsse. Indset hatte dem noch etwas angefügt: „Ein Leben, zwei Worte: Tu‘ etwas!“ Und das sind entscheidende zwei Worte – am Tor zu einer neuen Dekade.

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