Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

Schafft ein Ministerium für Kultur!

Oktober 2024

Lassen Sie mich eine etwas absurde Paraphrase an den Beginn meiner Polemik stellen, „Kultur first“, wohl wissend, dass Trumps „America First“ mit Kultur so viel zu tun hat wie der bekannte Teufel mit der reinigenden Kraft des Weihwassers. Die Wahl ist geschlagen und die Parteien werden ihre Programme und Wahlversprechen den nun folgenden Koalitionsspielchen anpassen. Was allerdings schon während des Wahlkampfes und bei aller Wahlpropaganda keiner Erwähnung wert war, sind Kunst und Kultur. Dieser programmatischen Ignoranz gegenüber der großen Kulturnation Österreich entspricht die Bedeutungslosigkeit der sogenannten Kultursprecher und Sprecherinnen der Parteien, die sich vor allem durch ihre Abwesenheit in der öffentlichen kultur- und kunstpolitischen Debatte dauerhaft keinen Namen gemacht haben.
Aber nun zum kulturpolitischen Status quo: Die FPÖ wärmte ihre alte Kunstfeindschaft mit dümmlichen Attacken gegen die international anerkannte Arbeit des unlängst verstorbenen Künstlers Günter Brus wieder auf oder kühlt ihren kulturellen Minderwertigkeitskomplex an den Salzburger Festspielen, die ÖVP doktert an dem mittlerweile durch deutsche Talkshows ranzig gewordenen Begriff einer Leitkultur herum, die SPÖ wollte mit Vermögens- und Erbschaftssteuern dem Kunstsammeln neuen Auftrieb geben und konnte Künstler und Künstlerinnen von Kindergartenkindern nicht unterscheiden, indem sie Österreichs Kunstwelt zu einem „bunten Abend“, was sonst, mit „unserem Andi“ (Herz und Hirn plus Kultureinlage) einlud, die Neos zumindest brachten ihren ehemaligen engagierten Kultursprecher wieder in Stellung und die Grünen hatten sich nach den peinlichen Erörterungen von Analogien zwischen Sport und Kunst in der Covidzeit auf die Bereinigung der österreichischen Medien- und Presselandschaft konzentriert, indem sie der Wiener Zeitung den Todesstoß versetzten. So bemüht die Kulturstaatssekretärin das ihr von Kulturminister Kogler – ja, zur Erinnerung Kogler war und ist noch bis zur Bildung der Neuen Regierung Kulturminister! –, überlassene Feld bestellt, so sehr verwechselte ihr Minister feuchtfröhliche Abende in sogenannten Szenebeisln und unvermutete Interessebekundungen bei Biennale-Stippvisiten mit Kulturpolitik. Wie schrieb Kurt Tucholsky in der Weltbühne 1925 in einem Essay unter dem Titel „Horizontaler und vertikaler Journalismus“: „Grausamkeit der meisten Menschen ist Phantasielosigkeit und ihre Brutalität Ignoranz.“ Ob allerdings grüne Phantasieinitiativen positive Effekte auslösen würden, darf nach den Bemühungen von Frau Schilling in diese Richtung bezweifelt werden. 
So möchte ich meine Wünsche an Österreichs Politik und die neue Regierung an dieser Stelle artikulieren:
1.Schafft ein Kulturministerium mit einer kompetenten, Respekt genießenden Persönlichkeit, deren starke Stimme (mit sprachlicher Eleganz!) zu gesellschaftlichen und kulturellen Fragen (etwa nach dem Vorbild von Frankreichs legendärem Kulturminister André Malraux) im öffentlichen Diskurs Gewicht hat. Kulturpolitik ist zu wichtig für eine Kulturnation, um Wurmfortsatz eines Bundeskanzleramtes oder eines Außen-, Unterrichts- oder gar Sportministeriums zu sein. Kulturpolitik ist kein politischer Nebenjob (oder Ausgedinge für Abgeordnete) und auch keine Verhandlungsmasse im politischen Schlussverkauf. 
Ein neues Kulturministerium macht jedoch nur Sinn, wenn sämtliche kulturellen Verantwortlichkeiten, die zurzeit auf verschiedene Ministerien vom Bundeskanzleramt über das Außenamt bis hin zu dem Verteidigungsministerium (Heeresgeschichtliches Museum) verteilt sind, endlich vereint werden. Ein Kulturministerium wäre auch eine längst notwendige Respektbezeugung für die Leistungen österreichischer Künstlerinnen und Künstler für die internationale Wahrnehmung und Reputation unseres Landes.

2.Ernennt Kultursprecher, die kulturpolitische Ziele formulieren und wiederum in Wettstreit mit ihren kulturpolitischen Ideen und Konzepten treten.

3. Schafft eine Stiftung „Pro Austria“ und gebt damit die Kunstförderung samt der Auslandskulturförderung in die Hände einer politisch unabhängigen und unbürokratischen Kulturstiftung nach dem Vorbild der Pro Helvetia. Das heißt: Gebt mehr Geld für Kunst und Künstler, weniger für finanzielle Reibungsverluste durch überzogene Bürokratien. 

4. Schärft die Profile der großen Kulturinstitutionen durch klare kulturelle Aufträge, um unnötige Doppelgleisigkeiten abzustellen und breit gefächerte Angebote für die unterschiedlichen Interessen des Kunstpublikums zu schaffen. Evaluiert deren Leistungen, indem qualitative und quantitative Erfolge bewertet und auch belohnt werden. 

5. Zeigt mehr Mut und Kompetenz bei der Besetzung von Institutionen mit den für die jeweiligen Aufgaben kompetenten und streitbaren Persönlichkeiten (abseits von sich aufplusternden Lobbys, ödem Zeitgeist und bravem Mittelmaß).

6. Entbürokratisiert die Kunstförderung: Kleine Kulturinitiativen scheitern zunehmend an dem hohen Aufwand für Ansuchen für Kunst- und Projektförderung. In vielen Fällen kostet die Kontrollbürokratie mehr als die vergebenen Förderungen. Weg von überzogener Bürokratie (Belegkontrollen), hin zu Kontrolle der Zielerreichung (Qualität der Produktionen).

7. Schafft die steuerliche Absetzbarkeit von Kunstankäufen von in Österreich lebenden Künstlern und Künstlerinnen als zweite, private Säule der Kunstförderung: Es ist an der Zeit, auch den Beitrag von privaten Sammlern an einem funktionierenden österreichischen Kunstmarkt und von Mäzenen an der Förderung von Künstlern und Initiativen anzuerkennen. Die Absetzbarkeit von Kunstankäufen und Spenden würde nicht nur die Kunstnachfrage von jungen Sammlern ankurbeln, sondern auch weniger Abhängigkeit der Kunst von Politik, Bürokratie und in Jurys mit ihren Lobbys bedeuten. 

8. Macht Kunst zu einem bedeutenden schulischen Pflichtfach. Künstlerische und kulturelle Ausbildung an Schulen ist kein Orchideenfach, sondern Basis für Teilhabe an Kunst, Kultur und Gesellschaft.

Die öffentliche Hand wendet Ressourcen für ein Förderungssystem auf, das Kunst und Kultur mit politischen Vorgaben zunehmend belastet und vereinnahmt, das politische Verantwortung an Jurys und Lobbys abschiebt, mehr althergebrachte Privilegien und überholte künstlerische Bemühungen schützt, als neuen kontroversiellen und oft unkonventionellen künstlerischen Ansätzen zum Durchbruch zu verhelfen. Österreichs Kulturpolitik ist auf eine der Dynamik von Kunst und Kultur widersprechende Erhaltung des Status quo fixiert. Was wir brauchen, ist eine Kulturpolitik, die gestaltet und nicht nur mehr verwaltet, die Kunst und Kultur im Wettstreit kulturpolitischer Ideen fördert und die die vorhandenen Mittel innovativer und unter Einsparung unnötiger Bürokratie effizienter verteilt. Auch daran sollen Parteien und ihre Programme und vor allem die zukünftige Regierung gemessen werden.
Apropos: Bei Blau/Schwarz ist die Zeit „als das Wünschen noch geholfen hat“ endgültig vorbei.

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