Über Donald Trump und politische Polarisierung
Die US-Präsidentenwahl im November steht vor der Tür. Ich habe keine Kristallkugel, die mir den Sieger vorhersagt, möchte die Wahl aber zum Anlass nehmen, über politische Polarisierung und ihre Konsequenzen für das Zusammenleben in einer Gesellschaft nachzudenken.
Das friedliche Zusammenleben in Gesellschaften hängt davon ab, dass die Mitglieder einer Gesellschaft sich im Wesentlichen an die bestehenden Regeln halten. Diese Regeln werden im üblichen Gesetzgebungsprozess im Rahmen einer Demokratie entworfen und festgelegt. Da es dabei alle paar Jahre zu Machtwechseln kommt, werden alte Regeln (von Vorgängerregierungen) immer wieder einmal abgeschafft und durch neue ersetzt, die der aktuellen Regierung vorteilhafter erscheinen.
Das führt dazu, dass Mitglieder in entgegengesetzten politischen Lagern sehr unterschiedliche Einstellungen zu den von der aktuellen Regierung erlassenen Regeln haben. Wer die aktuelle Regierung unterstützt, dürfte sich mit höherer Wahrscheinlichkeit an die Regeln der aktuellen Regierung halten als jemand, der die aktuelle Regierung ablehnt. Eine fundamentale Annahme einer solchen Argumentation besteht darin, dass sich die politischen Lager hinsichtlich der Regeln unterscheiden, die sie erlassen, wenn sie an der Macht sind. Zunehmende Polarisierung würde demnach bedeuten, dass verschiedene Parteien – man denke an Demokraten und Republikaner in den USA – immer stärker unterschiedliche Regeln beziehungsweise Gesetze erlassen würden (beispielsweise im Hinblick auf Waffenbesitzkontrolle oder Abtreibungsrechte). Das würde dann dazu führen, dass immer weniger ein Konsens über die Regeln des gesellschaftlichen Lebens gefunden werden könnte. Die Unterschiedlichkeit der Regeln und Gesetze würde dann den Widerstand gegen Regeln erklären, die die jeweils andere politische Partei erlassen hat.
Das trifft sicher zu einem guten Teil zu, übersieht einen Aspekt. Wenn ein Lager das entgegengesetzte Lager heftig ablehnt, dann führt das unter Umständen sogar zu Widerstand gegen Regeln, die auch das eigene Lager erlassen haben könnte. Beispielsweise könnte ein Demokrat in den USA den laxen Umgang Donald Trumps mit der Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 einfach nur deswegen abgelehnt haben, weil Trump es so bestimmt hatte, unabhängig davon, dass dieser Demokrat vielleicht selbst den Virus für unproblematisch gehalten hat. Hätte ein demokratischer Präsident dieselben laxen Regeln erlassen, hätte dieser Demokrat das hingegen vermutlich für richtig erachtet. Mit anderen Worten: Nicht der Inhalt einer Regel ist entscheidend, ob man zustimmt und sich danach richtet, sondern wer die Regel erlassen hat. Diese Überlegung widerspricht eigentlich rationalem Denken, denn dieselbe Regel sollte gleich sinnvoll oder sinnlos für jemanden sein, unabhängig davon, ob sie der politische Freund oder der politische Feind erlassen hat.
Das ist aber nicht so, wie ich kürzlich selbst in einer Studie mit meinen Kölner Kollegen Christoph Feldhaus und Lukas Reinhardt zeigen konnte. Wir luden über 1200 Amerikaner ein, an einer kurzen Online-Studie teilzunehmen. Dabei musste jeder drei Entscheidungen treffen. Bei der ersten Entscheidung musste man wählen, ob man 80 Cent sicher bekommen möchte oder lieber eine Lotterie hat, bei der man mit 50:50 Wahrscheinlichkeit 100 Cent oder 0 Cent bekommt. Bei der zweiten Entscheidung musste man 100 Cent zwischen sich und einem zweiten Teilnehmer aufteilen. Bei der dritten Entscheidung musste man wählen zwischen 30 Cent sofort oder 100 Cent in einem Monat.
Die Teilnehmer wurden dann informiert, dass eine andere Person – nennen wir sie Person 2 – die Wahlmöglichkeiten eingeschränkt hat. Person 2 hätte die Regel aufgestellt, dass in der ersten Entscheidung die Lotterie gewählt werden müsste. In der zweiten Entscheidung müsste man mindestens 60 Cent abgeben und in der dritten Entscheidung müsste man die 30 Cent sofort wählen. Die Teilnehmer konnten diese Regeln akzeptieren oder aber 10 Cent dafür bezahlen, um die Einschränkung durch Person 2 rückgängig zu machen. Das Bezahlen der 10 Cent interpretieren wir als Widerstand gegen eine bestimmte Regel.
Der Knackpunkt der Studie war jetzt folgender: Wir hatten vor den drei Entscheidungen in einem Fragebogen die politischen Einstellungen zu Donald Trump erhoben, sodass wir von allen Teilnehmern wissen, ob sie Trump-Anhänger oder Trump-Gegner sind (eine neutrale Haltung zu Donald Trump kam praktisch nicht vor, was zeigt, wie stark die Person Trump polarisiert). Der Person, die die drei Entscheidungen treffen musste, wurde mitgeteilt, welche Haltung Person 2 zu Trump hat. Erst dann musste die entscheidende Person wählen, ob sie die Einschränkungen von Person 2 aufheben wollte.
Wenn die entscheidende Person und Person 2 die entgegengesetzte Haltung zu Trump haben, wird die Einschränkung ungefähr 20 Prozent öfter aufgehoben, als wenn beide Personen dieselbe Haltung zu Donald Trump haben (entweder beide Gegner oder beide Anhänger sind). Das bedeutet, dass die entscheidende Person Geld bezahlt, um eine Einschränkung aufzuheben, die sie nicht aufgehoben hätte, wenn sie von einer Person verursacht worden wäre, mit der sie politisch in der Haltung zu Donald Trump übereinstimmt. Diese politische Polarisierung führt also dazu, dass dieselben Regeln (!) in sehr unterschiedlichem Ausmaß akzeptiert oder (kostspielig) bekämpft werden, je nachdem, wer sie erlassen hat. Für Dissens braucht es im Fall starker Polarisierung also nicht einmal mehr unterschiedliche Regeln – was man verstehen könnte, weil es gegensätzliche Vorstellungen darüber gibt, was verboten beziehungsweise erlaubt sein sollte – sondern es genügt schon die Antipathie gegen den politischen Gegner, selbst wenn der dieselben Regeln erlässt wie das eigene Lager. So führt politische Polarisierung zu Spannungen selbst bei Regeln, die man vermutlich anstandslos akzeptiert hätte, wenn das „eigene“ Lager sie aufgestellt hätte.
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