Gerald A. Matt

Kunstmanager, Publizist und Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst Wien

„Und dann war es die Sensation“

November 2024

Gerald Matt traf Christoph Wagner-Trenkwitz zum Gespräch über Oper, Operette, Musical, Verdi, Wagner, Dramaturgie und Anekdoten über Marcel Prawy und Ioan Holender. Christoph Wagner-Trenkwitz ist ein Tausendsassa des Musiktheaters, ein brillanter Dramaturg, Festival- Intendant, Musikwissenschaftler, Autor, Conférencier, Schauspieler und Entertainer im besten Sinn des Wortes. Seit 2001 kommentiert er gemeinsam mit Karl Hohenlohe auch den Wiener Opernball. 

Die Zeitschrift „Der österreichische Journalist“ hat Dich 2020 zu den wichtigsten österreichischen Gesellschaftsjournalisten gezählt. Kann man das als Kompliment sehen? 
Ich bin vieles nicht, aber Gesellschaftsjournalist bin ich gar nicht. Dennoch freue ich mich über jede Auszeichnung. Ich nehme jede Auszeichnung an.

Über die Grenzen Deines Metiers hinaus wurdest Du als brillanter und ironischer Kommentator des Opernballs, des Topereignisses der Wiener Gesellschaft, bekannt. Du hast als scharfzüngiger Beobachter die witzigsten Hoppalas, peinlichsten Auftritte, modischsten Fehltritte kommentiert. Der Opernball muss nun ohne Richard Lugner auskommen. Wird er dem Opernball fehlen?
Es hat ja oft geheißen, was wäre der Opernball ohne Lugner? Es war natürlich umgekehrt, was wäre der Lugner ohne den Opernball? Das war seine unbezahlbare Werbeeinschaltung für sich selbst. Aber natürlich wird er als skurrile, unermüdliche Persönlichkeit fehlen. Paradiesvögel sind rar. Ich hatte aber immer den Eindruck, dass er sich für sein Image aufopfert, beim Opernball zeigte er stets das traurigste Gesicht, wenn wieder irgend so eine Paris Hilton oder Namen, die er gar nicht aussprechen konnte, an seiner Seite saßen, sich mit ihm langweilten und dann am Klo oder sonst wo verschwunden sind. Aber ja, wir werden ihn vermissen. 

Von Richard Lugner und dem Opernball zu Deinem Job des Dramaturgen. Was macht ein Dramaturg? 
Der Dramaturg ist Berater des Direktors oder Intendanten. Er hilft, einen auf die Möglichkeiten eines Hauses und seines Ensembles abgestellten Spielplan zu gestalten. Und dies in Berücksichtigung der Genres, im Falle der Volksoper Oper, Operette und Musical. Dabei geht es nicht nur um das Was, sondern vielmehr um das Wie. Denn ein Stück muss man erst mit dem Regisseur und den Akteuren herstellen, und es für das Publikum aufbereiten, es einführen und für die oft komplexen Inhalte eine Sprache finden, die die Menschen verstehen. Die Nachsilbe -urg bedeutet ja nicht, nur gescheit dreinreden, sondern etwas tun.

Da komme ich zu einem anderen Thema, das heute wohl auch bedeutend für Dramaturgen ist, die mit Libretti arbeiten und Einfluss auf Besetzungen haben. Wie hältst Du es mit Political Correctness, Wokismus und der Aneignungsdebatte?
Das ist eine wichtige Debatte. Wir kennen alle die Tradition des Blackfacing. Weiße schmieren sich das Gesicht schwarz an und führen sich lustig auf. Und sogar die Schwarzen, die im Business waren, mussten sich blackfacen. Das war einfach eine Clown-Nummer. Natürlich ist das unmöglich. Und darf nicht mehr sein. Aber die Aneignungsdebatte geht in die falsche Richtung. Theater ist immer Aneignung. Ich habe jetzt in Langenlois in Gräfin Mariza die alte Tante Fürstin Bozena gespielt. Ich bin keine Tante, ich bin keine Fürstin. Natürlich habe ich mir das angeeignet. Und der Lago im Othello ist nun mal ein Rassist und darum geht es in der Geschichte. Und wenn ich das zensuriere, dass der etwas „gegen den Schwarzen mit den wulstigen Lippen“ sagt, dann kann ich das ganze Stück nicht mehr spielen.

Genderst Du? Wenn Du Texte überarbeitest? Oder zerstört das den musikalischen Fluss?
Fürs Sprechen ist es schon schwierig, aber in Werken Richard Wagners den Text auf Gendersprache umzustellen, unmöglich. Dennoch sind das ehrliche Anliegen, aber da sollte es um mehr gehen als nur die Sprachfassade zu ändern. 

Deine Karriere begann glänzend, gleich an der Wiener Staatsoper, als Pressereferent an der Seite des legendären Direktors Ioan Holender, später als deren Chefdramaturg.
An der Seite wäre übertrieben, korrekt ist: unter ihm.

Ioan Holender war bekanntlich eine harte Schule. Stimmt es, dass er Dich gelegentlich Müller-Thurgau nannte?
Ich habe ihm viel zu verdanken. Er nahm mich an die Staatsoper, und ich konnte meine ersten Matineen dort machen. Holender hat es meisterhaft verstanden, seine Schwächen in Stärken umzuwandeln. Er hat sich nie gut Namen gemerkt. Und da hat er auch mal einen Namen erfunden, wie zum Beispiel Müller-Thurgau.

Was ja ein guter Wein ist.
Na ja, nach den Management-Gesetzen der Neuzeit ist das vielleicht ein bisschen respektlos. Aber übergroßer Respekt vor seinen Untergebenen war ihm unbekannt. Er war der erste Direktor des 21. Jahrhunderts, aber nach seinen Managementmethoden war er der letzte Direktor des 19. Jahrhunderts. Dennoch konnte ich wahnsinnig viel von ihm lernen. Die drei großen Ch – Charme, Charisma und Chutzpe – hat er in meisterhafter Art in sich vereinigt. Er hat niemanden geschont, er hat auch sich selbst nicht geschont.

Da gibt es auch eine bezeichnende Anekdote. Als er Dich in Lech urlaubend traf, hat er Dich sogleich daran erinnert, dass ein Staatsopernbediensteter immer im Dienst sei – und ordnete Deinen morgendlichen Anruf an.
Es kam die Order, ihn morgens um halb zehn anzurufen. Gut, ich meldete mich um dreiviertel zehn und er hat abgehoben, nicht gegrüßt, sondern seinen Vater zitiert, der gesagt hatte, wenn jemand um halb zehn aufgehängt wird, ist er um dreiviertel zehn schon kalt. Danach kommandierte er mich zum Skifahren, Stierloch oder Stierfall, jedenfalls grauenhaft steil.

Vom Chefdramaturgen an der Wiener Staatsoper bist Du zum Chefdramaturgen an die Volksoper Wien gewechselt. Was hat Dich an der Volksoper gereizt? 
Die Staatsoper ist natürlich der Opernhimmel, die tollsten Sänger, die tollsten Opern, das beste Orchester. Mich hat nach zehn Jahren aber die Vielfalt gereizt, der weite Horizont der Volksoper, dass man dort Oper, aber auch Operette und Musical macht.

Wenn Du zurückdenkst, gibt es so etwas wie den großen Erfolg, auf den Du jetzt noch stolz bist?
Ja, zwei Produktionen, die ich initiiert, mitgemacht habe. „Guys and Dolls“ ein Musical, das niemand gekannt hat. Da hieß es, bist Du deppert, da kommt keiner, interessiert keinen. Und dann war es die Sensation. Und die österreichische Erstaufführung von „South Pacific“, ein hinreißendes Stück von Rodgers und Hammerstein, wo ich eine Staatsopernbekanntschaft, den Ferruccio Furlanetto, für die Hauptrolle mit gewinnen konnte. Ich bin stolz, dass ich den Musical-Horizont an der Volksoper erweitern konnte. In der Ära Robert Meyer waren ja genauso viele Musical-Neuproduktionen wie in allen Volksopern-Ären ab 1955! Ja, und im nächsten Jahr werde ich die Dramaturgie in Bayreuth für die Meistersinger machen. Mehr geht nicht für einen kleinen Dramaturgen. 

Viele halten Dich für den würdigen Nachfolger des legendären Opernerklärers Marcel Prawy. Was verbindet Dich mit ihm?
Ich hatte das Glück, mit ihm an der Staatsoper zu arbeiten. Da war seine unbedingte Liebe und Leidenschaft für die Oper, sein hintergründiger Witz, sein unglaubliches Opernwissen. Und sein Vortragsstil: Keine Floskeln, kein ‚Ich freue mich, dass sie trotz schönem Wetter da sind‘, nein, am Anfang einer Conference ein Scherz. Das funktioniert bis heute. Er war ein großer Lehrmeister für mich.

Hat Prawy nicht auch gesagt, dass die Oper tot ist?
Ja. Ein Satz, den man ihm nicht zutrauen würde. Aber es werden einfach keine neuen Werke mehr geschrieben, die die Opernwelt verändern. Dennoch gilt für die Oper: Nur Tote haben ein ewiges Leben.

Deine Liebe zum Musiktheater hat auch in einer Vielzahl von Büchern ihren Ausdruck gefunden. Der launige Titel Deines Buches über Verdi lautet „Wenn sie auch schlecht singen, das macht nichts. Versuche über Verdi“. Warum kann man sich Verdi nur über Versuche annähern?
Man kann sich jedem Genie nur über Versuche nähern und die Versuche nennt man auf Französisch Essay. Man darf sich als Dramaturg nie gescheiter fühlen als die Schöpfer. Dann liegt man falsch.

Du hast jetzt bereits drei Bücher geschrieben, die einen Schwan im Titel haben. Was hat ein Schwan mit der Oper zu tun?
Das kommt von einer Slezak-Anekdote. Der berühmte Tenor hat bei einer Lohengrin-Aufführung, als der Schwan zu schnell die Bühne verließ und er ihn nicht erwischte, laut ins Publikum hinein gefragt: „Wann geht der nächste Schwan?“ Und deswegen hieß mein erstes Anekdotenbuch „Schon geht der nächste Schwan“. Es folgte„Schwan drüber“, weil ich dachte, das ist das Letzte, und dann mein drittes Buch „Nochmal Schwan gehabt“. Und für mein nächstes Buch habe ich noch keinen Text, aber schon einen schönen Titel. „Wo gejodelt wird, fliegen Schwäne.“

Du bist ein großer Erzähler, ein brillanter humorvoller Conférencier und vor allem ein Meister der Anekdoten. Ist die Anekdote auch Ausdruck einer Haltung zur Welt, die das Leben der Theorie vorzieht, wie auch geradezu eine Ablehnung an die große Welterklärung?
Ja, ich glaube nicht an große Welterklärungen, aber ich glaube an kleine Anekdoten, die viel, viel mehr sagen können. Und das Tollste sind natürlich die gestohlenen Anekdoten, die ein anderer erfunden hat und die ich dann modifiziert weitergebe. Wenn wir schon von Marcel Prawy reden, eine Anekdote, die hat mir der Kellner im Sacher erzählt. Sie charakterisiert Prawys Weltferne wunderbar. Er hat im Sacher gegessen und winkt den Kellner zu sich und fragt ihn: ‚Bester, hab ich schon gegessen?‘ Und der Kellner sagt: ‚Jawohl, Herr Professor.‘ Prawy: ‚Und? Hat es mir geschmeckt?‘

Welche Eigenschaften des Menschen Wagner-Trenkwitz spiegeln sich in Deiner Vielseitigkeit? 
Ich möchte jetzt nicht so tief sinken, mein Sternzeichen bekannt zu geben. Tue es doch. Es ist der Zwilling. Meine liebe Frau leidet ein bisschen unter den zwei Gesichtern, aber es ist Wasser auf die Mühlen eines Zwillings, das, was Prawy gesagt hat: „Man muss sich bei einer Arbeit von der anderen erholen.“ Wunderbar. Mit den Begriffen ,Wochenende‘ und ,Freizeit‘ tu ich mir auch schwer.

Mir ist in Erinnerung, dass Marcel Prawy immer mit den Plastiksackerln herumge­laufen ist, in denen er sein halbes Leben unterbrachte. Gibt es einen Spleen bei Dir?
Auf jeden Fall keine Plastiksackerl, die ziehen Staub an. Er hat die nicht nur herumgetragen, sondern zu Hause gelagert. Als ich an seiner Biografie gearbeitet habe, wurde ich vom Staub der Plastiksackerln geradezu umnebelt. Ganz entsetzlich. Da habe ich lieber keinen Spleen. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

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