
„Ein Fenster in eine ganz andere Welt“
Gerald A. Matt sprach mit David Schalko, dem Schriftsteller, Theaterautor, renommierten Filmemacher und Fernsehregisseur. Vor kurzem wurde sein Roman Frühstück in Helsinki neu herausgebracht. Diesen Herbst vollendete Schalko eine Fortsetzung seiner legendären Fernsehserie Braunschlag. Bekannt wurde er mit revolutionären Fernsehformaten wie der Sendung ohne Namen oder Willkommen Österreich. Seine Filme und Serien wie Altes Geld, Ich und die Anderen, Kafka und das Remake von M – eine Stadt sucht einen Mörder wurden mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet.
Sie haben diesen Sommer die Wiederaufnahme Ihrer Serie Braunschlag abgeschlossen. Damals war sie ein Riesenerfolg, sowohl künstlerisch, mit vielen Preisen bedacht, als auch kommerziell mit mehr als einer Million Zuseher. Was hat Sie dazu gebracht, die Serie fortzusetzen?
Ich wollte eigentlich keine Fortsetzung machen, weshalb es den Atomunfall am Ende der ersten Staffel gab. Ich hatte dann aber eine Idee, die ich zwingend fand, und wollte mir dafür kein neues Dorf erfinden, wenn es ohnehin schon eines gibt.
Was ist anders in dem Braunschlag heute?
Alle sind 14 Jahre älter. Es spielen aber auch alle wieder mit, wie Robert Palfrader oder Nicholas Ofczarek oder Matthias Hofstätter, Nina Proll, Thomas Stipsits, Simon Schwarz, Manuel Rubey, Stefanie Reinsperger ...
Sie kommen aus Waidhofen an der Thaya. Inwieweit ist Braunschlag auch ein Spiegel der österreichischen Provinz?
Ich finde das Wort Spiegel immer ein bisschen besserwisserisch, als würde man was Besseres sein wollen. Aber ja, da, wo wir gedreht haben – Litschau und Umgebung –, das ist die Gegend, wo ich herkomme, wo ich meine Kindheit verbracht habe, eine Gegend, die ich natürlich gut kenne und wo ich vor allem, was die Mentalität der Menschen angeht, wenig recherchieren musste. Viele Figuren sind natürlich an Figuren angelehnt, die es im Umkreis meiner Familie gab. Wir haben auch an mir vertrauten Locations gedreht, in der Siedlung, in der meine Tante lebt zum Beispiel, oder die Disco ist die Disco, in der sich meine Eltern kennengelernt haben. Ich mache eigentlich nie Sachen zweimal, aber es war spannend für mich, nach 14 Jahren wieder zurückzukehren. So gesehen auch ein erstes Mal. Man spürt, dass sich da sehr viel im sozialen Gefüge am Land verändert hat. Da ist viel mehr Vereinzelung und viel mehr Einsamkeit, und die Infrastrukturen werden weniger und schlechter. Es ist zum Beispiel sehr schwierig, unter der Woche noch ein offenes Wirtshaus zu finden.
Sie haben auch für das Theater gearbeitet. Da gab es Böheimkirchen im Rabenhof. Böheimkirchen ist auch in Niederösterreich, klingt nach Provinz. Verarbeiten Sie da auch Ihre Biografie?
Niederösterreich war für mich immer auch eine Metapher. Niederösterreich ist vielleicht das Gegenteil des Salzkammerguts, es ist karger. Das flache Niederösterreich, das monokulturelle Niederösterreich ist für mich auch eine Metapher für die Kargheit des Lebens per se, für die Geworfenheit des Menschen. So wie der Amerikaner den Western benutzt, um Geschichten zu erzählen, nähere ich mich Niederösterreich an. Ich würde mich in den Bergen wahnsinnig fremd fühlen, dort eine Geschichte zu erzählen.
2001 haben Sie Ihren ersten Roman veröffentlicht. Das war Frühling in Helsinki. Sie nannten es selbst ein juveniles Werk, das zu spät käme. Jetzt ist er wieder herausgekommen. Was macht den Roman heute aktuell?
Ich komme ja eigentlich aus der Lyrik, aus der experimentellen Literatur. Dieser Roman war der erste Versuch, auch etwas Kommerzielleres zu schreiben. Es war damals sehr schwierig, einen Verleger zu finden. Es war auch keine gute Zeit für experimentelle Literatur. Frühling in Helsinki war auch ein Kind der popliterarischen Welle. Ich glaube, dass diese Nostalgie für die 90er Jahre in Wien aktuell ist, weil es Projektionen sind an eine Zeit, in der angeblich alles besser, lustiger, spannender war. Und das Buch ist natürlich auch ein Dokument der Wiener Popkultur der 90er Jahre: Kruder und Dorfmeister, die damalige Clubkultur. Damals war Wien eine total hippe Stadt – das, was Berlin vielleicht Anfang der Nullerjahre war. Es gab sehr viele Indie-Labels, die österreichische Musik kannte man auf der ganzen Welt: Hip-Hop, Gasometer, diese Techno-Sache. Und all das geprägt vom Wiener langsamen, zurückgelehnten Lebensstil. In dieser Welt spielt dieser Roman.
Die 90er Jahre waren die Zeit Ihres ersten großen Erfolges, nämlich Zapp und dann Die Hausfreunde. Sie haben das Konzept für diese Sendungen und die Drehbücher gemacht, auch Regie geführt. Welche Rolle spielt der Zufall am Beginn Ihrer Karriere?
Nennen wir es einen Glücksfall, weil ich ja Lyriker war. Davon konnte ich natürlich sehr schlecht leben. Ich habe hin und wieder bei kleinen Werbeagenturen gejobbt oder als Sexkolumnist gearbeitet, um die Miete zu zahlen. Aber der Lyrik galt mein Herz. Die Rettung kam über eine kleine Filmproduktion, für die ich ein Konzept geschrieben habe. Und die fragten mich, wer da die Regie machen solle. Da habe ich aufgezeigt. Ich wusste zwar nicht, wie eine Kamera ausschaut, aber ich wusste auch nicht, wer das moderieren soll. Und den Einzigen, den ich kannte und dem ich das zugetraut habe, war der Wirt im Café Torberg, und der hieß Robert Palfrader. Und so sind wir da beide reingerutscht.
Es gab auch die Literaturszene – Werner Schwab, H. C. Artmann.
Ja. Werner Schwab war für mich literarisch sehr wichtig, weil er die österreichische Literatur völlig neu aufgestellt hat und aufgeräumt hat. Werner Schwab war der Erste, der sozusagen den Punk und die popkulturelle Ebene, auch diese experimentelle Fäkalsprache, eine sehr körperliche Sprache, in die österreichische Literatur brachte. Und das hat mich sehr fasziniert.
Und der schwarze Humor kam dann von Artmann.
Da war seine Kompromisslosigkeit, die Poesie und der Humor ein sehr wienerischer Humor. Ja, diese Welt war sehr wichtig für mich.
Sie haben ja mit einem Wirtschaftsstudium begonnen, dann aber das Reinhardt-Seminar versucht, das Sie nicht aufnahm.
Das Reinhardt-Seminar war einer sehr kurzen Sehnsucht geschuldet, Schauspieler zu werden.
Wollten Sie Schauspieler werden?
Ja, eine Woche lang.
Bereuen Sie das inzwischen?
Je mehr Schauspieler ich kenne, desto weniger bereue ich es. Es ist ein Beruf, bei dem man oft von anderen abhängig ist.
Haben Sie in einem eigenen Film mitgespielt?
Einmal aus Notlösung, weil der Schauspieler nicht aufgetaucht ist. Ich habe zwei Sätze als Rettungsfahrer gesprochen. Dabei soll es aber bleiben.
Wann haben Sie das erste Mal das Gefühl gehabt, dass Sie etwas Künstlerisches machen wollen?
Ich glaube, ich habe als Jugendlicher schon gewusst, dass ich einmal schreiben will. Zum Schreiben kam ich, wie die meisten Schriftsteller wohl übers Lesen. Bei uns zu Hause gab es wenig Bücher, und deswegen war der Besuch in der öffentlichen Bibliothek immer sehr wichtig für mich. Es war ein Fenster in eine ganz andere Welt.
Gab es da ein Buch, das besonders beeindruckend war für Sie?
Als Kind sicher Pippi Langstrumpf. Ich habe sie für ihren Mut und ihr Pfeifen auf die Konventionen bewundert.
Sie haben so unterschiedliche Dinge gemacht: Texte für Werbeagenturen, einen Horrorfilm für den Mediamarkt, Ihre Lyrik, Romane wie Was der Tag bringt oder Theaterstücke wie Kimberley in Köln, Musikvideos und Filme für Fernsehen und Kino, waren ungemein erfolgreich. Ich denke da auch an Willkommen Österreich, ein Riesenerfolg, oder an Ihren Horrorfilm Dad’s Dead.
Ich habe in der Werbung nicht viel gemacht, kleine Texte, für die ich ein paar hundert Euro bekommen habe, um über die Runden zu kommen. Aber eigentlich war mein Filmeinstieg gar nicht über Werbung oder Musikvideos, sondern es war tatsächlich diese Jugendsendung, die wir damals gemacht haben, die eigentlich eine bezahlte Filmschule war. Wir konnten machen, was wir wollten, und haben dafür sogar Geld bekommen. Das war der Anfang, ein Glück, die Freiheit dieses Selbstausprobierens, das Autodidaktische, und aus dem man heraus seine eigene Handschrift entwickeln konnte. Und Dad’s Dead war für den Mediamarkt, das war absurd. Wir durften einen Horrorfilm machen, zehntausende Menschen kamen zum Mediamarkt und haben sich diese DVDs als gratis Give-aways abgeholt. Damals ein Pionierprojekt in der Werbung, heute wäre es wohl undenkbar. Die ersten Sendungen von Willkommen Österreich waren alles andere als erfolgreich. Das war eine Avantgarde-Late-Night, in der es jede Woche um eine andere Art von Angst ging. Als dann wirklich keiner mehr zusah, haben wir sie auf Anraten von Wolfgang Lorenz zu dem gemacht, was sie heute ist.
Es gibt in der Architektur den Begriff des Signaturbaus, der Haltung, die Vorstellung, die Ziele eines Architekten so verdichtet, dass sie für das ganze Werk stehen. Gibt es ein derartiges Signaturwerk von Schalko?
Schwierig, da ich versuche, immer sehr unterschiedliche Sachen zu machen, um mich nicht zu wiederholen. Tatsächlich ist das ein bisschen eine auferlegte Selbstrezeptur. Aber ich würde sagen, dass man sicher in Braunschlag und Altes Geld da gewisse Quintessenzen findet sowie in der Literatur in Schwere Knochen. Wer meine Arbeit nicht kennt, dem kann ich empfehlen, das als Erstes anzuschauen beziehungsweise zu lesen. Wichtig ist mir da auch Aufschneider mit Josef Hader, weil er sozusagen ganz am Anfang stand. Neben Daniel Kehlmann war Josef Hader sicher mein wichtigster Kooperationspartner. Künstlerisch war er so etwas Ähnliches für mich wie ein Mentor.
Sie sind ein sehr politischer Mensch, Sie haben sich immer wieder politisch artikuliert, vor allem auch gegen den grassierenden Rechtspopulismus. Inwieweit würden Sie sagen, sind Ihre Filme auch politische Filme?
Viele meiner Arbeiten wie Altes Geld, Braunschlag oder M beschäftigen sich – natürlich – auch mit politischen Themen. In Warum ich?, einer kleinen Anthologie-Serie, die ich für die ARD letztes Jahr gedreht habe, geht es sehr stark um den kleinen Narzissmus im Alltag. Aber da geht es nicht banal um Parteipolitisches.
Sie schreiben ja auch die meisten Drehbücher selbst. Würden Sie sich da auch als Autorenfilmer sehen?
Ich würde mich eher als Autor verstehen, der seine Drehbücher selbst verfilmt und dadurch in die Regie hineingerutscht ist. Das hatte auch finanzielle Gründe.
Sie haben als Filmemacher mehr als reüssiert. Würden Sie gerne mal für Hollywood einen Film produzieren?
Ja und nein. Ich hatte schon Kontakt mit Amerika. Die Art, dort einen Film zu machen, ist so anders als bei uns, aber ausschließen will ich gar nichts. Bei uns in Europa ist das Schöne, dass man die kreative Kontrolle hat und der künstlerische Ansatz eine gewichtigere Rolle spielt. Man kann hier kompromissloser arbeiten als im autoritären US-Studiosystem mit seiner Starhörigkeit.
Verraten Sie uns noch Ihr nächstes größeres Projekt zum Abschluss?
Ich arbeite an mehreren Projekten. Aber mein großes Herzensprojekt im Moment ist gewiss Lichtspiel, nach dem Roman von Daniel Kehlmann. Ich hoffe, dass wir das finanzieren können.









Kommentare