Weihnachten vor 180 Jahren
Carl Ganahl zählte zu den wirtschaftlich und politisch prägenden Persönlichkeiten Vorarlbergs im 19. Jahrhundert und war erster Präsident der 1850 gegründeten Handelskammer. Aufzeichnungen aus seinem verwandtschaftlichen Umfeld geben einen Einblick in das familiäre Leben der gesellschaftlichen Oberschicht dieser Zeit.
Im Feldkircher Stadtarchiv befindet sich ein von Adele Steffan 1876 verfasstes Manuskript mit dem Titel „Erinnerungen an unsere liebe Mutter, Amalia Ganahl“. Amalia war die Schwester Carl Ganahls. Stadtarchivar Christoph Volaucnik veröffentlichte Auszüge daraus in einem vom Wirtschaftsarchiv Vorarlberg herausgegebenen Ausstellungskatalog. Thematisiert wurde darin die Zeit Carl Ganahls als junger Erwachsener in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Als besonders schmerzliche Erinnerung wird in den Aufzeichnungen der Nikolaustag des Jahres 1832 genannt. An diesem Tag verstarb Carl Ganahls Mutter Maria Anna, vermutlich an Tuberkulose. Das jüngste der sieben Kinder war damals gerade erst zehn Jahre alt. Am Nikolaustag fand früher die Bescherung statt, was angesichts des tragischen Ereignisses entfiel. Die Verstorbene wurde in der großen Stube des Ganahl’schen Wohnhauses (heutiges Eckhaus Schmiedgasse–Schlossergasse Nr. 2 in Feldkirch) aufgebahrt. Wände und Fenster waren schwarz verhüllt, neben dem Leichnam brannten hohe Kerzen. Ein Jahr lang wurde täglich vom Familienvater ein Rosenkranz für die Verstorbene vorgebetet.
Zwei Jahre später wurde die Familie erneut von einem Schicksalsschlag getroffen. Maria Anna Creszentia, genannt Nanni, verstarb 20-jährig ebenfalls an Tuberkulose. Wiederum verkam das Nikolausfest zu einem Trauertag. Die tragischen Ereignisse schlugen sich auf das Gemüt der Kinder nieder. Carl Ganahl, der nach dem Tod der Mutter die Erziehung der kleineren Geschwister in die Hand genommen hatte, versuchte diese zu trösten. So soll er 1834 den ersten Christbaum in Feldkirch geschmückt haben. Wörtlich heißt es in den niedergeschriebenen Erinnerungen:
„Carl nahm nun ’s Melele – sein Liebling – auf seine Knie – sie war für ihr Alter sehr klein und schmächtig – und erzählte: In der Schweiz käme nicht der Hl. Nikolaus, sondern das Christkindl zu den Kindern, und zwar in der Neujahrsnacht, bringe ihnen einen Baum, an dem viele, viele Lichteln brennen; goldene Äpfel und goldene Nüsse hängen in seinen Zweigen, auch noch viele andere gute Sachen. Sprachlos horchten sie zu, der erste Hoffnungsstrahl, dass auch sie wieder eine Freude erleben könnten, fiel wie ein Sonnenschein in die jungen Herzen. Die Kinderfantasie spann ihr duftig, leuchtendes Gewebe um den grünen Tannenbaum – das Düstere eines Trauerhauses, unter dem sie so lange gelitten, wurde in den Hintergrund gedrängt, lang entbehrter Frohsinn glänzte aus den lieben Augen, diese erwartungsvoll Weihnachten entgegen sahen. Bruder Carl richtete ein kleines Bäumchen – wie er es in Morges (Schweiz, Anm.) gesehen –, legte große, wunderschön angezogene Puppen darunter – glückliche Kindergesichter umstanden ihn, und so wurde der erste Weihnachtsbaum in Feldkirch gefeiert.“ (Zitiert nach: Christoph Volaucnik: Zur Kindheit und Jugend Carl Ganahls, in: Wirtschaftsarchiv Vorarlberg: Quer- und Vorausdenker. Zum 200. Geburtstag von Carl Ganahl, Feldkirch 2007)
Wirtschaftsarchiv Vorarlberg
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