Franz-Paul Hammling

ehemaliger Leiter von „literatur vorarlberg“

Zeitzeugenschaft

Dezember 2019

Am 10. November 2019 wird im Hohenemser Salomon-Sulzer-Saal die Ausstellung „Ende der Zeitzeugenschaft?“ eröffnet. Sie wirft den Blick auf die Geschichte der Zeitzeugenschaft des Holocaust von 1945 bis in die Gegenwart. Die Veranstaltung ist wieder – auch wenn man es schon lange wusste – ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass das Jüdische Museum der intellektuelle Hotspot des Landes ist! Bemerkenswert die von gedanklicher Durchdringung des Themas zeugenden Begrüßungsworte des Bürgermeisters Dieter Egger.
Jörg Skribeleit von der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und Sonja Begalke von der Berliner Stiftung „Erinnerung Verantwortung Zukunft“, vor allem aber Michael Köhlmeier in seiner Eröffnungsrede bestechen durch ihre Gedanken zu Fragen, wie „Warum erinnern?“ oder „Wo liegen die Grenzen von Zeitzeugenschaft?“
Köhlmeier versteht es – wie zu erwarten – meisterlich, „Erinnern“ mit „Erzählen“ zu verbinden und hält so gleichzeitig ein Plädoyer in ureigenster Sache. Gilt er doch längst nicht nur als großer Erzähler, sondern auch als führender Theoretiker des Erzählens. Eine seiner Leitthesen: Wir erzählen, um uns unsere Angst zu nehmen! Konnte man zunächst denken, nach Köhlmeiers Rede sei der Höhepunkt der Veranstaltung überschritten, so sah man sich in dieser Annahme aufs Angenehmste enttäuscht, als Anika Reichwald, leitende Kuratorin, ihre überaus klugen Anmerkungen zu Konzeption und Entstehung des Projektes und der kulturpolitischen Bedeutung und Wandlung des Themas „Zeitzeugenschaft“ vortrug.
Alles im allem: ein hochbeglückendes, bewusstseinsschärfendes Erlebnis an einem strahlenden Spätherbstsonntag!
PS: Für die hervorragende, ab April 2020 nach München und Berlin gehende Ausstellung nehme man sich am besten einen halben Tag lang Zeit!