Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Abhängig geworden, in vielerlei Hinsicht“

April 2020

China-Experte und Buchautor Wolfgang Hirn (66) sagt im Interview mit „Thema Vorarlberg“, dass China „mit rabiaten Methoden“ die Situation in den Griff bekommen habe und sich nun als Freund Europas zeigen wolle. Aus der Krise aber müsse man auch eines lernen: „In sensiblen Bereichen ist in Europa ein möglichst großer Selbstversorgungsgrad anzustreben.“

Zu dem Zeitpunkt, als wir unser Gespräch führen, heißt es, China sei ‚zuversichtlich, den Ausbruch im Inland in einigen Wochen unter vollständige Kontrolle zu bringen‘. In der aktuellen Situation, Herr Hirn, trauen Sie da den chinesischen Statistiken? 
Es ist die quasi ewige Frage, ob chinesische Statistiken stimmen. Waren die früheren Wachstumsraten korrekt? Sind jetzt die Corona-Daten glaubwürdig? Ich kann einzelne Statistiken nicht beurteilen, aber von der Tendenz her würde ich schon sagen, dass die Chinesen jetzt die Spitze bei den Corona-Infektionen erreicht haben und auf dem Weg zur Normalisierung sind. Es sind ja auch so viele Ausländer in diesem Land, die die Situation beurteilen können und die mir auch Fotos schicken. Und auf diesen Fotos sieht man, dass sich auf den Straßen von Shanghai und Peking das Leben wieder zunehmend normalisiert. Und das stimmt mich durchaus positiv in der Annahme, dass es in China auch wirtschaftlich wieder bergauf geht. Und das würde ja letztlich auch uns helfen.

Wollte China die Sache wirklich zuerst vertuschen? Was sagen da Ihre Quellen?
Ich weiß nicht, ob man da ‚vertuschen‘ sagen sollte oder einfach feststellen muss, dass die Chinesen die Sache zuerst nicht so ernst genommen haben. Man muss ja fairerweise auch die Frage stellen, ob wir in Europa denn das Virus anfangs ernstgenommen haben. In der ersten Zeit haben wir doch auch gedacht, wir bleiben da außen vor …

China hat radikale Maßnahmen getroffen, hat beispielsweise 60 Millionen Menschen in insgesamt 14 Metropolen abgeriegelt, um die Sache unter Kontrolle zu bekommen.
In einem autoritären System, wie China eines ist, sind solche rabiaten Maßnahmen einfacher durchzuführen. Dort wird nicht in demokratischer Art und Weise lange diskutiert, dort wird angeordnet. Nur muss man festhalten, dass sich – Stand heute – im Reich der Mitte dank dieser Maßnahmen auch schnell Erfolge gezeigt haben. Im Übrigen haben Chinas demokratischere Nachbarländer, Südkorea oder Taiwan, es auch geschafft, mit anderen und nicht ganz so brutalen Mitteln. Taiwan, ein Land mit 20 Millionen Einwohnern, hat auf umfassende Tests und umfassende Überwachungsmechanismen gesetzt, etwa via Apps auf den Smartphones. Da sind diese Länder ja viel weiter als wir in Europa. Das wären in dieser Hinsicht dann schon eher Vorbilder für den Westen als das autoritäre China. 

Und die chinesische Bevölkerung fügt sich dem Angeordneten vorbehaltlos?
Die Chinesen nahmen das demütig hin. Natürlich fügen sich in einem autoritären System die Menschen schneller als hier im Westen.

Wollen die Chinesen der Welt nun zeigen, dass ihr wirtschaftliches und politisches Modell das bessere ist?
Sie zeigen das indirekt. Unterschwellig. Subtil. Nach dem Motto ‚Schaut, wir haben es geschafft, mit unseren rabiaten Mitteln und ihr im Westen schafft das nicht, bei euch dauert das viel länger‘. Das suggeriert ja auch die Frage nach dem System.

Trotzdem: Wie hart ist Chinas Wirtschaft getroffen? 
Das Quartal war brutal, in allen Bereichen. Neueste Statistiken sagen allerdings, dass man in China dennoch mit einem Wirtschaftswachstum von etwa 2,5 Prozent für das ganze Jahr 2020 rechnen könne. 2,5 Prozent wären zwar das niedrigste Wachstum in China seit 40 Jahren, 2019 betrug es 6 Prozent – aber es wäre immer noch ein Wachstum. Falls es denn auch tatsächlich wieder aufwärtsgeht. In diesem Fall könnte China sogar gestärkt werden. Denn Chinas Vorteil ist seine Größe. Das riesige Land kann sich, zumindest zu einem gewissen Teil, selbst aus dem Sumpf ziehen, wenn der inländische Konsum steigt. Wenn die chinesische Wirtschaft wieder anzieht, nutzt das auch dem Westen. Nur: Wenn wir hier in eine brutale Krise geraten, dann haben die Chinesen wiederum Probleme, ihre Waren abzusetzen. China ist mit dem Westen ja sehr stark verflochten. 

Apropos. Europa ist von Medikamentenlieferungen der Chinesen abhängig. Wirkstoffe für Schmerzmittel, Antibiotika, Blutdruck- oder Cholesterinsenker werden fast nur noch in China hergestellt. 
Wenn die Krise vorbei ist, dann müssen wir manches, aber nicht alles auf den Prüfstand stellen. Aber es ist dringend die Frage zu stellen, ob das Sinn macht, in sensiblen Bereichen wie der Pharmaindustrie in diesem Ausmaß von China und auch Indien abhängig zu sein. In solch sensiblen Bereichen ist in Europa ein möglichst großer Selbstversorgungsgrad anzustreben. Es geht aber nicht darum, die Globalisierung zurückzudrehen. Manche Wertschöpfungskette könnte und sollte jedoch auf ihre zu starke Abhängigkeit von einem Land überprüft werden. Es zeigt sich in diesen Tagen, in welchem Ausmaß Europa von China abhängig geworden ist. In vielerlei Hinsicht. Letztendlich aber auch zum Positiven, wie man an den Hilfslieferungen aus China sieht.

Die Chinesen sind stark um Hilfe bemüht. Wie werten Sie das?
Nachdem sich Trump vom Multilateralismus verabschiedet hat und außer Schuldzuweisungen aus den USA nichts kommt, will sich China jetzt als Freund Europas zeigen. Es ist bereits von einer ‚Maskendiplomatie‘ die Rede. Manche sagen, dass das nur Propaganda sei. Man kann das so sehen. Aber ich glaube, dass es einem Italiener oder einem Spanier derzeit vollkommen egal ist, woher die Masken kommen. 

Aber das Ganze ist doch skurril. Zuerst kommt das Virus aus China. Und dann die Hilfe.
Ja, es ist skurril. Aber die ganze Situation ist surreal. 

Wie geht es Ihnen da persönlich?
Die wirtschaftlichen Folgen machen mir große Angst. Ich lebe in Berlin. Alles ist geschlossen. Die Straßen der Millionenstadt sind menschenleer. Kleinbetriebe stehen vor der Insolvenz, die Arbeitslosenzahlen werden steigen. Ich habe gerade gelesen, dass wir uns auf die größte Wirtschafts-Krise seit 1929 einstellen müssen. Und da stellt sich schon die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Manchmal denke ich, dass es gnadenlos übertrieben ist, eine ganze Wirtschaft lahmzulegen. Denn mit den wirtschaftlichen Verwerfungen wird es auch zu gesellschaftlichen Verwerfungen kommen. Ich mache mir Sorgen, wie es danach weitergehen soll. Wann immer auch dieses ‚danach‘ sein wird. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person  

Wolfgang Hirn studierte Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaften in Tübingen. Nach verschiedenen Stationen als Wirtschaftsredakteur arbeitete Hirn viele Jahre als Reporter beim „manager magazin“. Seit 1986 reist der Bestseller-Autor regelmäßig nach China. Unter anderem von ihm erschienen: „Chinas Bosse. Unsere unbekannten Konkurrenten“, Campus-Verlag, 2018. Aktuelles Buch: „Shenzhen - Weltwirtschaft von morgen“, Campus-Verlag. Hirn, mittlerweile pensioniert, lebt in Berlin.

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