Herbert Motter

Ackerbau in Vorarlberg: Eigenversorgung adé

Dezember 2015

Topografie, klimatische Faktoren und eine strukturell gewachsene Viehlandwirtschaft machen Vorarlberg zu keinem klassischen Ackerbauland. Der schrittweise Ausbau der pflanzlichen Produktion ist zwar das Ziel, vom Wunsch nach Eigenversorgung wird man sich in Vorarlberg aber verabschieden müssen.

Es sind die Topografie des Landes und das Klima, die dem Ackerbau in Vorarlberg eine unbedeutende Rolle zuweisen und damit dem Wunsch nach einer vielfältigen Landwirtschaft einen Dämpfer versetzen. Besonders im Hinblick auf die Ernährungssicherheit besteht derzeit laut einer aktuellen Studie von Gerlind Weber (Universität für Bodenkultur) ein Fehlbestand bei Ackerflächen von 73.000 Hektar. Die landwirtschaftliche Fläche ohne Alpen beträgt 41.000 Hektar, ackerfähig sind davon ca. 6000 Hektar.

„Allein wenn man diese Zahlen gegenüberstellt, wird klar, dass Vorarlberg sich unter den derzeitigen Gegebenheiten nicht ernähren kann“, erklärt Tanja Pitter von der Abteilung Landwirtschaft des Landes Vorarlberg und ergänzt: „Vorarlberg ist hervorragend für Grünlandwirtschaft mit Vieh geeignet, aber weniger für die Erzeugung gewisser Ackerfrüchte. Vor allem qualitativ hochwertiges Brotgetreide in Vorarlberg zu erzeugen, ist aufgrund der aktuellen Niederschlags- und Temperaturverhältnisse schwer möglich.“

In seinem 1949 erschienenen Buch „Rechtsgeschichte des Bauerstandes und der Landwirtschaft in Tirol und Vorarlberg“ schreibt Otto Stolz: „In Vorarlberg wurde der Getreidebau seit dem 17. Jh. zu Gunsten der Grasgewinnung stark zurückgedrängt. Die letztere warf bei der verhältnismässig grossen Feuchtigkeit dieses Gebietes als Unterlage der Viehzucht einen höheren Gewinn ab als der Ackerbau.“

Das bestätigt auch Christian Meusburger von der Landwirtschaftskammer Vorarlberg: „Die Wetterdaten weisen für das Vorarlberger Rheintal Jahresniederschläge in der Höhe von 1200 Millimeter aus. In österreichischen Gemüseanbauregionen wie Thaur in Tirol oder Eferdingerbecken in Oberösterreich liegen diese Werte bei 850 Millimeter bzw. unter 800 Millimeter.“ Mehr Niederschläge bedeuten mehr Pilz- und andere Pflanzenkrankheiten. „Daher ist die Kulturführung bei uns aufwendiger und bedingt mehr Pflanzenschutzmaßnahmen, um eine marktfähige Qualität zu erzeugen“, sagt der Experte der Landwirtschaftskammer.

Strukturell und historisch

Es sind auch historisch gewachsene Gründe, die die Landwirtschaft so aussehen lassen, wie wir sie heute kennen. Naturräumliche Gegebenheiten hatten große Auswirkungen auf die heutigen betrieblichen Strukturen wie etwa die genossenschaftlichen Sennereien. Erlernte Fähigkeiten in der Vieh- und Milchwirtschaft wurden über Jahrhunderte weitergegeben, das Wissen um den Ackerbau ging mehr und mehr verloren. Die Dominanz der Milchwirtschaft hat ihren Grund auch in den Investitionstätigkeiten der Vergangenheit. Pitter führt aus: „Die Investitionen für Stallbau sind sehr hoch und müssen über einen langen Zeitraum finanziert werden, was mitunter ebenfalls Auswirkungen auf die heutige Form der Landwirtschaft in Vorarlberg hatte.“

Manchmal brauche es aber nur eine Art „Initialzündung“, um zu zeigen, dass mehr Ackerbau möglich ist. Bestes Beispiel sei der Martinshof in Buch. Um seine Eier veredeln zu können, wollte Bertram Martin Nudeln erzeugen. Er machte sich also auf die Suche nach Landwirten, die für ihn Dinkel anbauen könnten, eine Getreidesorte, die relativ robust ist und mit den klimatischen Verhältnissen in Vorarlberg gut zurechtkommt. Mittlerweile werden in Vorarlberg 85 Hektar Dinkel angebaut, 2008 waren es gerade einmal 39 Hektar. Nur 15 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen in Vorarlberg (ohne Alpweiden) könnten grundsätzlich ackerbaulich genutzt werden. Zwei Drittel der ackerfähigen, also aufgrund ihrer natürlichen Bodenfruchtbarkeit sehr hochwertigen, Böden liegen im Rheintal.

Ökoland Vorarlberg

Im Zuge der Landwirtschaftsstrategie 2020 „Ökoland Vorarlberg – regional und fair“ wurde immer wieder betont, den Eigenversorgungsgrad bei verschiedenen Lebensmitteln steigern zu wollen. „Der schrittweise Ausbau der pflanzlichen Produktion ist das Ziel. Die Anbauer müssen ihre Erfahrungen mit den speziellen Vorarlberger Produktionsverhältnissen in kleineren Einheiten machen“, plädiert Meusburger für mehr persönliches Erfahrungswissen, um den Anbau zu erweitern. Daneben müsse Zug um Zug auch die Vermarktung aufgebaut werden, denn die pflanzenbaulichen Kulturen werden primär in der Direktvermarktung abgesetzt.

Tanja Pitter hält eine Mindestversorgung mit einer großen Vielfalt an regionalen Lebensmitteln für wichtig, damit auch das Bewusstsein in der Gesellschaft für den Wert der Landwirtschaft und der Lebensmittel nicht noch weiter verloren geht. „Die Möglichkeiten aufzuzeigen und das Bewusstsein dafür zu erhöhen, dass ein vielfältiger Betrieb mit verschiedenen Produkten gegenüber einem Betrieb mit hohem Spezialisierungsgrad resilienter ist, und wie neben genossenschaftlicher Vermarktung auch eigene Wege gegangen werden können, werden Herausforderungen in der Zukunft sein.“

Aus Sicht des Umweltschutzes

Doch mehr pflanzlicher Anbau heißt Konfrontation mit dem Umweltschutz. Laut Auskunft des Instituts für Umwelt und Lebensmittelsicherheit des Landes Vorarlberg bringt eine vermehrte ackerbauliche Nutzung einige massive Gefahren mit sich. Gefährdungen des Bodens wie Erosion, Bodenverdichtung (die Hochwassergefahr steigt), Bodenkontamination, Verlust an organischer Substanz (Humusverlust und mehr CO2-Emissionen) sowie Verringerung der Bodenbiodiversität sind unvermeidliche Begleiter einer Nutzungsintensivierung, wie sie eine Umwandlung von Grünland in Ackerland zwangsweise darstellt. Hohe Niederschläge begünstigen die erwähnten Pilz­erkrankungen und den Schädlingsbefall von landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. Eine Abwehr führt unweigerlich zu einer Belastung des Bodens und damit des Grundwassers durch Mineraldünger, Pflanzenschutzmittel und Pestizide sowie organische und anorganische Schadstoffe.

Der Ackerbau in Vorarlberg wird damit nicht nur mit strukturellen Gegebenheiten und klimatischen Verhältnissen, sondern auch mit den modernen Erkenntnissen des Umweltschutzes weiter zu kämpfen haben.

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