David Stadelmann

* 1982, aufgewachsen in Sibratsgfäll, ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Fellow bei CREMA – Center for Research in Economics, Managemant and the Arts; Fellow beim Centre for Behavioural Economics, Society and Technology (BEST); Fellow beim IREF – Institute for Research in Economic and Fiscal Issues; Fellow am Ostrom Workshop (Indiana University); Mitglied des Walter-Eucken-Instituts.

 

Anhaltende Inflation und neue Krisen

April 2023

Der Wocheneinkauf ist im Vergleich zum Vorjahr und insbesondere im Vergleich zum vorletzten Jahr deutlich teurer geworden. Auch viele andere Güter, Dienstleistungen und Energie haben sich verteuert. Das allgemeine Preisniveau ist stark gestiegen und ein weiterer Anstieg droht in diesem Jahr. Ein hohes Preisniveau bedeutet, dass die verfügbare Geldmenge im Vergleich zur vorhandenen Gütermenge hoch ist. In Phasen hoher Inflation wird das Geld weniger wert. Da die Löhne und Gehälter nicht annähernd so schnell gestiegen sind wie das Preisniveau, erleben viele Bürger zurzeit reale Wohlstandsverluste. 

Weiterer Inflationsdruck
Mittlerweile ist fast allen klar, dass die Preissteigerungen nicht primär auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen sind. Der Krieg hatte höchstens die seit Mitte 2021 bestehende Inflationstendenz verstärkt. 
Eine relevante Rolle für die Inflation spielt die Fiskalpolitik der Eurostaaten. Weiterhin wachsen die Staatsausgaben und die Staatsschulden sind vielfach sehr hoch. Dadurch wird die Nachfrage nach knappen Gütern- und Dienstleistungen weiter angetrieben, was die Preise treibt. Inflationsrelevant war auch die extrem lockere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Niedrigzinsen, die die Nachfrage ebenfalls stimulierten und dadurch die Preise trieben. Die Niedrigzinspolitik wurde erst spät im vergangenen Jahr durch mehrere Zinserhöhungen revidiert. Die EZB lief der Inflationsentwicklung hinterher, aber sie hat schlussendlich reagiert. Der Effekt der Zinserhöhungen ist spürbar: Tatsächlich ist die Inflationsrate mittlerweile etwas gesunken. Von ihrem Inflationsziel von unter zwei Prozent, der sogenannten Preisstabilität, ist die EZB jedoch noch weit entfernt.

Verständlicherweise hohe Gehaltsforderungen
Sobald die Inflation auf einem höheren Niveau ist und die Erwartung besteht, dass sie bestehen bleibt, droht sie auch tatsächlich bestehen zu bleiben. So führen die realen Wohlstandsverluste aufgrund der höheren Preise verständlicherweise zu höheren Lohn- und Gehaltsforderungen von Gewerkschaften. Wenn damit gerechnet werden muss, dass die hohe Inflation weiter anhält, wäre sogar verständlich, wenn die geforderten Gehaltserhöhungen über der bisher akkumulierten Inflation sind, denn die Arbeitnehmer möchten natürlich ihre Kaufkraft möglichst erhalten. Sie sind nicht direkt verantwortlich für die Fiskal- und Geldpolitik der vergangenen Jahre. Leider bergen hohe Tarifabschlüsse das realistische Risiko einer anhaltenden Lohn-Preis-Spirale, in der höhere Löhne zu höheren Preisen und dann wiederum zu höheren Lohnforderungen führen. Dann würde Inflation auf eine gewisse Art und Weise systemisch, was niemand möchte. Es ist ein Dilemma und die Rechnung tragen am Ende die Bürger. 
Derzeit gehen Inflationsschätzungen für 2023 insgesamt von rund 6,6 Prozent in Österreich und 5,8 Prozent in der Eurozone aus. In Österreichs politischen Zirkeln wird mitunter diskutiert, warum die Inflation hierzulande etwas höher liegt als im Mittel der Eurozone. Dabei verblassen die Unterschiede schnell im Vergleich zu den allgemeinen Preissteigerungen der vergangenen eineinhalb Jahre von bereits über 15 Prozent. Der Blick sollte vermehrt auf drohende gesamtwirtschaftliche Risiken gerichtet werden. 

Risiken der Staatsfinanzen
Eine Tendenz politischer Entscheidungsträger ist es, Risiken im Zusammenhang mit den Staatsfinanzen und den Staatsschulden zu unterschätzen. Dabei spielen drei Mechanismen eine Rolle. 
Erstens bremsen die höheren Zinsen der EZB zwar die Inflation, da sie die Übernachfrage reduzieren. Die Übernachfrage ist die Nachfrage, die über das vorhandene gesamtwirtschaftliche Angebot hinausgeht und daher inflationstreibend wirkt. Dabei besteht das Risiko, dass die Nachfrage „zu stark“ zurückgeht und eine Rezession folgt. Diese hätte schnell auch negative Konsequenzen für die Steuereinnahmen.
Zweitens fallen aufgrund höherer Zinsen die Preise für bestehende Anleihen. Das drückt auf die Gewinne von Banken und Versicherungen. Werden die Anleihen nicht bis zur Fälligkeit gehalten, führt ein Verkauf zu Verlusten. Der Fall der Silicon Valley Bank lässt sich damit erklären. Teilweise sind die Folgen dieser kalifornischen Bankenpleite bei der Credit Suisse sichtbar. Das Risiko ist an den Finanzmärkten noch nicht gebannt. Klar ist nur, dass jede „Bankenrettung“ im Regelfall teuer ausfällt. 
Drittens wird die Neuverschuldung für die Staaten selbst deutlich teurer. So werden die Zinsen realistischerweise für etwas längere Zeit hoch bleiben und sogar noch weiter steigen. Das allein wäre kein Problem, wenn die politischen Entscheidungsträger sich auf einen Konsolidierungskurs der Staatsfinanzen begäben und die Staatsausgaben reduzierten. Doch sparen will niemand, insbesondere nicht die allermeisten Politiker. Daher könnte für durchschnittlich bis hochverschuldete Staaten die steigende Zinslast schnell drückend werden. Im Jahr 2022 betrugen nach Maastrichter Definition die Staatsschulden Österreichs 81,2 Prozent der hiesigen Wirtschaftsleistung, die Deutschlands 69,5 Prozent, die Frankreichs 113,2 Prozent, die Italiens 146,6 Prozent. Dabei wäre die Tragfähigkeit der Schulden bei noch etwas höheren Zinsen aus rein ökonomisch-technischer Sicht kein zu großes Problem. Das Risiko bei Staatsschulden ist hauptsächlich politisch. 
Wenn bald mehrere Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung an Zinsen gezahlt werden müssen, wird das Geld anderswo fehlen. Politiker werden dann schnell mit dem Finger auf imaginäre Sündenböcke zeigen, die sie für die Misere verantwortlich machen. Sie werden Argumente suchen, warum die von ihnen zu verantwortenden Schulden „ungerecht“ sind und daher nicht oder nur teilweise zurückgezahlt werden sollten oder warum es noch mehr europäische „Solidarität“ und „Finanzhilfe“ brauche. So könnte sich die derzeitige Inflationskrise mit den Problemen im Finanzsektor schnell zu einer Staatsschuldenkrise entwickeln.

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