Antonius und Fatima – Leuchtturm in Bludenz
Südtirolersiedlungen gibt es in Vorarlberg zuhauf. Eine davon befindet sich in Bludenz. Entstanden sind diese Siedlungen während des Zweiten Weltkriegs. Dementsprechend neigt sich der Lebenszyklus dieser Häuser schön langsam dem Ende zu.
Hier stellt sich die Frage: Sind diese Gebäude erhaltenswürdig oder sollen sie modernen Wohnbauten weichen? Die Stadt Bludenz und die Alpenländische als Eigentümerinnen haben sich für Ersteres entschieden. Ja, mehr noch: Anhand eines Prozesses sollen nicht nur die Gebäude saniert, klimaresilient und energiefit gemacht, sondern auch die Lebensbedingungen für die Bewohner verbessert werden. Um diese Ziele zu erreichen, wurden diverse Fachleute, unter anderem das Netzwerk von raumlink, eingeladen, diesen Prozess zu moderieren und zu begleiten.
Interdisziplinär und integrativ
Eva Lingg-Grabher hebt in diesem Zusammenhang die Interdisziplinarität als Methode, die einem so komplexen Prozess gerecht wird, hervor. „Zu Beginn steht eine fundierte Grundlagenermittlung, die interdisziplinär und integrativ erfolgen soll. Das heißt, die Menschen, die in diesem Quartier leben, müssen unbedingt eingebunden werden“, so die Dozentin an der FH Ostschweiz und Gründungsmitglied von raumlink.
„Unsere Aufgabe beim Projekt ,Antonius und Fatima‘ waren Analyse und Konzeption der Wohn- und Erdgeschossräume“, ergänzt Johannes Herburger, Forschender an der Universität Liechtenstein und weiteres Gründungsmitglied von raumlink. Startschuss des Projekts war 2021. Die Planung umfasste circa ein Jahr, was Herburger grinsend als „knackig“ bezeichnet. Die Bedarfserhebung erfolgte im Rahmen von zahlreichen Interviews, einer Analyse der Bevölkerungsstruktur und zahlreichen weiteren statistischen Erhebungen. Daneben gab es öffentliche Veranstaltungen, bei denen die Ergebnisse präsentiert wurden und die Menschen sich einbringen konnten: Beteiligungsfeste und drei „Living Labs“, die auch die Möglichkeit für weitere Erhebungen boten.
Was war nun konkret die Aufgabe von raumlink? „Wir untersuchten, wie das Zusammenleben hier funktioniert: die Struktur der Außen- und Gemeinschaftsräume, der öffentlichen Treffpunkte, aber auch der öffentlichen Einrichtungen wie Kindergärten und Kinderbetreuung“, erklärt Lingg-Grabher. Das Fazit: Es gab einige Defizite. „Doch für uns war es nicht damit getan, Neugestaltungen zu planen, sondern diese neuen, verbesserten Räume müssen auch von den Menschen mitgetragen werden“, erklärt Herburger. Es genüge nicht, bauliche Maßnahmen vorzunehmen, ebenso wichtig sei ein Konzept mit Inhalten, wer was in diesen Räumen kuratieren solle. Als kleines, einfach umzusetzendes Beispiel nennt er eine adaptierte Hausordnung, die das Miteinander besser regle.
Ein weiteres Detail am Rande, aber eine Herzensangelegenheit sei ein kleiner Kiosk, führt Eva Lingg-Grabher aus. Das sei auf den ersten Blick nicht die große, weltverändernde Maßnahme. Doch: „Es geht dabei nicht so sehr darum, den Tante Emma-Laden von damals neu zu beleben, sondern einen Treffpunkt zu schaffen.“ Der Plan: ein kleiner Standort für gewisse Güter, an dem man sich trifft: Getränke für heiße Tage, Snacks oder Ähnliches. Denn: „Wir wissen, dass die kleinteilige Versorgungsstruktur wie früher heute nicht mehr funktioniert. Menschen kaufen auf dem Weg von oder zur Arbeit ein. Eben dort, wo es bestimmte Angebote gibt.“ Das solle auch nicht verändert werden, wichtig sei, einen Ankerpunkt zu schaffen.
Und so gibt es zahlreiche weitere Details, die das Konzept „Antonius und Fatima“ umfasst. Wichtig sei, in absehbarer Zeit bestimmte Dinge umzusetzen, damit die Menschen, die dort leben, das Gefühl haben, es tut sich etwas. Denn das Projekt, dessen Umsetzung ab 2024 beginnen soll, ist für einen Zeitraum von mehreren Jahren angelegt.
Bunter Strauß von Methoden
Dieses Projekt beschreibt wohl treffend die Methode, der das Netzwerk raumlink folgt. Das ist zum einen die angesprochene Interdisziplinarität, zum anderen eine datenbasierte Planung und die Verbindung von Forschung und Praxis. raumlink wurde Ende 2020 vorerst als Netzwerk aus dem Bedürfnis heraus gegründet, die Grenzen der eigenen Disziplin zu überwinden und beim Planen über den Rand der eigenen Expertise hinauszublicken und weitere Aspekte in die Planung miteinzubeziehen. „Da wir diese Grenzen erkannt haben, war uns schnell klar, dass wir gerade in der Raumentwicklung disziplinenübergreifend denken müssen, um Antworten auf die zunehmend komplexen Fragestellungen geben zu können“, erklärt ein weiteres Gründungsmitglied, Architekt Stephan Grabher, die Grundidee. Und so fanden sich drei Architektinnen und Architekten, ein Geograf, eine Soziologin und eine Kommunikationsberaterin zusammen und riefen raumlink ins Leben.
Gebaute Umwelt hat immer etwas zu tun mit Menschen, die „in ihr wohnen“, sagt Grabher. Deshalb gehe es weniger um die Hülle, die ja „oft schön anzusehen“ sei, sondern vielmehr um die Fragen des Zusammenlebens der Menschen, die diesen Raum bewohnen. Die Arbeit von raumlink beginnt bereits bei der Aufgabenstellung, die es zu hinterfragen gelte. „Wir schauen uns nicht nur an, was gebaut werden soll, sondern den ganzen Prozess“, betont Grabher. Herburger ergänzt: „Um das zu tun, ist es wichtig, qualitative und quantitative Daten in die Planung einfließen zu lassen, um möglichst zahlreichen Facetten des Zusammenlebens gerecht zu werden.“ Als Beispiele führt er Alters- und Familienstrukturen, aber auch soziale Aspekte, Nahversorgung et cetera an. Das Feld sei sehr groß und biete enormes Potenzial.
Win-win-Situation
Die Idee von raumlink hat im weitesten Sinn mit Standortentwicklung zu tun, sind sich die Gründungsmitglieder einig: „Wir beleuchten aber zuerst soziale Faktoren und überlegen, ob und was an einem bestimmten Ort Sinn macht, welche Wohnformen gefragt sind, welche Bedürfnisse gegeben sind und so weiter.“
Eine weitere Frage, mit der sich die Expertinnen und Experten befassen: Wie kann ein Planungsprozess so gestaltet werden, dass die relevanten Daten erfasst und die wichtigen Stimmen gehört werden? Dies ist die Basis für einen nachvollziehbaren Prozess mit einem breit abgestimmten Ergebnis. Das große Ziel sei, eine Win-win-Situation für alle zu schaffen, in der sich jeder wohl und aufgehoben fühlt.
www.raumlink.at
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