Hubert Weitensfelder

* 1959 in Dornbirn, betreut den Sammlungsbereich Produktionstechnik am Technischen Museum Wien, lehrt als Dozent für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien.

Berufstätige Frauen im Zeitalter der Industrialisierung

Mai 2021

Seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchlief Vorarlberg eine im österreichischen Vergleich frühe und intensive Industrialisierung vorwiegend auf dem Textilsektor. Die Gründer industrieller Betriebe waren jedoch ausschließlich Männer. Frauen erhielten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nur selten die Erlaubnis, Gewerbe auszuüben. Immerhin bekam aber Maria Anna Blum 1834 die Genehmigung, in Bludenz eine Papierfabrik zu leiten. Und Anna Hofmann erwarb um 1846 eine Bleiche in Rankweil-Brederis, die ihr Mann gepachtet hatte.
Als Arbeiterinnen waren Frauen dagegen zu Tausenden vertreten, vor allem in den Textilfabriken. In den Akten scheinen sie öfter bei außergewöhnlichen Begebenheiten auf. So ist in der Fabrik von Jenny & Schindler in Lauterach für 1837 ein sehr früher Streik belegt, zehn der 13 Beteiligten waren Frauen. Bei der Spinnerei und Weberei dieser Fabrikantenfamilie in Kennelbach ereignete sich 1839 ein schweres Unglück: Bei der Überfahrt über die Bregenzer Ach ertranken sieben Arbeiter, unter ihnen fünf Frauen und Mädchen, das jüngste zählte 13 Jahre. Kinderarbeit von Mädchen wurde 1839 auch in der Spinnerei von Konrad Gysi in Fußach festgestellt, darunter war eine Neunjährige. Viele Fabrikarbeiterinnen sahen sich Vorurteilen der Zeitgenossen gegenüber. Die Zusammenarbeit mit meist jungen Männern in unübersichtlichen Arbeitsräumen erschien moralisch anstößig, sie galten daher als sexuell freizügig und wurden mit Prostitution in Verbindung gebracht. Nicht selten waren sie sexuellen Belästigungen ihrer Kollegen ausgesetzt.
Der bedeutende Frauenanteil in der Textilindustrie lässt sich für 1868 belegen: Damals stellten sie in Textilfirmen wie Elmer & Co., Ganahl, Getzner und Rosenthal zwischen 46,9 und 66,2 Prozent der Beschäftigten. Für viele Frauen war die Fabrikarbeit nur ein Durchgangsstadium, etwa bis zur Gründung einer Familie, nicht wenige übten sie aber auch ihr ganzes Berufsleben lang aus. So sind für die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts 15 Frauen dokumentiert, die anlässlich ihrer 40-jährigen Tätigkeit bei den Dornbirner Firmen F.M. Hämmerle, Herrburger & Rhomberg und F.M. Rhomberg eine Ehrenmedaille erhielten.
Die Maschinenstickerei war vorwiegend in den grenznahen Rheingemeinden verbreitet. Auch hier kamen Mädchen und junge Frauen zum Einsatz. Sie arbeiteten oft unter gesetzwidrigen Bedingungen, wie ein paar Beispiele zeigen. So beschäftigte der Rorschacher Fabrikant E. Mettler-Müller 1884 in Höchst bis spät in die Nacht Kinder unter 16 Jahren zum Fädeln. Diese Arbeiten fanden bei geschlossenen Fensterläden statt. Der Höchster Gemeindediener stellte dazu Nachforschungen an und berichtete, dass ein Mädchen bis 1.30 Uhr nachts gefädelt hatte und dann in der Schule als krank entschuldigt worden war. 1908 besuchte der Gewerbeinspektor ohne Ankündigung die Schifflistickerei Richard Hämmerles in Lustenau-Rheindorf, wo durchschnittlich 30 Personen arbeiteten. Zwei Kinder unter 14 Jahren flohen bei seinem Erscheinen aus dem Fenster, ein Mädchen versteckte sich im Magazin.
1902 zeigten neun aus Bayern stammende Fädlerinnen im Alter von 14 bis 21 Jahren den Götzner Stickfergger und Fabrikanten Albert Breuning an. Sie berichteten, dieser zwinge sie, an Sonn- und Feiertagen unentgeltlich zu arbeiten. Sie müssten Fenster putzen, Stickstücke scheren, nähen und verpacken sowie Schiffchen fädeln. Dabei würden sie beschimpft, eine von ihnen sei sogar geschlagen worden. Fünf dieser Mädchen mussten in einem kleinen Raum mit Zementboden nächtigen. Breuning räumte lediglich ein, er habe die Mädchen früher hin und wieder vor oder nach dem Gottesdienst Instandhaltungs- und Reinigungsarbeiten verrichten lassen; dies sei aber schon seit längerer Zeit nicht mehr der Fall. Für die Beschuldigungen gab es keine Zeugen, da auch in diesem Fall die Arbeiten laut Anzeige der Mädchen bei geschlossenen Läden vorgenommen worden waren.
Frauen setzten sich also gegen ihre Behandlung am Arbeitsplatz gelegentlich durchaus zur Wehr, doch blieb es bei vereinzelten Kundgebungen. Ansätze zur Selbstorganisation unter politischen Vorzeichen standen unter einem schlechten Stern, da die Sozialdemokratie in Vorarlberg nur eine geringe Rolle spielte. Immerhin entstanden vor 1914 kleine sozialdemokratische Frauen-Ortsgruppen in Bregenz, Dornbirn, Hohenems, Feldkirch und Bludenz.

Gewerbe und Dienstleistungen

In den Städten des Landes übten einige Frauen Berufe im Textilgewerbe aus. Ein frühes Beispiel dafür ist Josefa Leibinger in Feldkirch (1808–1874). Ihr Vater, der Obsthändler Franz Leibinger, war aus Bayern nach Altenstadt-Levis zugewandert. Josepha Leibinger führte seit etwa 1830 eine Krämerei; ab 1837 handelte sie mit Kleidern sowie mit Woll-, Baumwoll- und Seidenwaren. Im Jahr darauf übersiedelte sie nach Feldkirch und eröffnete dort ein Putzwarengeschäft sowie etwas später Feldkirchs erste Modewarenhandlung. 
1909 waren im Bezirk Feldkirch neben 114 Männern 26 Frauen in der Kleidermacherei tätig, davon 15 in Dornbirn und sieben in Feldkirch. Auch in kleineren Gemeinden brachten sich Frauen mit Textilgewerben durch. 1884 beantragte Paulina Bertsch in Kennelbach die Näherei und Putzmacherei für Damenkleider. Etwa zur gleichen Zeit gedachte sich Leopoldine Meusburger in Schnepfau als Kleidermacherin selbständig zu machen. 
1885 ersuchte Johanna Wolfsegger in Bregenz um ein Büro zur Vermittlung von Dienstboten. Sie gab an, dieses Büro wäre das erste seiner Art in der Stadt, und erhielt die Genehmigung. Im Jahr darauf stellte Katharina Wolf ein weiteres Ansuchen dieser Art. Die Gattin eines Tapezierers wollte in Bregenz Kinder-, Zimmer- und Ladenmädchen, Hausmägde, Köchinnen für Herrschaften, Restaurants und Hotels, Kellnerinnen für Gasthöfe und Hotels sowie Kassiererinnen vermitteln. Ihrem Ansuchen wurde gleichfalls stattgegeben. Aus einer Notlage heraus versuchte sich in Bregenz 1904 Anna Leissing in diesem Gewerbe. Sie war 1876 in Waldsee (Württemberg) geboren, kurz vor ihrem Antrag Witwe geworden und hatte drei kleine Kinder zu versorgen. Auch ihr Ansuchen war erfolgreich. In Dornbirn erlangte 1894 Wilhelmine Unterweger die Erlaubnis, ein Vermittlungsbüro für Dienstboten zu führen. 
Ab der Jahrhundertwende bot sich aufgrund verbesserter Ausbildung für manche Frauen die Gelegenheit, in kaufmännischen Berufen zu arbeiten. So beantragte die 1878 geborene Gertrud Schenker 1904 die Durchführung von Schreibmaschinenarbeiten für kaufmännische Büros und Private in Bregenz. 

Gastronomie

Andere Frauen waren in der Gastro­nomie tätig. 1904 beabsichtigte Antonie Bilgeri, geborene Bayer, in Lustenau einen Kaffeeausschank zu eröffnen. Ihr Mann hatte ein neues Haus errichtet und dabei Räume für ein Kaffeehaus vorgesehen. Sie hatte jahrelang bei ihrem Vetter im Cafe „Zur Goldenen Kugel“ in Wien ausgeholfen. Bilgeri begründete den Bedarf damit, dass in Lustenau mittels Straßenbahn und Autoverkehr viele Fremde verkehrten, die keinen Alkohol zu sich nehmen dürften, also nicht in ein Wirtshaus gehen wollten; zu ihnen zählten „bessere Herren“, Beamte und Fabri­kanten. Sie wollte Kaffee, Tee, Schokolade und andere warme Getränke, aber auch Rum und Liköre ausschenken und gesetzlich erlaubte Spiele halten. Andere Frauen betrieben Garküchen für Fabrik­arbeiter, vor allem in Industriezentren wie Dornbirn. Zu ihnen zählte seit etwa 1906 Ursula Hutter. In Feldkirch besaß Regina Hefel eine solche „Auskocherei“, bis sie 1910 ein Gasthaus erwarb.
Soziale Tätigkeiten als Profession wurden im 19. Jahrhundert meistens von Ordensfrauen versehen; so war die Armenversorgung des Landes ganz überwiegend in den Händen der Barmherzigen Schwestern. Die Ärzte und Wundärzte des 19. Jahrhunderts waren ausschließlich Männer, lediglich die Geburtshilfe lag in den Händen der notorisch schlecht bezahlten Hebammen. 
In einem schmalen Segment, dem Beruf des Zahntechnikers, gelang es Frauen jedoch, Männern die Vorherrschaft streitig zu machen. Über die weibliche Konkurrenz bei den Zahntechnikern führte 1908 Albert Roder Beschwerde. Er hatte das Gewerbe drei Jahre lang erlernt und sich dann weitere sechs Jahre in verschiedenen Orten weitergebildet. Seit zwölf Jahren praktizierte er nun in Bregenz. In dieser Zeit, so Roder, hatte sich die Zahl der Zahnärzte und Zahntechniker in Vorarlberg mehr als verdreifacht. Von den fünf Zahntechnikerinnen habe keine einzige die vorgeschriebene Lehr- und Gehilfenzeit absolviert. Diese „Schmutzkonkurrenz“ gefährde seine Existenz. Roder ersuchte daher um Erweiterung seiner Konzession. Dies lehnte die Statt­halterei allerdings ab.

Schule und Ausbildung

Bis ins frühe 20. Jahrhundert erhielten die weitaus meisten Mädchen nur jenen Unterricht, der im Rahmen der Pflichtschule vorgesehen war. Lediglich die Schule der jüdischen Gemeinde in Hohenems bot Knaben und Mädchen eine gleichwertige Ausbildung. Politisch wurde Vorarlberg vom konservativ-christlichsozialen Lager dominiert, dessen Exponenten standen der Berufstätigkeit von Frauen prinzipiell misstrauisch gegenüber. Die wenigen Städte und größeren Marktgemeinden bildeten dagegen Stützpunkte ihrer Gegner, der Liberal-Deutschnationalen. Diese wiederum versuchten, die konfessionellen Schulen zu schwächen. So beschloss die Bregenzer Stadtvertretung 1894, eine gewerbliche Fortbildungsschule für Lehrmädchen zu eröffnen. Diese wurde nicht in der Klosterschule der Dominikanerinnen, sondern in einer Privatschule eingerichtet. 1906 argumentierte der deutschnationale Bürgermeister Ferdinand Kinz für den Bau einer eigenen Mädchenschule mit den Worten: „Wir müssen mit dem Eindringen weiblicher Arbeitskräfte in viele Berufe, welche ihnen früher verschlossen waren, rechnen, ob wir mit dieser Bewegung einverstanden sind oder nicht, und wir haben daher auch die Pflicht, der weiblichen Jugend eine gediegene vorurteilsfreie Bildung, welche über den vorgeschriebenen Lehrplan unserer Volksschule hinausgeht, zu ermöglichen.“ 1914 wurde die Bregenzer Mädchenvolksschule fertiggestellt.
Eine starke bürgerlich-liberale Prägung wies auch das Textilzentrum Dornbirn auf. Hier wurde 1891 eine staatliche Fachschule für Maschinenstickerei eingerichtet, die auch Frauen eine berufliche Weiterbildung ermöglichte. In Dornbirn betrieb seit Ende der 1860er Jahre die Kongregation der „Töchter der göttlichen Liebe“ eine private Mädchenschule. 1899 leiteten liberale Parteigänger die Gründung einer privaten Fortbildungsschule für Mädchen in die Wege. Ebenso wie ihre christlichsozialen Gegenspieler vertraten sie die Ansicht, dass Frauen im Haus leben und wirken sollten; doch fügten sie hinzu: „In guten Tagen das Haus verwalten und schmücken, in bösen Zeiten an des Mannes Stelle ans Steuer treten und in oft harter Arbeit die Familie auf der socialen Stufe erhalten, die diese während der Vollkraft des Oberhauptes einnahm: das ist der wahre, umfassende Beruf der Frau des Mittelstandes.“

Kontakt

Telefon +43 (0) 680 4053311 
Mail wirtschaftsarchiv-v@vol.at 
Web wirtschaftsarchiv-v.at
Facebook www.facebook.com/wirtschaftsarchiv 

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.