Herbert Motter

BIG PICTURE: Die neun größten Risiken für die Wirtschaft 2022

März 2022

Die Weltwirtschaft ist aufgrund von Omikron und anhaltenden Lieferengpässen schwächer in das Jahr 2022 gestartet als erwartet. Gestiegen ist seit Jahresbeginn die globale Unsicherheit, vor allem auch durch den Krieg in der Ukraine. Welche Risiken gibt es, und wie ist der Ausblick?

1 Die Pandemie

Die wohl größte Bedrohung ist und bleibt die Pandemie. Absonderungen und das Fehlen der Mitarbeiter:innen in den Unternehmen, aber auch die vermehrte Zunahme von Long-Covid führt zu starken Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit über Monate hinweg. Die Pandemie wird auch im Jahr 2022 viele Wendungen nehmen. Wir haben mittlerweile viele Werkzeuge zur Verfügung, um die schlimmsten Folgen zu verhindern. Es könnte im Laufe des Jahres dazu kommen, dass die Pandemie sich in eine endemische Situation umwandelt.

2 Lieferkettenengpässe

Die rasante wirtschaftliche Erholung und das veränderte Nachfrageverhalten hin zu physischen Gütern haben zusammen mit den gesundheitspolitischen Beschränkungen zu ausgeprägten Lieferkettenproblemen geführt. Aber trotz der vorherrschenden Lieferengpässe liegt der Konsum von haltbaren Gütern in Österreich derzeit über dem Vorkrisenniveau. Es kann als enormer Erfolg der globalisierten Wirtschaft gewertet werden, dass sie anpassungsfähig genug ist, um Engpässe trotz immer neuer Angebotsschocks abzubauen.

3 Die Energiepreiskrise und die Abhängigkeit von Russland 

Gegen Ende 2021 schwappte die Energiekrise von China auf Europa über. Die EU konnte sich durch die Liberalisierung des Erdgasmarktes zwar teilweise von Russland emanzipieren, machte sich jedoch auf der anderen Seite von einem Weltmarkt abhängig, der zunehmend von Chinas steigendem Energieverbrauch geprägt ist. Im Verlauf von 2022 erwarten die Expert:innen einen Rückgang der hohen Energiepreise, allerdings bleiben zumindest die Gaspreise über dem Vorkrisenniveau. Die Abhängigkeit von Russland wird bestehen bleiben. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und als mögliche Gegenmaße Russlands auf Sanktionen des Westens bleibt die Gas-Situation mehr als angespannt.

4 Arbeitskräftemangel 

Im Jänner 2022 meldeten laut aktueller „Business and Consumer Survey” der Europäischen Kommission mehr als ein Viertel der europäischen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors einen Mangel an Arbeitskräften als produktionshemmenden Faktor. Dadurch besteht die Gefahr, dass der bevorstehende Konjunkturaufschwung abgebremst wird. Zur Sicherung des Arbeitskräftebedarfs muss an vielen Stellschrauben gleichzeitig gedreht werden. Notwendig sind beispielsweise eine Steigerung der Mobilität am Arbeitsmarkt, eine Verbesserung von Qualifizierungsmaßnahmen, ein Ausbau der Kinderbetreuungsplätze, eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte oder eine Erhöhung des effektiven Pensionsantrittsalters.

5 Privater Konsum von Unsicherheit geprägt

Auch ohne neue COVID-19-bedingten Verschärfungen dürften freiwillige Einschränkungen beim Mobilitätsverhalten zusammen mit Lieferengpässen den privaten Verbrauch im ersten Quartal 2022 bremsen. Es könnte auch sein, dass die Haushalte einen größeren Teil ihrer überschüssigen Ersparnisse ausgeben als erwartet. Das wäre ein Konsumboom, der wiederum die Investitionen ankurbeln könnte. Je nachdem, wie sich die Nachfrage auf Güter und Dienstleistungen verteilt, könnte ein solcher Trend aber auch die Inflation in die Höhe treiben, da die zusätzliche Nachfrage die Produktion überfordert. 

6 Steigende Inflation 

Die Inflation stieg gemäß Schnellschätzung im Jänner 2022 im Euro-Raum auf 5,1 Prozent und in Österreich auf 4,6 Prozent. Ein Großteil des Anstiegs geht auf die Verteuerung von Rohstoffen zurück. Vor allem der Anstieg des Erdgaspreises trieb die Inflation an. Diese ist dementsprechend etwa zur Hälfte auf globale Faktoren zurückzuführen: 30 Prozent sind Liefer- und Angebotsengpässen geschuldet, 20 Prozent positiven Nachfrageimpulsen durch den Aufschwung der Weltwirtschaft. In den USA ist die Erholung bereits weiter fortgeschritten als im Euro-Raum, die dortige Geldpolitik wird zunehmend gestrafft.

7 Fiskalpolitik: Reform der Schuldenregeln 

Im Laufe des Jahres 2022 plant die Europäische Kommission eine Reform der Schuldenregeln. Besonders wichtig ist es dabei zu definieren, wie man die notwendigen Investitionen für das Erreichen der Net-Zero-Ziele mit den Schuldenregeln in Einklang bringt. Die Erfahrung nach der Eurokrise hat gezeigt, dass Disziplin vor allem zu einer Reduktion der öffentlichen Investitionen führt. Geringere Investitionen verringern aber das langfristige Wachstumspotenzial einer Volkswirtschaft und können die Staatsschuldenquote damit langfristig sogar erhöhen.

8 China: Beitrag zum globalen BIP-Wachstum sinkt

Vor zwei Jahren galt die chinesische Wirtschaft noch als unaufhaltsam, heute ist sie gleich von mehreren Seiten unter Druck. Dazu zählen ein möglicher Immobiliencrash, sinkende Bevölkerungszahlen, Crackdowns im Technologiesektor und eine "Zero Covid"-Politik, die vermutlich ungeeignet ist, mit der hochansteckenden Omikron-Variante umzugehen. Neben den wirtschaftlichen (und demografischen) Ungleichgewichten sorgen angespannte Handels- und Sicherheitsbeziehungen zwischen China und den USA für Unsicherheit – und Europa sitzt hier zwischen den Stühlen.

9 Der Klimaschutz und seine Kosten: Greenflation

Das globale Risiko einer größeren Klimakatastrophe steigt, die massive Versicherungsschäden, Versorgungsengpässe oder Spillover-Effekte auslösen könnte. Außerdem haben die über Jahre hinweg zu geringen Investitionen in die Energiewende zu einem enormen Aufholbedarf geführt, sofern die Klimaziele erfüllt werden sollen. Für den Bau von Solarpaneelen und Windrädern benötigte Metalle wie Kupfer und Aluminium sind in den vergangenen Monaten stark im Preis gestiegen und könnten sich durch eine rasch steigende Nachfrage weiter verteuern, sollte das Angebot nicht ausgebaut werden. Grundsätzlich gibt es global gesehen ausreichend Rohstoff-Vorkommen, es müssen jedoch Produktion und Recycling ausgeweitet werden. Hier ist die Politik weltweit gefragt, nicht nur den Bau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen zu erleichtern, sondern auch die Erschließung und Nutzung neuer Rohstoffquellen zu beschleunigen. 

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