Braungarts Plan für eine Vorarlberger Kreislaufwirtschaft
Michael Braungart ist ein Pionier. Als Mitbegründer des Cradle to Cradle-Prinzips, das enormes Zukunftspotenzial birgt, setzt er auf seine originelle Art, um das Designkonzept „von der Wiege zur Wiege“ und die Kreislaufwirtschaft auch in Regionen wie Vorarlberg salonfähig zu machen. Er erklärt und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, gibt amüsante Handlungsempfehlungen für den Alltag, macht mit ungewöhnlichen Denkanstößen ein einleuchtendes und sinnstiftendes Modell zum Gewöhnlichen – und bleibt damit im Gedächtnis. Von Teppichmiete, essbaren Textilien und ressourcenschonenden Haarschnitten.
Klimawandel, Umweltschutz, Energieeffizienz, gesellschaftliche Herausforderungen und Verantwortung – die Hürden und Chancen für unsere Zukunft sind vielseitig. Mit #nachhaltigkeit hat sich die die Wirtschaftskammer Vorarlberg daher – neben sieben weiteren Zukunftsthemen – einen wichtigen Arbeitsschwerpunkt im breit angelegten Strategieprozess Dis.Kurs Zukunft gesetzt. Unter Einbindung von Unternehmer:innen und Expert:innen wird in diesem Themenfeld an wichtigen Leitfragen und Zukunftsvisionen gearbeitet. Als enorme Chance in diesem Bereich gewinnen vor allem die Themen Kreislaufwirtschaft und das sogenannte Cradle to Cradle-Prinzip immer mehr an Beachtung und Bedeutung.
Den Kreis schließen
Mit dem Ökopionier und Mitbegründer des genannten Prinzips – Cradle to Cradle, das bedeutet in etwa „von der Wiege zur Wiege“ – konnte ein führender Experte ins Boot geholt werden, um die entsprechenden Potenziale einer Kreislaufwirtschaft für Vorarlberg zu identifizieren. Apropos Potenziale: Als exportstarke und ohnehin mit innovativen Schlüsseltechnologien ausgestattete Wirtschaftsregion können wir klima- und umweltfreundliche Prozesse, Produkte, Dienstleistungen und Konsummuster in die Welt zu tragen und so einen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels und zum Schutz der Umwelt leisten – und mit gutem Beispiel vorangehen und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Daher rüstet sich Vorarlberg bereits jetzt zu einer Modellregion auf, für ein Prinzip, gemäß dem in Wirtschaft und Gesellschaft Kreisläufe so gestaltet werden können, dass Ressourcen im Idealfall immer wieder verwendet werden können. Im Detail erklärt der Verfahrenstechniker und Chemiker das mit seinen amüsanten, aber durchaus sinnstiftenden Vorträgen, die er stets unter intensiver Einbindung des Publikums zum Besten gibt. So bereits bei mehreren Events der Wirtschaftskammer Vorarlberg, zuletzt Anfang Mai im Rahmen der großen Dis.Kurs Zukunft-Veranstaltung im Firmament Rankweil mit über 500 Gästen.
Braungarts Vorstellungen einer kreislauforientierten Wirtschaft entsprechend, wird der Wert von Produkten, Stoffen und Ressourcen innerhalb der Wirtschaft so lange wie möglich erhalten und möglichst wenig Abfall und Umweltbelastungen erzeugt. In einer ressourceneffizienten und schadstoffarmen Produktion werden so weit wie möglich Sekundärrohstoffe oder nachwachsende Rohstoffe eingesetzt, um den Ressourcenverbrauch innerhalb „der planetarischen Verfügbarkeit zu halten“, wie der renommierte deutsche Chemiker sagt. Biologische Kreisläufe beispielsweise „produzieren“ keinen Abfall, sondern bestenfalls Rohstoff für neue Schöpfungen, wie beispielsweise Dünger. Solche Überlegungen bilden die Basis seines Design-Konzepts, das sich auch auf viele Bereiche in Wirtschaft und Gesellschaft anwenden lässt. Kreisläufe können laut dem Chemiker also so gestaltet werden, dass Ressourcen immer wiederverwendet werden, sowohl in der Biosphäre als auch in der Technosphäre.
Teppich mieten, Couch verspeisen
Braungarts Prinzip lasse sich mit in der Theorie einfachen Handlungen entsprechen: Indem man etwa Waschmaschinen mietet und diese dem Hersteller zurückgibt, der die Materialien wiederum für neue Geräte einsetzt. Oder, indem man – wie der Verfahrenstechniker – essbare Möbelbezugsstoffe entwickelt und, nachdem die Couch ausgesessen ist, diese Stoffe dann einfach kompostiert oder auch begleitet von einem guten Glas Rotwein verspeist, was zugegeben etwas überzogen ist, aber grundsätzlich möglich wäre. Typisch für den Humor des 64-Jährigen: Aus dem Blickpunkt der Ressourcensparsamkeit seien „Glatzenträger“ besonders engagiert, aber man könne sich auch den „Drei-Millimeter-Haarschnitt“ stehen lassen, weil durch das obsolete Haarewaschen doch beträchtliche Wassereinsparungen um bis zu 7000 Liter jährlich möglich wären. Man verkaufe in der Idealvorstellung auch keinen Teppichboden mehr, sondern zehn Jahre Teppichnutzung: Der alte Teppichboden geht an den Hersteller zurück, Kunden bekommen einen neuen. Weil „nur“ die Dienstleistung verkauft wurde und das Material wiederverwendet werden kann, kann der Produzent auch hochwertige Materialien einsetzen – und nicht die günstigsten.
Ob Gebäude, in dem bessere Luftqualität gemessen wird als an der frischen Luft, wassersparende Haarschnitte, essbare Textilien oder gemietete Teppichböden: Die Ideen und Beispiele des Wissenschaftlers sind amüsant und leuchten dennoch ein, auch wenn er mitunter polarisiert. Ein Beispiel: So riet er seinem Publikum, den Fahrstuhl anstatt der Treppe zu nehmen. Obwohl allgemein Gegenteiliges geraten wird – seine Liftpräferenz ist auf die Sache fokussiert und impliziert: Weniger Bewegung heißt weniger Emissionen. Konsequenterweise, so schließt er das morbide Gedankenspiel, bedeute das auch eine niedrigere Lebenserwartung – und somit einen geringeren CO2-Ausstoß.
Potenzialstudie und Workshopreihe
Doch: Die amüsante Art, das Prinzip zu vermitteln, täuscht nicht darüber hinweg, dass der wissenschaftliche Leiter des Hamburger Umweltinstituts stets auch mit wissenschaftlich evidenten Argumenten und schlichten Tatsachen überzeugen und zu ernsthaften Ansätzen inspirieren kann. Mittels einer eigens für Vorarlberg beauftragten Potenzialstudie – erscheinen wird diese im Herbst – werden durch sein Unternehmen BRAUNGART EPEA Internationale Umweltforschung GmbH aktuell betriebliche Ansatzpunkte, potenzielle Partner:innen, Pilotprojekte und Business-Modelle für den Wirtschaftsstandort identifiziert: Ganz im Sinne einer Modellregion Vorarlberg. Bereits Anfang des Jahres wurde die strukturelle Situation in Vorarlberg analysiert – mehrere hundert Vorarlberger Unternehmer:innen aus verschiedenen Branchen nahmen dazu an einer Umfrage zum Thema Kreislaufwirtschaft teil.
Mitte Mai folgte schließlich eine erste Workshopreihe zu Kreislaufwirtschaft und Cradle to Cradle unter Einbindung heimischer Unternehmer:innen. Ziel der Workshops war es, gemeinsam mit Vertreter:innen aus unterschiedlichen Branchen die wesentlichen Kreislaufwirtschaftspotenziale in Vorarlberg für die unterschiedlichen Branchen zu erheben. Weitere Ideen, Konzepte und weltweite Beispiele von Umsetzungsprojekten, über welche mit den Teilnehmenden ausgiebig diskutiert wurde, rundeten das Programm ab. In Kleingruppen wurden schließlich eigene Konzepte in Bezug auf entsprechende Ansätze erarbeitet: So wurden bereits erste konkrete Projektideen und Stoßrichtungen für den Wirtschaftsstandort präzisiert – unter anderem in den Bereichen Gesundheitswesen, Wohnbau, Lebensmittel- und Kosmetikherstellung, Transport und Tourismus. Zur Vertiefung und weiteren Erhebung möglicher Pilotprojekte werden weitere Workshops folgen. Sowohl auf die Studien- als auch die Workshopergebnisse darf man auf jeden Fall gespannt sein. Braungart sagte bereits in einem Interview mit „Thema Vorarlberg“: „Wir können wirklich etwas ändern, aber wir müssen jetzt begreifen, dass Umweltschutz kein Moralthema, sondern die einzige echte Innovationschance der europäischen Wirtschaft ist.“
Kommentare