Simon Groß

Vorarlberger Gemeindeverband

Vom Aufheben

Februar 2024

Ausgewählte Fundstücke der Landschaftsreinigung haben im vorarlberg museum einen besonderen Platz bekommen – als Exponate eines Problems: Dem achtlosen Wegwerfen von Abfall und Gegenständen. Damit wird dieses Problem nicht nur in verschiedene Kontexte, sondern vor allem „in gut einsehbare Positionen“ gesetzt.

Weggeworfenes, Unrat, Abfall oder einfach Dinge, die nicht in die Natur gehören: Achtloses Wegwerfen – auch als „Littering“ bekannt – bleibt trotz vermeintlich geschärften Umweltbewusstseins ein Problemthema. Ausgewählte Exponate, die im Rahmen der Landschaftsreinigung in Vorarlberger Gemeinden von Ehrenamtlichen gefunden wurden, sind nun aktuell in die Dauerausstellung „buchstäblich vorarlberg“ des vorarlberg museums eingebettet. Teils kuriose Einzelstücke finden sich inmitten dieser interessanten Kostprobe – im insgesamt reichen Gesamtbestand von über 160.000 Objekten im Museumsdepot.
Die Abfallstücke finden hier Platz zwischen bedeutsamen und weniger bedeutsamen Dingen: Inmitten von Heiligenfiguren, Kunstobjekten, Trachtenhauben, archäologischen Funden und weiteren Objekten aus der Geschichte Vorarlbergs. Bewusst und prominent platziert, fordern diese Exponate mehr Aufmerksamkeit für ein Thema ein, das als gesellschaftliche Entwicklung erst seit jüngster Vergangenheit eine eigene Geschichte und damit Bedeutung entwickelt hat.

So ein Müll!
Im vergangenen Jahr wurden im Rahmen der Landschaftsreinigung von 15.000 freiwilligen Helfern insgesamt rund 65 Tonnen Abfall in den Vorarlberger Gemeinden gesammelt. Das ist erschreckend, aber auch eindrucksvoll. Und zwar so eindrucksvoll, dass auch das vorarlberg museum als ideeller Partner und Gastgeber hier große Potenziale erkannt hat – zumal die Institution die wachsende Bedeutung der Themen Abfall und Umwelt auch in den eigenen Strategieprozess einfließen ließ. Das Ausstellen von Abfall in dieser intervenierender Form und Funktion inmitten gängiger Museumsexponate hat somit durchaus plausible Gründe.
Müll im Museum. Das mag kurios erscheinen, aber auch die Auffassungen vieler über die Museumsarbeit sind, man könnte erst recht sagen, antiquiert. Die wichtige Rolle von Museen als Botschafter eben nicht nur historischer Zusammenhänge („Da steht doch nur altes Zeug herum!“), sondern auch gesellschaftlicher Entwicklungen wird oft unterschätzt. 
„Eine Ausstellung über Abfall und Unrat hat nicht einfach nur mit ‚Müll‘ zu tun, sondern gibt Anlass zur Reflexion über unser Verhältnis zu den Dingen, zu Vergänglichkeit und Zukunft und zum Umgang mit unserer Umwelt“, erklärt der Vorarlberger Kulturwissenschaftler Bernhard Tschofen: „Müll ist nicht nur ein brennendes Gegenwartsthema, sondern auch eine Herausforderung für das Museum in seiner Rolle als ‚clearing station‘ zwischen Vergangenheit und Zukunft. Dazu gehört nämlich auch der Blick für das Verschwinden der Dinge aus unserer engeren Lebenswelt und ihr Nachleben – gleich ob als Bereicherung oder Belastung.“

Mosaik der Kulturgeschichte
Theresia Anwander vom vorarlberg museum war von Anfang an mit dem Vorarlberger Gemeindeverband bei der gemeinsamen Umsetzung der Idee dabei. Für sie als „Kuratorin“ der Intervention ist es besonders spannend, auch vermeintlichen Abfall als eine Art Schatz zu betrachten, der ge- und aufgehoben werden soll: „Rentiert sich der Aufwand, etwas aufzuheben? Entscheide ich mich für ein Ja, dann folgt die Kopfarbeit. Wie und wo verwahre ich den Schatz? Was ist der Schatz, welche Erinnerungen trägt er mit sich? Genau das ist Sammlungsarbeit im Museum. Entdecken, was zu finden ist, aufbewahren, verwalten, erforschen, vermitteln. Mit offenem Blick begreife ich auch diese Fundstücke aus der Landschaftsreinigung als Mosaiksteine unserer Kulturgeschichte.“ 
Die Exponate wurden von der Kuratorin gezielt in der bestehenden Ausstellung platziert, teilweise sogar „versteckt“. „Ob und wie sie wahrgenommen, eingeordnet und kontextualisiert werden, entscheiden die Betrachterinnen und Betrachter selbst. Die Möglichkeiten und Betrachtungsweisen sind jedenfalls vielfältig“, sagt die Ethnologin.
Ob ausgestellter Unrat oder pädagogisch wertvolle Exponate mit Zweitleben: Die Verbindung zwischen Landschaftsreinigung und Museum ist eine kreative und durchaus unterhaltsame Möglichkeit, ein weiteres Zeichen gegen Littering zu setzen. Und: Haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, diesen Artikel gelesen, hat das Vorhaben sein Ziel wohl kaum verfehl.

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