Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

„Das ist dann der nächste Konflikt“

Dezember 2021

Arthur Kanonier (56), Professor für Raumplanung an der TU Wien, erklärt im Interview, was Raumplanung ist, welche Ziele sie verfolgt – und welche Herausforderungen diesbezüglich auf Vorarlberg zukommen werden. Ein Gespräch mit dem gebürtigen Dornbirner über Zersiedelung, Bewusstseinsbildung – und das Paradoxon, dass Vorarlberg „gleichzeitig zu viel und zu wenig Bauland“ hat.

Herr Professor, auch wenn die Frage banal klingen mag: Was ist denn eigentlich Raum­planung? 
Der grundsätzliche Zugang ist die vorausschauende und planmäßige Gestaltung von Gebieten. Man will die Siedlungsentwicklung so steuern, dass die Raumplanung – wie das im Vorarlberger Raumplanungsgesetz geschrieben steht – eine ‚dem allgemeinen Besten dienende Gesamtgestaltung des Landesgebiets‘ anzustreben hat. Da zeigt sich aber schon die Schwierigkeit: Welche Ziele und Maßnahmen dienen dem „allgemein Besten“? Die gesellschaftlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Aspekte so zu kombinieren, dass sie dem allgemein Besten dienen, das ist in der Regel nicht widerspruchsfrei.

Raumplanung hat widersprüchliche Interessen unter einen Hut zu bringen.
Ich kann mir kaum eine planerische Festlegung vorstellen, die nicht auf Widersprüche trifft. In einem Raum, der entsprechend dicht genutzt ist, hat Raumplanung immer mit unterschiedlichen Interessen zu tun, die es abzuwägen gilt.
 
Und was sieht der Raumplanungsexperte, wenn er auf Vorarlberg blickt?
Verschiedenes. Zum einen ist Vorarlberg nach wie vor ein hochattraktiver Lebensraum. Zum anderen wird es zunehmend eng. Nutzungsanforderungen und Nutzungsansprüche steigen, die Konflikte werden zunehmend intensiver. Das liegt auch am knappen Dauersiedlungsraum. Die meisten Nutzungen finden in den Talböden oder Hanglagen statt, weite Teile des Landes stehen gar nicht zur Verfügung. Ich will nicht sagen, dass Vorarlberg raumplanerisch ein besonderes Alleinstellungsmerkmal hat, andere alpine Regionen haben ähnliche Herausforderungen. Aber Vorarlberg ist doch ein besonders dynamischer Lebens- und Wirtschaftsraum, wobei die naturräumlichen Grenzen des Landes die Problematik nochmals anfeuern und verschärfen.

 

 

Wir haben in Vorarlberg gleichzeitig zu viel und zu wenig Bauland.

 

Vorarlberg hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt, der Bevölkerungszuwachs ist massiv, die Wirtschaft unglaublich dynamisch. Doch das Flächenangebot ist begrenzt …

Bevölkerungszuwachs und Wirtschaftsdynamik haben dazu geführt, dass die Siedlungsgebiete insgesamt erheblich ausgeweitet wurden und deutlich an Größe zugenommen haben. Die Gemeinden haben relativ großzügig Bauland ausgewiesen und Bauführungen zugelassen: die typischen Treiber der Zersiedlung, Wohn- oder Betriebsgebiete, wurden eher auf großer Fläche realisiert. Das hat dazu geführt, dass die Siedlungsränder immer weiter nach außen gegangen sind.

Würde man denn mit dem heutigen Wissen anders agieren?
Die Ziele der Raumordnung wurden immer wieder nachgeschärft, in jüngster Zeit wird immer stärker das Ziel ‚Innen vor Außen‘ verfolgt, das Halten der Siedlungsränder. Wobei man schon sagen muss: Sparsamer Bodenverbrauch war seit jeher Raumordnungsziel, aber die Gewichtung im Vergleich mit der Wirtschaftsentwicklung und den Aspekten des Wohnens war eine andere. Heutzutage würde man sehr wahrscheinlich sorgsamer mit Grund und Boden umgehen, weil auch immer deutlicher wird, dass man zunehmend an die Grenzen kommt. Aber: Wir können die Uhr nicht zurückstellen, wir können widmungs- und baumäßig nicht wieder bei Null beginnen. Wir haben mit dem vorhandenen Bestand umzugehen. 

Dennoch, wie sähen aktuelle Gegenmaßnahmen zur Zersiedelung aus?
Ein wesentliches raumplanerisches Anliegen ist Bewusstseinsbildung. Zu erkennen, dass Grund und Boden knapp sind, dass mit diesem Gut also entsprechend sparsam umzugehen ist, das ist eigentlich der wichtigste Punkt. In weiterer Folge gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen, mit denen einer weiteren Zersiedelung entgegengewirkt werden könnte, beispielsweise auf der überörtlichen Ebene, um die Siedlungsgrenzen zu halten. Wobei Vorarlberg da interessanterweise ein Vorreiter war, in den 1970er Jahren mit der Rheintal- und Walgaugrünzone als Landesraumpläne; man hat sie nur leider nicht auf andere Regionen des Landes übertragen. Und auf der örtlichen Ebene? Da geht es, um einen Schwerpunkt zu nennen, um eine effektive Innenentwicklung. Innen vor Außen! Also dass man die verfügbaren Flächen im Inneren tatsächlich einer Bebauung zuführt.
Seit Jahrzehnten liegen die Sachen auf dem Tisch. Experten wüssten, was zu machen ist. Warum ist es denn so schwierig, das Notwendige auch politisch umzusetzen?
Das Thema ist nur in Kombination zu lösen: Politische Entscheidungsträger, die Bevölkerung und selbstredend auch Experten, Fachleute, Verwaltung hätten alle an einem Strang zu ziehen. Das war in der Vergangenheit offensichtlich nicht so ausgeprägt. Die Situation ist ja auch alles andere als einfach, weil ‚Grund und Boden‘ ein Grundrecht ist und weil in der Bevölkerung das Bauen über viele Jahrzehnte sehr positiv besetzt war. Bauen, insbesondere das Einfamilienhaus, war lange Zeit alles andere als eine negative Erscheinungsform! Das Ziel weiter Bevölkerungsschichten war und ist nach wie vor, sich über Bauführungen in irgendeiner Form einen Lebenstraum zu verwirklichen. Auch wenn die hohen Bodenpreise bewirken werden, dass der Wunsch nach einem Einfamilienhaus über kurz oder lang nicht mehr realisierbar sein wird, hat es die Politik schwer, sich mit dem relativ allgemeinen, durchaus sperrigen Ziel der Zersiedelungsabwehr durchzusetzen.

Trotzdem: Im Vorarlberger Architekturinstitut ist momentan eine Ausstellung zum Thema Raumplanung zu sehen, die Macher der Ausstellung, Fachleute aus Österreich, fordern eine „deutlich mutigere“ Politik. Teilen Sie diese Forderung?
Man könnte die planerischen Vorgaben deutlich schärfen oder deutlich breiter anwenden. Aber auch da gilt, was ich zuvor gesagt habe: Es ist aus meiner Sicht nicht nur ein Gebot für die Politik, es müsste auch das Bewusstsein in der Bevölkerung und in den unterschiedlichen Fachgremien so hoch sein, dass man nicht mit Verboten oder Zwängen arbeiten muss – sondern dass auch eine gewisse eigene Bereitschaft besteht, flächensparend mit der Ressource Boden umzugehen. Wobei ich das Gefühl habe, dass es zunehmend zu einem gewissen Umdenken kommt, die Menschen sagen sich: Es wird eben entsprechend knapp, wir müssen entsprechend politische Vorgaben hier neu festlegen.

Wagen wir einen Ausblick: Wird Vorarlberg in die Höhe wachsen, nicht mehr in die Breite? Werden – wieder – Hochhäuser gebaut?
Wenn wir sagen, wir vermeiden die Zersiedelung, wir halten die Siedlungsränder, dann wäre die logische Konsequenz, die Nachfrage nach Wohnraum im Innenbereich zu befriedigen. Man muss aber dazu sagen: Das ist dann der nächste Konflikt. Wie sehr soll innen verdichtet werden? Wo sind hier die Grenzen? Werden damit Strukturen erzeugt, die man so nicht will? Die Innenverdichtung ist jedenfalls eine beachtliche Herausforderung, da sie sehr viel stärker in den Bestand eingreift. Nicht unproblematisch ist in diesem Zusammenhang die Baulandhortung: Etwa 30 Prozent des gewidmeten Baulands in Vorarlberg ist nicht bebaut, es wird gehortet. Grundsätzlich ist es ein wesentliches Ziel der Raumplanung, diese Flächenreserven zu mobilisieren, also einer Bebauung zuzuführen. Nehmen wir aber an, diese 30 Prozent würden verbaut und gehen wir davon aus, dass diese dichter verbaut werden, dann werden sich hinsichtlich gesellschaftlicher Akzeptanz und in Fragen der Infrastruktur weitere, große Herausforderungen ergeben.

Apropos. Sprechen wir noch kurz über das sogenannte Bauland-Paradoxon? 
Das Bauland-Paradoxon besagt, dass sich Angebot und Nachfrage nicht treffen: Wir haben in Vorarlberg beispielsweise eine enorme Nachfrage nach Bauland, wir haben scheinbar auch viel Bauland – was allerdings eben zu 30 Prozent nicht bebaut wird. Viele dieser Flächen stehen auch nicht zum Verkauf, wenn, dann werden sie von den Grundeigentümern einer mittelbaren Bebauung zugeführt. Wir haben in Vorarlberg also gleichzeitig zu viel und zu wenig Bauland. Das Angebot an Bauland ist deutlich geringer als im Flächenwidmungsplan festgelegt, was klarerweise eine preistreibende Wirkung hat. Und bedauerlicherweise werden die Gemeinden dadurch zum Teil auch gezwungen, zusätzlich Bauland – in weniger günstigen Lagen – zu widmen.

Welches Fazit ist zu ziehen? Werden Fragen der Raumplanung künftig immer noch wichtiger?
Ja. Diese Fragen werden immer wichtiger. Vorarlberg wird an Attraktivität nicht verlieren und demzufolge wird der Siedlungsdruck hoch bleiben. Wir haben weiterhin um Lösungen zu ringen, die langfristig zu einer dem allgemeinen Besten dienenden Gesamtgestaltung beitragen – wohl mit einer stärkeren Gewichtung der Zersiedlungsabwehr. Wohnen leistbar zu machen, Zweitwohnsitze zu vermeiden oder zumindest zu steuern und Gemeinden dazu zu bringen, bei Betriebsansiedelungen zu kooperieren, das sind weitere Themen, mit denen wir uns dringend beschäftigen müssen. Die Vorarlberger Gemeinden beispielsweise waren in der Vergangenheit in der Raumplanung sehr stark, durchaus auch im positiven Sinn. Ortskerne und Baustruktur sind nicht in allen, aber in vielen Gemeinden sehr gelungen – vor allem auch im Vergleich mit Restösterreich. Allerdings ist der Fokus nun viel stärker auf überörtliche Planungen zu richten. Also: Die raumplanerischen Herausforderungen werden nicht weniger, ganz im Gegenteil.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person

Arthur Kanonier *1965 in Dornbirn, ist Professor und Forschungsbereichsleiter für Bodenpolitik und Bodenmanagement am Institut für Raumplanung an der TU Wien. Arthur Kanonier ist seit 2017 auch Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Raumplanung.

 

Tipp!

Am Vorarlberger Architektur Institut (VAI) in Dornbirn ist noch bis zum 22. Jänner 2022 die Ausstellung, „BODEN FÜR ALLE“, zu sehen. In der vom Architekturzentrum Wien konzipierten, hochinteressanten und umfangreichen Ausstellung werden „die vielen Kräfte sichtbar gemacht, die an unserem Boden zerren“. Die Ausstellung ist Lockdown-bedingt zurzeit geschlossen, wird allerdings wieder geöffnet, Informationen unter

https://v-a-i.at/ausstellungen/boden-fuer-alle

 

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.