Hans-Peter Metzler

Alt-Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg

(Foto: ©Markus Gmeiner)

Der Zustand der Balance

Mai 2021

Die Modellregion Vorarlberg mit ihren Lockerungen und ihren Auflagen ist ein deutlicher Beweis, wie der Ausgleich von Interessen letztendlich der Allgemeinheit zugutekommt; sie war das Machbare im Austausch unterschiedlicher Standpunkte und im Bestreben, ein vernünftiges Maß zu finden.
Und doch ist der Kompromiss in Verruf geraten, er wird mit Schwäche und nicht mit Stärke gleichgesetzt; es lasse sich, wie die „Zeit“ schrieb, in der heutigen Zeit gar eine wachsende Unlust am Kompromiss beobachten. Aber klar, wo die Ränder laut sind, ist die Mitte still, wo der Konflikt laut ist, ist der Konsens still; das mögen Gründe dafür sein, warum der politische Kompromiss in einer zunehmend polarisierten und immer lauter werdenden Gesellschaft an Wertschätzung verliert.
Knapp vor dem Ausbruch der Pandemie hatte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch da­rauf verwiesen, dass Demokratie von der Kontroverse lebt und Demokratie deshalb auch Streit braucht: „Wir müssen wieder lernen, um Positionen zu streiten, in der Achtung unseres Gegenübers. Es mag etwas altmodisch klingen: Aber gesellschaftlicher Zusammenhalt ist ohne die Bereitschaft zum Kompromiss nicht zu haben.“ Das gilt heute, im zweiten Jahr der Krise umso mehr: Die Polarisierung nimmt zu und das gegenseitige Verständnis dafür ab, dass in einer Demokratie Argumente und Positionen essenziell sind. 
Eine Mitte aber existiert nur, wo es auch Ränder gibt; dort grenzt sie sich ab, dort lässt sie sich definieren; es braucht also unterschiedliche Standpunkte und den Willen, den bestmöglichen Ausgleich zu schaffen. Denn eines ist gewiss: Die Krise und all die künftigen Herausforderungen werden sich nur in der Gemeinschaft und nicht in der Trennung überwinden lassen. Klimaschutz? Bildung? Digitalisierung? Europa? Es wird die Macht der Mitte und den Zustand der Balance brauchen, um aus Unübersichtlichkeit und Komplexität Zukunft schaffen zu können. Den Ausgleich zu suchen, ist Anstrengung; den Ausgleich zu suchen, ist Diskurs. Aber wer sich selbst einen Demokraten nennt, der kann sich dem nicht verwehren, und wer sich selbst einen Demokraten nennt, der sieht im Kompromiss Stärke, nicht Schwäche. Man könnte das auch so formulieren:
Mit Blick auf die Zukunft und in Verantwortung für die Gesellschaft ist das zu definieren, was eint, und nicht das unwiderruflich zu positionieren, was trennt.

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