Andreas Dünser

Chefredakteur "thema vorarlberg" (andreas.duenser@themavorarlberg.at)

Die alternde Gesellschaft und die Arbeits- und Berufswelt

November 2018

Der strukturelle Wandel wird zu Lasten gering qualifizierter Berufe gehen, Hilfstätigkeiten werden immer stärker unter Druck kommen. „Der Arbeitsmarkt in Vorarlberg wird sich wandeln“, sagt AMS-Chef Bernhard Bereuter. Und darauf sind rechtzeitig Antworten zu finden – etwa auf die Frage, wie der sich abzeichnende Rückgang an Erwerbstätigen zwischen 20 und 65 Jahren zu kompensieren ist.

Die Lebenserwartung steigt, die Gesellschaft altert. Längerfristige Prognosen zeigen, dass bei einer insgesamt dynamischen Bevölkerungsentwicklung der Anteil der Jüngeren sinken, der Anteil der Älteren dagegen deutlich steigen wird. Laut Statistik Austria wird in Vorarlberg bis 2050 der Anteil der 20- bis 65-Jährigen von 61,2 Prozent auf 52,8 Prozent gesunken sein. „Und mit dieser Entwicklung“, sagt Bernhard Bereuter, „wird sich auch der Arbeitsmarkt wandeln.“ Dem AMS-Chef zufolge wird „der durchschnittliche Arbeitnehmer der Zukunft älter, aber auch besser gebildet sein, er wird sich stärker um Weiterbildung, aber auch seine Gesundheit kümmern müssen, um im Arbeitsprozess bleiben zu können.“ Bis er dann, auch das sei gesagt, zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt in Pension geht.
Nun relativieren Forscher zwar zunehmend jene Horrorszenarien, wonach Automatisierung und Digitalisierung künftig zu einer Massenarbeitslosigkeit führen könnten. Unbestritten ist allerdings, dass Hochqualifizierte – insbesondere in technischen Tätigkeitsfeldern – von der Entwicklung profitieren, Geringqualifizierte, vor allem in der Produktion, aber noch stärker unter Druck kommen werden. Weil die Jobs in dem Bereich immer weniger werden und damit eben auch die Nachfrage nach diversen Hilfstätigkeiten. Dabei ist die Gegenwart bereits dramatisch genug: In Vorarlberg haben 45 Prozent der als arbeitslos vorgemerkten 10.200 Personen maximal einen Pflichtschulabschluss. Bei den unter 30-Jährigen sind dies 41 Prozent. Das AMS setzt da, mit Blick auf die Zukunft, auf die Strategie Ausbildung vor Vermittlung, Bereuter sagt: „Aber auch Niedrigqualifizierte, die aktuell in Beschäftigung sind, müssten ständig weiter qualifiziert werden. Neun Prozent aller Beschäftigten unter 30 Jahren haben maximal die Pflichtschule besucht.“ Nur mit höherer Qualifikation könne den ständig wachsenden Anforderungen am Arbeitsmarkt und damit Beschäftigungsfähigkeit im Idealfall durchgehend bis zur Pension entsprochen werden. 

Drastische Worte

Bevölkerungswissenschaftler Wolfgang Lutz formuliert in seinem Buch „Zukunft Denken“ in drastischen Worten: „Die höchste Arbeitslosigkeit herrscht unter wenig Qualifizierten. Und das wird sich weiter verstärken.“ Denn der technische Fortschritt werde sich nicht aufhalten lassen, „es wird sich irgendwann jeder Unternehmer bei den gegebenen Mindestlöhnen anschauen, ob es nicht wirtschaftlich sinnvoller ist, in Maschinen beziehungsweise Roboter zu investieren, die für viele Arbeiten langfristig billiger sind als Menschen.“ In einer Zukunftsstudie des AMS steht quasi der Umkehrschluss: „Qualifikationsanforderungen werden sich in eminenter Weise verändern. Tätigkeitsfelder in wissensintensiven, von menschlicher Interaktion und von Innovation geprägten Tätigkeitsfeldern werden weiter an Bedeutung gewinnen.“ Und es wird sich auch das heutige Normalarbeitsverhältnis, charakterisiert durch Vollzeitbeschäftigung zu festgelegten Arbeitszeiten und an festgelegten Arbeitsorten, ändern.

Der demografische Wandel heißt selbstredend auch: Der Anteil älterer Erwerbstätigen in den Unternehmen wird deutlich steigen, die Akquirierung jüngerer Mitarbeiter zunehmend schwieriger. „Gut ausgebildete, junge Menschen sind heute schon sehr gefragt. Aber in Zukunft wird es einen immer noch stärkeren Wettbewerb um den guten jungen Arbeitnehmer geben“, sagt Bereuter. Der Facharbeitermangel wird in Vorarlbergs dynamischer Wirtschaft beständig Thema bleiben. Darüber hinaus wird es in Zukunft notwendig sein, das gesamte Erwerbspotenzial verstärkt zu nutzen – und das betrifft, wie in einer Publikation der Wirtschaftskammer Österreich formuliert, „insbesondere Frauen, ältere Bevölkerungsschichten und Personen mit Migrationshintergrund“. Aber gehen wir nochmals zum eingangs Gesagten zurück, zum sinkenden Anteil der 20- bis 65-Jährigen bis 2050? In drei Jahrzehnten werden in Vorarlberg, gemessen am heutigen Stand, um zehntausend Personen weniger dieser Alterskohorte angehören – und das bei einer Wirtschaft, die heute schon ständig Mitarbeiter sucht und sich auch in Zukunft hoffentlich weiterhin dynamisch entwickelt. Wie wird dieser Rückgang an Erwerbstätigen zu kompensieren sein? Es werden neue Arbeitsmärkte für Ältere und „alternsgerechte“ Formen der Arbeit entstehen müssen.

 

Kopfs Zuversicht, Gaucks Frage

AMS-Österreich-Chef Johannes Kopf schrieb vor Kurzem: „Wie groß die strukturelle Arbeitslosigkeit in Zukunft sein wird, weil die Qualifikation, Lernbereitschaft oder etwa Flexibilität vieler Jobsuchender für die künftigen Erfordernisse nicht ausreicht, das bestimmt glücklicherweise nicht nur der technologische Fortschritt, sondern kann auch durch die Intensität unserer Gegenmaßnahmen gestaltet werden.“ Geschehe dies, könne man auch Zuversicht haben: „Die Zuversicht, dass wir hier nicht wehrlose Opfer einer unverschuldeten Entwicklung sein müssen, sondern entscheidende Reformen dagegensetzen können – Reformen etwa im Bereich der Früherziehung, unseres Bildungssystems oder sogar unseres Gesundheitssystems.“ Kopf merkte übrigens an, dass – in Österreich – bereits vieles zur Zukunft der Arbeit geschrieben und gesagt worden sei, nur wenig jedoch über die Zukunft der Arbeitslosigkeit. In Deutschland wird da mehr debattiert. Apropos. Joachim Gauck, vormals deutscher Bundespräsident, hatte 2015 in einer bemerkenswerten Rede gesagt: „Wir müssen das verlängerte Leben insgesamt in den Blick nehmen. Und wir müssen die Lebenszeit neu strukturieren. Wir brauchen neue Muster für lange Lebensläufe, neue Verflechtungen von Lernen, Arbeit und Privatem.“ Gauck hatte aber auch eine Frage gestellt: „Sind wir als Gesellschaft bereit, für die große Bandbreite an Möglichkeiten im Alter eine entsprechend große Bandbreite an Gestaltungsoptionen vorzuhalten?“ Die Lebenserwartung steigt, die Gesellschaft altert …

Kommentare

To prevent automated spam submissions leave this field empty.