Herbert Motter

Duale Ausbildung – Lernen über das Tun

November 2020

Das bewährte System der dualen Ausbildung – also der parallelen Ausbildung in Betrieben und Berufsschulen – ist ein essentieller Bestandteil der Fachkräftesicherung in Unternehmen. Die enge Verzahnung zwischen Theorie und Praxis garantiert eine hohe Ausbildungsqualität.

Sie ist eine der traditionellsten und gleichzeitig modernsten Formen unseres beruflichen Ausbildungssystems: die Lehre. Die Verbindung von Lernen einerseits im Unternehmen, einbezogen in die wirtschaftliche und berufliche Realität, und andererseits in der Berufsschule, wo vorwiegend berufliche Grundlagen, Theorie und Allgemeinbildung vermittelt werden, ist auch international ein „Beispiel bester Praxis“ geworden, um junge Menschen auf ein erfolgreiches Berufsleben vorzubereiten. Österreich ist in diesem Bereich, gemeinsam mit einigen anderen Ländern, Vorreiter in Europa. Ein modernes Berufsausbildungssystem muss rasch und flexibel auf neue Anforderungen in der Wirtschaft, insbesondere auf neue technische Entwicklungen wie den Megatrend zur Digitalisierung der Arbeits- und Produktionsprozesse eingehen. Daher wird die Lehrlingsausbildung laufend weiterentwickelt, indem die Berufsbilder regelmäßig aktualisiert und neue Elemente in die Ausbildung einbezogen werden. Dadurch kann auf die Erfordernisse der Wirtschafts- und Arbeitswelt reagiert werden und die Ausbildungen können dem Bedarf entsprechend angeboten werden. Das ist die große Stärke der Lehre. 
Diese Ausbildungsform, wie wir sie hier in Vorarlberg leben, ist dynamisch, weil sie sich eben intensiv an den Bedürfnissen der Arbeitswelt orientiert und den Lehrlingen den optimalen Mix an praktischen Fertigkeiten und fachtheoretischem Hintergrundwissen bietet. Allerdings werden neben dem fachlichen Know-how den Lehrlingen in den Betrieben soziale Kompetenzen nähergebracht: Von Motivation, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbereitschaft, aber auch Team- und Kommunikationsfähigkeit und guten Umgangsformen profitieren die jungen Menschen nicht nur in der Ausbildung – das sind auch in persönlicher Hinsicht wichtige Kompetenzen. Somit verspricht die Lehre auch langfristig eine erfolgreiche Karriere und bildet die Basis für ein gutes Leben. 

Moderne Lehre als Standortvorteil

Die duale Ausbildung ist damit auch ständig gefordert, die Lehrlinge auf aktuelle Herausforderungen vorzubereiten und das Angebot laufend zu aktualisieren. Das geschieht zum Beispiel durch Maßnahmen wie das heuer verordnete Lehrberufspaket. Darin wurden insgesamt vier neue Lehrberufe geschaffen: Fahrradmechatroniker, Nah- und Distributionslogistik, Sportgerätefachkraft, Bauwerkabdichtungstechnik. Und drei Lehrberufe wurden novelliert: Spengler, Dachdecker, Mechatroniker. In den Bereichen Bäckerei, Betonbau, Hoch- und Tiefbau wurde durch eine längere Ausbildungsdauer eine vertiefende Berufsbildung mit weiterer Spezialisierung ermöglicht. „Die im Lehrberufspaket beinhalteten neuen und adaptierten Lehrberufe sind die Antwort auf die moderne Arbeitswelt und die damit zusammenhängenden Anforderungen an die Arbeitskräfte von morgen“, erklärt Christoph Jenny, Direktor der Wirtschaftskammer Vorarlberg.
Und doch versteht sich die Lehre längst nicht mehr nur als berufliche Erstausbildung, die für sich steht. Sie ist gleichzeitig die Basis für berufliche Weiterbildung auf tertiärem Bildungsniveau. Neben Meister- und Befähigungsprüfungen bieten auch immer mehr Bildungsanbieter, zum Beispiel Fachhochschulen, berufsbezogene und auf Lehrabsolventinnen und Lehrabsolventen zugeschnittene Lehrgänge an. Auch die Kombinationsmöglichkeit von Lehre mit Matura ist in Österreich etabliert – in Vorarlberg noch ausbaufähig – und kann von Lehrlingen kostenlos in Anspruch genommen werden. „Wir möchten die Lehre als völlig gleichwertige Alternative zum schulischen Ausbildungssystem etablieren – mit Durchgängigkeit bis zur höchsten Bildungsstufe“, sagt Jenny. Einen wichtigen Schritt auf diesem Weg setzte die Bundesregierung vor kurzen, indem sie das Berufsausbildungsgesetz überarbeitete. Lehrausbildungen sollen künftig mindestens alle fünf Jahre aktualisiert werden.

Knapp 35 Prozent der Selbst­ständigen haben als höchste Ausbildung eine Lehre absolviert.

Kurzer historischer Exkurs

„Die Wurzeln einer systematischen Berufsausbildung in Österreich reichen bis ins Mittelalter zurück. Damals entstand neben der rein schulischen Bildung, die für eine sehr kleine Minorität der Jugendlichen in den Klöstern angeboten wurde, die von den Handwerksgemeinschaften organisierte Meisterlehre. Diese streng strukturierte, ständisch organisierte Form der beruflichen Nachwuchsschulung verlor Ende des 18. und dann insbesondere im 19. Jahrhundert zunehmend ihren klaren Orientierungsrahmen. Für die Entstehung neuer Formen der beruflichen Nachwuchsbildung sind neben der Aufklärung die Vorgänge um die Frühindustrialisierung von großer Bedeutung“, wie Univ.-Prof. Elke Gruber vom Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz feststellt. 
Seit dem 19. Jahrhundert hatte sich neben den im Meisterbetrieb geführten Ausbildungsformen ein Sonntagsunterricht entwickelt, der als Vorläufer der späteren Fortbildungsschule angesehen werden kann. Erst ab den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zeigte der Wirtschaftsliberalismus verstärktes Interesse an dem von der staatlichen Schulbürokratie bisher vernachlässigten Bereich der Berufsbildung.
Es machte sich das Bewusstsein breit, dass eine qualitätsvolle Berufsbildung junger Menschen via Lehre beziehungsweise dualer Ausbildung der beste Weg dazu ist, sich für die Zukunft qualifizierte Fachkräfte zu sichern. Er ist der Beginn einer boomenden Industrie.
Grundsätzlich gilt – insbesondere nach der Novelle von 1978 – bis heute: Lehrlinge befinden sich im Arbeitnehmer/-innenstatus. Die Vollziehung des Berufsausbildungsgesetzes wurde Lehrlingsstellen übertragen, die in jedem Bundesland eingerichtet wurden. Diese Lehrlingsstellen werden von den Landeskammern der gewerblichen Wirtschaft betrieben. Ihnen zur Seite stehen paritätisch von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite besetzte Berufsausbildungsbeiräte.

International „heiß begehrt“

Die duale Berufsbildung rückt heutzutage angesichts hoher Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern in den Mittelpunkt des Interesses und steht weit oben auf der EU-Agenda. Die heimischen Fachkräfte bestätigen ihr hohes Niveau laufend bei internationalen Berufsmeisterschaften. Die österreichischen Teams setzen sich dort regelmäßig gegen die internationale Konkurrenz durch. Kein Wunder, dass unser Know-how zur Lehrlingsausbildung weltweit gefragt ist. Wie eine Studie des Instituts der Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) zeigt, braucht es aber für die Einführung der Lehre bestimmte Voraussetzungen. Das ibw hat sieben Erfolgsfaktoren für die Lehrausbildung herausgearbeitet. Diese Rahmenbedingungen sind für die interessierten Länder wichtig, zeigen aber umgekehrt auch, wie tief die Lehre in der österreichischen Identität verankert ist. Dieses solide institutionelle Fundament prägt unseren Standort. Als das Kernelement einer dualen Berufsbildung nennt die Studie die Unternehmen, die die Bereitschaft mitbringen, als Ausbildungsbetriebe tätig zu werden
Die internationale Anerkennung unserer dualen Ausbildung muss sich endlich auch im Inland imagemäßig niederschlagen. „Natürlich gibt es Unterschiede in der Attraktivität einzelner Lehrberufe. Eine vierjährige High-Tech-Lehre hat aber definitiv kein Imageproblem. Nur die Vorstellung der Gesellschaft ist immer noch die, dass die Matura das Maß aller Dinge ist. Bei näherer Betrachtung der Möglichkeiten etwa nach einer AHS-Matura, die doch sehr stark auf ein Studium eingeschränkt ist, und den Zahlen zu den Studienabbrüchen und -wechseln relativiert sich meines Erachtens die Image-Frage der Lehre“, erklärt Christoph Jenny. Auch ein Blick auf die Zahl der Selbstständigen mag verwundern. Knapp 35 Prozent der Selbstständigen haben als höchste Ausbildung eine Lehre absolviert. Die Weiterentwicklung unserer Wirtschaftsstruktur hängt damit wesentlich von dieser Berufsausbildung ab.
Um Begeisterung für die duale Ausbildung weiter zu entfachen und neue Zielgruppen anzusprechen, wurden im Strategieprozess Dis.Kurs Zukunft der Wirtschaftskammer Vorarlberg zahlreiche Projekte im Bereich Bildung und Lehre angestoßen und bereits umgesetzt: Neue Wege in der Kommunikation geht man zum Beispiel über die im Herbst 2019 präsentierte Lehrlingsplattform ‚Lehre in Vorarlberg‘. Aber auch Events wie Vorarl­bergs größte Ausbildungsmesse i sowie die Überarbeitung des Konzepts ‚Lehre und Matura‘, das künftig durch WIFI und bfi umgesetzt werden soll, und neue Projekte wie ‚Die Vorarlberger Ausbildungsbotschafter‘ und die ‚Duale Akademie‘ leisten einen wichtigen Beitrag zur Berufsinformation und -orientierung, zeigen Jugendlichen die Chancen der dualen Ausbildung und sprechen zum Beispiel Maturanten für eine Lehre an.

Vorarlberg: Höchste Lehrlingsquote Österreichs

Die Lehrlingsstatistik 2019 zeigt, dass sich in Vorarlberg 50,45 Prozent der 15-Jährigen für eine Lehre entschieden haben. Die Skala der beliebtesten Lehrberufe bei den weiblichen Lehrlingen führte 2019 die Einzelhandelskauffrau an, dahinter folgten Bürokauffrau, Metalltechnikerin, Friseurin und Perückenmacherin sowie Hotel- und Gastgewerbeassistentin. „Dass die Metalltechnik zu den Top-3 der beliebtesten Lehrberufe bei den Mädchen zählt, zeigt, dass die Bemühungen, Mädchen auch für technische Berufe zu begeistern, erste Früchte tragen“, erklärt WKV-Direktor Jenny. Bei den männlichen Lehrlingen sind der Metalltechniker, der Elektrotechniker, der Kraftfahrzeugtechniker, der Installations- und Gebäudetechniker sowie der Einzelhandelskaufmann die am häufigsten gewählten Lehrberufe des vergangenen Jahres.
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sollen künftig auch Maturanten für eine Lehre begeistert werden. Mit der „Dualen Akademie“ wurde dafür ein völlig neues Ausbildungsmodell geschaffen. Mit diesem Angebot sollen in erster Linie Maturanten angesprochen werden, die sich – als Alternative zu einem Studium – für eine innovative und sehr praxisnahe Ausbildung in künftig wichtigen Berufsfeldern interessieren. Noch stärker fokussiert werden sollen Jugendliche mit besonderen Anforderungen (schulische Defizite, schwieriges soziales Umfeld, fehlende Berufswahlreife), die bisher wenig Chancen auf eine Lehrstelle hatten. Neben den bereits existierenden Förderungen für Ausbildungsbetriebe wurde dazu ein neues vorarlbergspezifisches Programm auf die Beine gestellt; der „Vorarlberg Bonus“.
Der Nachwuchs an qualifizierten Fachkräften ist im Standortwettbewerb nach wie vor ein wesentlicher Vorteil unseres Landes. Die duale Ausbildung sichert gut ausgebildete Fachkräfte und stärkt somit das Rückgrat der Vorarlberger Wirtschaft. Der Ausbau und die zukunftsorientierte Weiterentwicklung der praxisorientierten Fachkräfteausbildung auf allen Qualifikationsniveaus ist daher entscheidend. Die Branchen, in denen heute Spitzenkräfte ausgebildet werden, weisen den Weg, indem sie die Fachkräfte stetig weiterbilden.

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